Pandemie-Aufarbeitung

Idee einer Corona-Amnestie stößt in der CDU auf heftigen Widerspruch

Die Anregung des Berliner Ex-Bürgermeisters Michael Müller, geringfügige Verstöße gegen Corona-Auflage nicht mehr zu verfolgen, hat eine sehr kontroverse Debatte ausgelöst.

Lange Zeit einer der obersten Erklärer der deutschen Corona-Politik: der ehemalige Berliner Bürgermeister Michael Müller.

© dpa/Fabian Sommer

Lange Zeit einer der obersten Erklärer der deutschen Corona-Politik: der ehemalige Berliner Bürgermeister Michael Müller.

Von Norbert Wallet

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Müller ist nicht irgendwer. Zur Hochzeit der Pandemie war er Regierender Bürgermeister von Berlin und Vorsitzender der Ministerpräsidenten-Konferenz. In dieser Eigenschaft musste er den Bürgern nach den regelmäßigen Endlos-Sitzungen mit der Kanzlerin die neuesten Beschlüsse erklären. Wenn er sich nun, ziemlich genau ein Jahr nach dem Ende der letzten Schutzauflagen, in Sachen Corona zu Wort meldet, hat das Gewicht.

Müller überrascht mit dem Vorschlag einer Amnestie für Verstöße gegen die Corona-Auflagen. Zur Begründung sagte er: „Wir wissen aus heutiger Sicht, dass manche Maßnahmen nicht so zwingend waren, wie wir damals dachten.“ Deshalb könne man nun auch „über eine Amnestie nachdenken“. Es müsse allerdings juristisch nachvollziehbar sein, welche Verfahren warum eingestellt würden und dafür brauche es „klare Kriterien“.

FDP nennt Müllers Vorstoß „verständlich und richtig“

Der Vorschlag trifft nach Recherchen unserer Zeitung in der Koalition durchaus auf Sympathie. Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, nennt Müllers Idee „verständlich und richtig“. Ullmann sagte unserer Zeitung: „Wir brauchen eine Amnestie für jene Fälle, die mit dem heutigen Wissen nachweislich keinem geschadet haben oder die Bagatellen sind.“ Wer sich vernünftig und vorsichtig verhalten habe, „aber unsinnige und teils willkürliche Maßnahmen nicht beachtet hat, der sollte nicht bestraft werden“. Allerdings zieht Ullmann auch klare Grenzen: „ Was weiterhin konsequent strafrechtlich verfolgt werden muss, ist der mutwillige Betrug zulasten der Gemeinschaft, wie er beispielsweise teils bei Impfzentren vorgekommen ist.“

Zustimmung kommt auch von den Grünen. Deren rechtspolitischer Sprecher Helge Limbach sagte unserer Zeitung: „Gerade am Anfang der Pandemie gab es einige Regeln, die aus heutiger Sicht überzogen waren, etwa dass Menschen zwar im Park spazieren, aber sich nicht allein auf einer Parkbank sitzend aufhalten durften. In solchen Fällen, insbesondere bei geringfügigen Erstverstößen, sollten die Ordnungsbehörden ihren Spielraum nutzen und großzügig von ihrer Möglichkeit Gebrauch machen, noch offene Verfahren einzustellen.“

CDU sieht Richter und Polizisten von Amnestie in falsches Licht gerückt

Von der Union kommt dagegen eine überraschend klare Ablehnung. „Eine Amnestieregelung lehne ich ab“, sagt Günter Krings, der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, unserer Zeitung. Seine Begründung: „Behörden und Gerichte haben bereits nach dem Ordnungswidrigkeiten-Gesetz die Möglichkeit, Verfahren im Einzelfall einzustellen oder erlassene Bußgelder zu reduzieren.“ Eine Amnestie aber könne in einem Rechtsstaat allenfalls die Ausnahme sein. „Gegen die damaligen Corona-Schutzmaßnahmen stand jedem der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offen“, sagte Krings. „Die allermeisten dieser Maßnahmen wurden von den Gerichten bestätigt. Eine nachträgliche Massen-Amnestie durchkreuzt das Gewaltenteilungsprinzip und greift die Stabilität unseres Rechtsstaates an. Sie würde Richter, Staatsanwälte, Polizisten und andere Beamte in ein merkwürdiges Licht rücken. Sie haben vollkommen korrekt gearbeitet und würden jetzt so hingestellt, als hätten sie etwas falsch gemacht.“

Breites Nachdenken über politische und wissenschaftliche Aufarbeitung

Müllers Idee ist nur ein Teil eines breiteren Nachdenkens darüber, in welchem Rahmen die Corona-Politik am besten aufgearbeitet werden könnte. Die FDP möchte die Einsetzung einer Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags. Auch Günter Krings sagt, ihm sei „unverständlich“, warum „angesichts des quantitativ größten Grundrechtseingriffs in der Geschichte der Bundesrepublik“ eine solche Kommission noch immer nicht eingerichtet worden sei. Thorsten Frei, der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, spricht sich für ein Gremium aus, „das sich aus Bundes- und Landesebene zusammensetzt, da die Krisenbewältigung föderal organisiert wurde“.

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Erstellt:
8. April 2024, 15:42 Uhr
Aktualisiert:
9. April 2024, 17:34 Uhr

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