Im Eifer des Geschäfts den Überblick verloren

Vorwurf Insolvenzverschleppung: Frühere Geschäftsführer einer Dachdeckerfirma vor dem Backnanger Amtsgericht

Rechnungen wurden nicht beglichen, so häuften sich immer mehr Schulden an. Symbolfoto: Bilderbox/E. Wodicka

© BilderBox - Erwin Wodicka

Rechnungen wurden nicht beglichen, so häuften sich immer mehr Schulden an. Symbolfoto: Bilderbox/E. Wodicka

Von Hans-Christoph Werner BACKNANG. Es geht um Geld, um viel Geld. Vor dem Backnanger Amtsgericht haben sich derzeit ein 59-jähriger und ein 58-jähriger Dachdecker wegen Insolvenzverschleppung und Betrug zu verantworten. Das Jahr 2015 ist das Schicksalsjahr gewesen. Die beiden bereits zuvor in der Firma tätigen Dachdecker waren als Geschäftsführer an die Spitze eines Backnanger Traditionsunternehmens getreten. Die Witwe des früheren Chefs blieb involviert und besorgte insbesondere die Buchhaltung. Die Zahlungsmoral in Deutschland ist schlecht. Andere Firmen hatten gegenüber dem Backnanger Handwerksbetrieb ihre Rechnungen noch nicht bezahlt. Und die hiesige Firma selbst hielt es auch so. Über 300000 Euro beliefen sich die Verbindlichkeiten gegenüber einer Partnerfirma, über die die Backnanger immer wieder an Aufträge kamen. Aber eine Steuerberaterin und ein Rechtsanwalt waren mit an Bord und berieten die Geschäftsführer. Ihre besonderen Fähigkeiten sahen die beiden Geschäftsführer allerdings eher im praktischen Abarbeiten der Aufträge. Mit den Ratenzahlungen lief nicht alles gut
Dass Rechnungen oder gar Mahnungen, Letztere auch mit besonderem Nachdruck, rechtzeitig hinausgingen, darauf vertrauten die beiden Angeklagten. Schließlich kümmerte sich die frühere Chefin darum. Waren die beiden da zu vertrauensselig? Bereits erwähnter Geschäftspartner mit seiner Forderung einer sechsstelligen Summe wollte die Sache allerdings nicht länger hinnehmen. So unterzeichneten die Geschäftsführer zunächst ein Schuldanerkenntnis. Sodann einigte man sich auf einen Ratenzahlungsmodus. Allein, es blieb beim guten Vorsatz. Eine erste Rate von 20000 Euro überwies man. Alle weiteren Zahlungen fielen weitaus geringer aus. Man nahm die Probleme in der Chefetage wohl war. Aber war der Zeitpunkt gekommen, zu handeln? Ende November 2015 brachte der begleitende Rechtsanwalt in einer Mail einen möglichen Insolvenzantrag ins Spiel. Diese Mail wird allerdings erst in der Gerichtsverhandlung durch den als Zeuge aussagenden Insolvenzverwalter bekannt. Einer der Angeklagten betont, dass er von dieser Mail keine Kenntnis erhalten habe. Im Gegenteil: Sowohl Steuerberaterin wie besagter Rechtsanwalt hätten in den regelmäßig stattfindenden Besprechungen immer abgewiegelt und zum Weitermachen ermuntert. Bedauerlicherweise, da schließlich den Verbindlichkeiten in Höhe von 1,3 Millionen liquide Mittel nur in Höhe von 436000 Euro gegenüberstanden. Weil die beiden Angeklagten von besagter Mail nichts wussten oder nichts wissen wollten, machten die beiden Geschäftsführer weiter. Munter bestellten sie bei einem Backnanger Baustofflieferanten dies und jenes. Rechnungen in der Summe von 44000 Euro kamen zusammen. Der Chef des Baustofflieferanten rief immer wieder an und fragte nach. Einer der Geschäftsführer vertröstete ihn immer wieder. Im Rückblick auf diese Auskünfte sagt der als Zeuge aussagende Lieferant, er sei angelogen worden. Besonders misslich für die beiden Angeklagten, denn nun kam für die Staatsanwaltschaft zum Vorwurf der Insolvenzverschleppung noch der des Betrugs hinzu: Die beiden Geschäftsführer hätten in dem Wissen gehandelt, dass sie die Forderungen aus den Bestellungen nicht bedienen könnten. Und wie es scheint gerade rechtzeitig, bevor es zu heiß wurde, warf die Buchhalterin alles hin. Die mit der Sache scheinbar überforderten Geschäftsführer mussten sich jetzt auch noch einen Überblick über die gesamten Finanztransaktionen verschaffen. Die beiden Verteidiger der Angeklagten, erfahren in solchen Angelegenheiten, hängen die Sache nicht so hoch. Da gibt es ganz andere Verfahren, so einer der beiden, in denen es um weitaus höhere Summen geht. Und sie werden durch Einstellung des Verfahrens beendet. So wollen die beiden Juristen beizeiten ein „Friedensangebot“ signalisieren: Ihre Mandanten könnten es sich durchaus vorstellen, einer Einstellung des Verfahrens gegen Auferlegung einer Geldbuße zuzustimmen. Aber die Staatsanwältin lehnt ab. Erwähnte Mail des begleitenden Rechtsanwalts deutet ihrer Meinung nach darauf hin, dass die beiden Angeklagten wider besseres Wissen gehandelt haben. Die Richterin, Herrin des Verfahrens, pflichtet ihr bei. So einigt man sich auf einen neuen Termin. Bei dem soll insbesondere die Sache mit der Mail geklärt werden. Der Rechtsanwalt, der diese geschrieben haben soll, wird als Zeuge geladen. Und auch auf die frühere Geschäftsführerin und Buchhalterin will man als Zeugin nicht verzichten.

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Erstellt:
11. Februar 2020, 11:30 Uhr

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