Im Einsatz für Artenvielfalt und Tierwohl

Nach fünf Jahren zieht der Spiegelberger Schafhalter Thomas Heinrich weiter. Er lässt die Selbstständigkeit hinter sich und auch, so seine Hoffnung, das arbeitsreiche Leben am existenziellen Minimum. Er wünscht sich mehr Respekt für die Arbeit von Schäfern.

Es gibt Momente, in denen Thomas Heinrich seinen Job als Schäfer liebt. Einer davon ist, wenn die Herde friedlich frisst und man auch ihn in Ruhe lässt.

© Alexander Becher

Es gibt Momente, in denen Thomas Heinrich seinen Job als Schäfer liebt. Einer davon ist, wenn die Herde friedlich frisst und man auch ihn in Ruhe lässt.

Von Nicola Scharpf

SPIEGELBERG. Die Zeit mit dem meisten Potenzial für Schäferromantik bricht bald an: der Advent. Das verklärte Bild vom guten Hirten, der seine Herde mit Fürsorge hütet, hat dann Hochsaison, Schafe und Lämmer bekommen eine besondere Bedeutung. „Schafsromantik gibt es aber nicht. Die hat es wahrscheinlich nie gegeben. Das ist eine Erfindung des Sturm und Drang“, sagt Thomas Heinrich. Mit seiner Herde bewirtschaftet der 51-Jährige 47 Hektar Fläche auf Spiegelberger Markung – bis jetzt. Denn Heinrich kehrt dieser Tage nicht nur der Lautertalgemeinde und der Selbstständigkeit den Rücken, sondern auch dem Leben am existenziellen Minimum mit seiner Arbeitsbelastung am Maximum. So ist zumindest seine Hoffnung. „Die Probleme, die ich habe, sind die von jedem Schäfer.“ Damit hat er wohl recht, laut Landesschafzuchtverband ist die Schafhaltung im schafreichen Bundesland Baden-Württemberg in den letzten zehn Jahren um rund ein Drittel zurückgegangen.

Thomas Heinrich ist 1969 in der DDR auf die Welt gekommen. Sein weißer Kastenwagen trägt das Kennzeichen VG, Landkreis Vorpommern-Greifswald, wo Heinrich seinen Erstwohnsitz gemeldet hat. Der gelernte Sattler und Polsterer ist 20 Jahre alt, als die Mauer fällt. In Berlin macht er Abitur. Gearbeitet hat er fortwährend und gern als Sattler, bis er Schmerzen in den Daumengelenken bekommt und erkennt, dass dieser Beruf bis zur Rente für ihn nicht machbar ist. „Ich war frei in meiner Entscheidung und finanziell unabhängig. Ich konnte machen, was ich wollte, und habe überlegt: Worauf habe ich wirklich Bock? Wofür lebe ich eigentlich? Um jeden Monat meine Rechnungen zu bezahlen?“ Beim Schafbock ist er nicht gleich gelandet. Klar ist aber: Heinrich will raus aus der Tretmühle und etwas mit Tieren machen. Im Freien ist er immer schon viel gewesen, zwei Hunde hat er auch. Also lässt er sich zum Hundepsychologen ausbilden, um das Ganze anschließend schnell wieder bleiben zu lassen: „Das war nichts“, winkt er ab. „Es liegt selten am Hund.“

Und dann lernt er 2009 einen Schäfer auf der Schwäbischen Alb unweit von Ulm kennen. „Er hat mich mal hüten lassen mit seinen Hunden. Ab da war ich infiziert mit dem Hütevirus.“ Heinrich verdingt sich erst als Helfer im Schafstall, absolviert dann die Quereinsteigerausbildung zum Tierwirt, Fachrichtung Schäfer. Vor fünf Jahren ist er nach Spiegelberg gekommen, um als angestellter Schäfer mit einer Herde der Schäferei Steinle aus Ilsfeld die Mager- und Streuobstwiesen auf Spiegelberger Markung zu bewirtschaften. Vor gut einem Jahr hat sich Heinrich selbstständig gemacht und die Tiere von Steinle übernommen.

Die Herde weidet an diesem zugig-kalten Vormittag, an dem die Sonne lange braucht, bis sie sich durch die Wolken gekämpft hat, oberhalb von Hüttlen, an der Straße zwischen Jux und Nassach. Magerrasen und Streuobstwiesen bilden den Großteil der Flächen, die die Herde offen hält, also vor Verbuschung schützt. Heinrich – schmal von Statur, rot-schwarz kariertes Holzfällerhemd, breitkrempiger Hut, schwere Lederstiefel, Vollbart – betrachtet seine Tiere, Merinolandschafe und Suffolk-Schafe. „Ich habe mit einer gewissen Illusion oder Vorstellung und Ansprüchen an meine Arbeit begonnen“, sagt Heinrich, der seit etlichen Jahren einen Wohnwagen sein Zuhause nennt.

„Ich will nicht warten, bis ich mich runtergewirtschaftet habe.“

Aber das Jahr in der Selbstständigkeit ist desillusionierend gewesen. „Ich will nicht warten, bis ich mich komplett runtergewirtschaftet habe. Wobei ich nicht aus wirtschaftlichen, sondern aus zeitlichen Gründen aufhöre.“ Heinrichs Arbeitstage sind sehr lang, nie unter zwölf Stunden: Arbeit im Stall, auf den Weiden Zäune auf- und abbauen, die Herde hüten, Wurmkuren verabreichen, kranke Tiere oder neu geborene Lämmer versorgen, Schreibtischkram. „Ich bin kurz vor der Lammzeit und rechne mit rund 60 Lämmern. Die Lammzeit ist sehr anstrengend. Meinen letzten freien Tag habe ich im September 2019 gehabt.“

Heinrich kommt auf einen Stundenlohn von „sechs Euro noch was“. Nach Angabe des Landesschafzuchtverbandes verdienen Schäfer 6,68 Euro in der Stunde – einschließlich Förderung durch verschiedene staatliche Maßnahmen wie an Flächen gebundene Prämien oder einer Ausgleichszulage. Ohne Förderungen geht es nicht. Die Vermarktung der Wolle ist laut Heinrich ein Nullsummenspiel, oft sind die Schurkosten pro Schaf sogar höher als der Wollerlös. „Der Wollpreis sinkt permanent durch die Konkurrenz mit synthetischen Fasern. Die wollverarbeitende Industrie ist kaputt.“

Auch die Vermarktung der Lämmer ist eine Einnahmequelle, die nicht wirklich sprudelt. Zum einen liegt der Pro-Kopf-Verbrauch an Lammfleisch in Deutschland bei unter einem Kilogramm (in Griechenland sind es zum Beispiel 14 Kilo). Zum anderen ist die Konkurrenz aus Neuseeland übermächtig. Und: „Sie sind zu mager für den Markt“, sagt Heinrich über seine Tiere. Also muss er sie mästen, um „marktgerechte Schlachtkörper“, zitiert er das Behördendeutsch, zu erzielen. Und Futter für die Mast kostet. „Der Wolf kommt dann noch on top auf die angespannte Gesamtsituation“, sagt Heinrich über die für Schäfer mitunter existenzbedrohende Bedeutung der Rückkehr des Raubtieres in Deutschland.

Der Naturbursche wünscht sich von den Menschen mehr Verständnis für ihn und für seine Situation, mehr Respekt für seine Arbeit. Er möchte keine Gummibärchen und Schokoriegelpapiere auf der Weide bei den Schafen finden. Er möchte nicht, dass fremde Hunde seine Schafe schalu machen und die Hundebesitzer ihre Tiere gewähren lassen. Er möchte nicht, dass Autofahrer weiterfahren oder sogar hupen, während seine Herde die Straße quert oder entlangläuft. Schließlich erbringen Schäfer eine Leistung für das Gemeinwohl: „Eine kleine Herde mit einem kleinen Schäfer. So was sehen die Leute gerne. Das ist doch etwas sehr Beruhigendes.“

Und auch die Art der Tierhaltung erfolgt so, wie die Gesellschaft sich das zum Wohl der Tiere wünscht: „Es gibt kein Totschlagen wie zum Beispiel bei den männlichen Küken in der Geflügelaufzucht.“ Die Schafe sind ganzjährig draußen. „Und wo das Heu herkommt, da kannst du mit dem Fahrrad hinfahren, so nah ist das.“ Schafe tragen darüber hinaus zur Biodiversität bei, die Weiden der vierbeinigen Samentaxis gelten gemeinhin als artenreich. Sowohl die Gesellschaft als auch die (Agrar-)Politik halten Artenvielfalt und Tierwohl für unterstützens- und schützenswerte Ziele. „Wir als Schäfer erbringen das alles, aber an den Fördermitteln wird geknapst“, sagt Heinrich ohne hörbare Verbitterung, aber mit Unverständnis. „Magerrasen ist das wertvollste Grünland, das wir haben.“ Kurze Pause. „Dessen Beweidung wird nicht gesondert gefördert.“ Spiegelbergs Topografie ist geprägt von steilen Hängen. Der Landschaftserhaltungsverband habe ihm gesagt, diese Topografie sei typisch für die Region, „und hat mir die Steilhanglagenförderung gestrichen“.

Normalerweise begibt sich Heinrich mit seiner Herde und seinen drei Hütehunden im Winter auf Wanderschaft über Nassach und Kurzach nach Beilstein, Groß- und Kleinbottwar und wieder zurück nach Spiegelberg. Dieses Jahr führt ihn sein Weg nach Hardheim, wo er künftig als Schäfer im Angestelltenverhältnis eine Herde auf dem Truppenübungsplatz führt. Seine eigenen Tiere wird er voraussichtlich mitnehmen, es sei denn, es kauft sie ihm jemand ab. Dass es mit der Schafhaltung in Spiegelberg weitergeht, glaubt er schon. „Maschinell ist es unmöglich, das zu bewirtschaften“, sagt Heinrich. „Kulturland kann man nicht sich selbst überlassen.“

Schließlich schafft es die Sonne an diesem Vormittag doch noch und wärmt. Schäfchenwolken am blauen Himmel, davor die friedliche Herde unterhalb des Waldrandes, dazu das rupfende Geräusch grasender Schafe. „Es gibt Momente, in denen ich meinen Job liebe.“

Gibt es sie am Ende dann vielleicht doch, die Schafsromantik?

Sein Weg führt ihn nach Hardheim: Als angestellter Schäfer bewirtschaftet Thomas Heinrich mit seiner Herde in Zukunft den Truppenübungsplatz. Fotos: A. Becher

© Alexander Becher

Sein Weg führt ihn nach Hardheim: Als angestellter Schäfer bewirtschaftet Thomas Heinrich mit seiner Herde in Zukunft den Truppenübungsplatz. Fotos: A. Becher

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Erstellt:
24. November 2020, 06:00 Uhr

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