Württembergischer Kunstverein
Im Feuerwerk der Verstrickungen
In vier „Konstellationen“ nähert sich der Württembergische Kunstverein Stuttgart der eigenen Geschichte. „Konstellation 2“ setzt das Prinzip der Überforderung fort. Passt das?

© wkv stuttgart
Iris Dressler und Hans D. Christ leiten gemeinsam den Württembergischen Kunstverein Stuttgart
Von Nikolai B. Forstbauer
Wo und womit beginnt eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst? Auch danach fragen Iris Dressler und Hans D. Christ, wenn sie als Leitungsduo des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart über sich ständig erweiternde Blicke zurück in die 2027 200-jährige Kunstvereinsgeschichte ein Feuerwerk der Verstrickungen zünden. Monarchie, Kolonialismus, Nationalismus und Nationalsozialismus sind Stichworte, die eine Gegenrede provozieren. Dressler und Christ benennen drei Eckpunkte: „die Konstitution des (weißen, männlichen) Bürgers als Souverän, der Freiheit der Kunst und der Nationenbildung“.
Mit „Konstellation 2“ ist im Vierecksaal des Kunstgebäudes Stuttgart der zweite Teil einer Ausstellungsreihe zu sehen, „die mögliche Anschlüsse zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft reflektiert“. Erneut als „offenes Arrangement zwischen Ausstellung, Archiv und Werkstatt.“ Und ja – dieses Arrangement „ist vom Suchen, Sichten, Hinterfragen, von Lücken, Unerwartetem, Vorläufigem und neuen Fragen geprägt“.
Das Suchen und das Finden haben es in sich. Etwa, wenn sich mit Yvonne P. Doderers Diagramm „In/Visibel“ von 2018 die Bau- und Abrissgeschichte des von Erich Mendelsohn konzipierten, 1928 eröffneten Kaufhauses von Salman und Simon Schocken zwischen Weimarer Republik, heraufziehendem und dann herrschendem Nationalsozialismus sowie demokratischem Neuanfang zu einer sich immer weiter verzweigenden Analyse nur zu gern verdrängter Beteiligung der Gesellschaft an der Anbahnung und Sicherung Hitler-Deutschlands auswächst.
Droht sich aber nicht solches Überschreiben historischer Abläufe in den Verästelungen zu verlieren? Weit eher entsteht in der Identifikation der Folgen bis in die Gegenwart eine eigene Härte. Erst recht, wenn man Doderers Aufarbeitung über die Folge „Visualizing Black America“ von W.E.B. Du Bois (1868-1963) legt. Für die Pariser Weltausstellung 1900 entstanden, zeigen 63 Tafeln Studien über das Leben von Afroamerikanern. Überdeutlich wird mit den Datensätzen, wie sehr die doppelte Realität – die Nachwirkung von Sklaverei und die Gegenwart des Rassismus sowie die Ausbildung einer gut ausgebildeten neuen Mittelschicht – in der Folgezeit in den USA wie in Europa durch Machterhalt dienende Rassenideologien überlagert werden.
Erinnerung an Otto Hirsch
Was das mit dem 2027 zu feiernden Jubiläum 200 Jahre Württembergischer Kunstverein Stuttgart zu tun hat? Mitgründer zählten zu den führenden Köpfen württembergischer Kolonial-Ideen. Und umgekehrt war Otto Hirsch 1926 Mitgründer des Stuttgarter Lehrhauses, aus dem 1933 die Jüdische Kunstgemeinschaft hervorging. Diese sicherte über Ausstellungen im Sieglehaus jenen Künstlerinnen und Künstlern, die der Württembergische Kunstverein schon vor der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 vorausgreifend ausgeschlossen hatte, zumindest eine Teilöffentlichkeit.
Hirsch, 1933 als Vorsitzender der Reichsvertretung der deutschen Juden nach Berlin übergesiedelt, entkommt den staatlichen Mördern nicht – drei Tage nach seiner Verhaftung am 16. Juni 1941 stirbt er im Konzentrationslager Mauthausen.
Schon der Auftakt von „Konstellation 2“ fesselt. Eine feine Auswahl an Fotos von Walter Renz (1908-1998) schärft die Aufmerksamkeit für Zwischentöne. Wenn Renz vor wie nach 1945 auf dem Cannstatter Volksfest fotografiert, kann auch das NS-Dekor nicht die Armut verstecken, überlagert nach 1945 auch der Aufbruch-Werbespruch nicht die Sehnsucht nach verdeckender Bruchlosigkeit. Mindestens so wichtig sind die Scherenschnitte von Luise Duttenhofer (1776-1829). Sie identifiziert das alles durchziehende gesellschaftliche Regelwerk als Fessel längst möglicher Antritte und antwortet auf den männlichen Machtanspruch mit Ironie. „Grenzen der Weiblichkeit“? Werden, zeigt sie, schon bei einer Kutschfahrt gesetzt.
„200 Jahre Gegenwart. Konstellation 2: Der Kunstverein und die ungelösten Probleme der bürgerlichen Gesellschaft“: bis 3. August, Di-So 11-18, Mi 11-20 Uhr, WKV, Schlossplatz 2, Stuttgart, wkv-stuttgart.de