Massenproteste in Israel

Im Friseursalon belagert

In Israel erreichen die Proteste gegen die Justizreform der Regierung von Premier Netanjahu eine neue Intensität.

Immer mehr Israelis demonstrieren gegen die Regierung.

© dpa/Ilia Yefimovich

Immer mehr Israelis demonstrieren gegen die Regierung.

Von Mareike Enghusen

Im Streit um die geplante Justizreform der israelischen Regierung verschärfen beide Seiten die Mittel – mit teils absurden, teils womöglich auch gefährlichen Folgen. Das bekam in der vergangenen Woche Sara Netanjahu zu spüren, die Frau des israelischen Ministerpräsidenten. Sie, der eine Schwäche für Luxus nachgesagt wird, besuchte am vergangenen Mittwoch einen vornehmen Friseursalon in Tel Aviv. Dabei wurde sie von Passanten erkannt, die die Neuigkeit schnell verbreiteten. Innerhalb kurzer Zeit versammelten sich Tausende Reformgegner vor dem Salon, ausgestattet mit schnell improvisierten Plakaten, und hinderten Sara Netanjahu drei Stunden lang daran, das Geschäft zu verlassen. Sicherheitskräfte geleiteten die frisch frisierte Premiersgattin schließlich nach draußen.

Auch eine Schnellstraße wurde belagert

Auch bei den wöchentlichen Demonstrationen wird die Stimmung gereizter. Am vergangenen Samstagabend gingen in Tel Aviv und anderen großen Städten eine Viertelmillion Menschen auf die Straße – die höchste Zahl seit Beginn der Proteste und eine beeindruckende dazu, schließlich hat Israel nur neuneinhalb Millionen Einwohner. Einige von ihnen blockierten eine wichtige Schnellstraße, woraufhin die Polizei Wasserwerfer einsetzte und mehrere Demonstranten festnahm. Israelischen Medienberichten zufolge soll Itamar Ben-Gvir, der rechtsextreme Minister für nationale Sicherheit, zuvor auf ein härteres Vorgehen der Beamten gedrungen haben.

Benjamin Netanjahus rechts-religiöse Regierung, seit Ende Dezember im Amt, treibt derweil ihre Pläne mit erheblicher Eile voran. Bislang konnte das Oberste Gericht Gesetzesvorhaben stoppen, wenn diese den Grundgesetzen zuwiderliefen; in Zukunft soll eine einfache Parlamentsmehrheit solche Gerichtsentscheidungen aufheben können. Zudem soll die Regierung mehr Einfluss auf die Ernennung von Richtern erhalten. Davon könnte wohl Netanjahu persönlich profitieren, gegen den ein Prozess wegen Verdacht auf Betrug, Bestechlichkeit und Untreue läuft.

Der Konflikt greift auf immer mehr Gesellschaftsbereiche über. Investoren, Hightechfirmen und einfache Bürger schaffen ihr Geld aus dem Land. Und nun droht selbst die Armee unter dem Streit zu leiden: Es melden sich pensionierte Generäle, frühere Armeechefs und einstige Elitesoldaten zu Wort, die die Regierung zur Umkehr aufrufen. Reservisten verweigern den Dienst oder drohen damit. Manchen Einheiten soll es bereits schwerer fallen, Reservisten einzuberufen.

Das Verhältnis zu den USA leidet

Zu alledem ist auch noch die für Israel so wichtige Beziehung zu den USA belastet. Nachdem US-Diplomaten vorsichtige Kritik an der geplanten Reform geübt hatten, gingen israelische Minister den großen Partner äußerst undiplomatisch an. Und spätestens die Forderung des Finanzministers Bezalel Smotrich vergangene Woche, das Dorf eines palästinensischen Terroristen „auszulöschen“, scheint die US-Regierung ihrerseits zu einer härteren Gangart zu bewegen. Sie soll darüber nachdenken, Smotrich die Einreise in die USA zu verweigern.

Die Krise kommt für Israel zu einer äußerst ungünstigen Zeit. Dessen Erzfeind Iran treibt sein Atomprogramm immer weiter voran, nicht mehr viel trennt das Regime Experten zufolge vom Bau einer Bombe. Nicht ohne Grund drohte Netanjahu Teheran am Sonntag wieder einmal indirekt mit einem Militärschlag. Doch auch er dürfte wissen: Mit den mächtigen USA im Rücken würde die Drohung mehr Eindruck machen.

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Erstellt:
6. März 2023, 16:38 Uhr

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