Im Schlachthof war das erste Hallenbad

Blick in das Archiv von Peter Wolf: In den Etzwiesen entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts ein Gaswerk und ein neuer Schlachthof. Der erste Backnanger Fußballverein erhielt eine Sportanlage.

Schlachthof in den Etzwiesen in den 1910er-Jahren. Dahinter das Gaswerk mit einem Gaskessel. Repros: P. Wolf

© Peter Wolf

Schlachthof in den Etzwiesen in den 1910er-Jahren. Dahinter das Gaswerk mit einem Gaskessel. Repros: P. Wolf

Von Claudia Ackermann

BACKNANG. Auf Ansichtskarten waren früher meist die Sehenswürdigkeiten einer Stadt abgebildet. Heute mag es merkwürdig wirken, dass auch aufwendig kolorierte Bilder vom Schlachthof verschickt wurden. Aber ein Schlachthof war eine wichtige Einrichtung für die Stadt. Fast romantisch wirkt das Erscheinungsbild mit den unterschiedlichen Dachformen und dem Turm, der das Gebäudeensemble überragte.

Zur Geschichte des Schlachthofs informiert das Backnang-Lexikon, dass die Stadt im Jahr 1851 zunächst in der Sulzbacher Vorstadt (spätere Staige 5) ein erstes Schlachthaus für die Großviehschlachtung errichtete. Es wurde im März 1881 an die ein Jahr zuvor gegründete Fleischerinnung Backnang verkauft. Unhaltbare Zustände der Kleinviehschlachtungen und unzureichende hygienische Verhältnisse führten jedoch dazu, dass die Stadt 1907 in den Etzwiesen einen neuen Schlachthof errichten ließ. Es entstand eine Anlage, die den damals modernsten hygienischen und technischen Anforderungen entsprach.

Eine weitere Neuheit wurde in Backnang eingeführt: Im neuen Schlachthof befand sich das erste Backnanger Hallenbad. Es hatte ein Schwimmbecken von 24 Quadratmetern, sieben Wannenbäder und ein Dampfkastenbad. In einem Plan von 1907 ist ersichtlich, dass in der Badeanstalt ein Raum für den „Bad-Meister“ vorgesehen war, außerdem gab es „Auskleide-Zellen“ und die Wannenbäder waren in eine erste und eine zweite Klasse aufgeteilt. Das „Bassin“ maß vier auf sechs Meter.

„Oder sie saßen auf der geheizten Bank und klopften Sprüche.“

In seinem Büchlein „Backnanger Gschichtla Nr. 4“ von 2019 erinnert sich Heiner Kirschmer an das „Schlachthofbad“. Als Wasserzulauf dienten zwei goldfarbene Löwenköpfe, und die Umkleidezellen waren nach vorne offen. Heiner Kirschmer trat 1954 in den Schwimmverein Backnang ein. Die Badeanstalt im Schlachthof war im Winter die einzige Möglichkeit zum Schwimmen. Im Sommer konnte man auch mit der Murr vorliebnehmen. Abends trainierte er mit einer Gruppe von 15 Jungs. Nur zwei Schwimmer konnten gleichzeitig in dem kleinen „Bädle“ ihre Bahnen ziehen. Die anderen standen unter den heißen Duschen, die den Raum mit Dampfnebel füllten. „Oder sie saßen auf der geheizten Bank und klopften Sprüche“, heißt es in Kirschmers Erzählung. Ab 1962 wurde dann ein neues Hallenbad im hinteren Teil der Bleichwiese gebaut, das im September 1965 öffnete.

Neben dem Schlachthof befand sich eine Baracke (auf dem Foto aus den 1910er-Jahren zwischen Türmchen und Schornstein). Hier zog 1974 das Backnanger Jugendzentrum ein. Das heute älteste selbstverwaltete Jugendzentrum Deutschlands war 1971 in einer Baracke im Heininger Weg gegründet worden, die jedoch drei Jahre später teilweise abbrannte. Bis 1985 kam das Juze in der Baracke am Schlachthof unter, bis sie wegen Baufälligkeit abgerissen werden musste. Erst zwei Jahre später fand das Jugendzentrum ein neues Domizil in der ehemaligen Schreinerei der Firma Kaelble in der Mühlstraße.

Trotz grundlegender Modernisierungen des städtischen Schlachthofs in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ging die Zahl der Schlachtungen zurück, sodass der Betrieb defizitär wurde, heißt es im Backnang-Lexikon weiter. Nachdem Metzger und Viehhändler Georg Bockstadt das komplette Areal gekauft hatte, erfolgte zum 1. Januar 1982 die Privatisierung des städtischen Schlachthofs. Aus wirtschaftlichen Gründen musste Bockstadt den Betrieb 2001 aufgeben. Ein Jahr später wurden sämtliche Gebäude abgerissen. Es entstand auf dem Areal eine Aldi-Filiale.

An der heutigen Schlachthofstraße befand sich früher auch das Backnanger Gaswerk. Im Jahr 1901 gründeten einige Backnanger und Stuttgarter Bürger sowie die Johannesfelder Maschinenfabrik in Erfurt die private Aktiengesellschaft Gaswerk Backnang, erfährt man im Backnang-Lexikon. An der heutigen Schlachthofstraße entstand ein Gaswerk mit zunächst einem, ab 1916 zwei Gaskesseln. 1919 löste man die Aktiengesellschaft auf, der Betrieb und das Personal wurden vollständig von der Stadt übernommen. Der Bau einer Spaltgasanlage löste 1963 die Gewinnung von Gas aus Kohle ab. Ab 1975 lieferte das Gaswerk ein neues Flüssiggas-Luft-Gemisch, und 1982 erfolgte der Anschluss an das Europäische Erdgasverbundnetz und damit die Umstellung auf Erdgas.

Fußballer mussten sich vorläufigin der Murr waschen.

Die Etzwiesen sollten in den 1920er-Jahren auch für den Sport von Bedeutung werden. Die heutige TSG Backnang 1919 wurde als erster Backnanger Fußballverein unter dem Namen FV Backnang gegründet. In den Jahren 1924/25 setzten sich Karl Sommer und Albert Hermann für den Kauf eines Sportgeländes in den Etzwiesen ein. Ein Darlehen von der Stadt, eigene Mittel sowie eine Sammlung bei der Industrie und den Sportfreunden der Stadt erbrachte die notwendige Summe von 15000 Reichsmark für den Platz, Umkleideräume und eine kleine Tribüne, informiert die Website des Vereins. Im September 1925 konnte die vereinseigene Anlage mit dem ersten Spiel eingeweiht werden. Mit den sanitären Anlagen gab es allerdings noch Probleme, sodass sich die Spieler vorläufig in der Murr waschen mussten. Das Wirtschaftsgebäude wurde 1928 gebaut, vom Verein zunächst gepachtet und schließlich gekauft. Im selben Jahr bohrte man auf dem Sportgelände einen Tiefbrunnen, der über eine einfache Handpumpe einen Waschtrog speiste.

In den 1930er-Jahren wurde zur Überquerung des Murrtals das 435 Meter lange und 28 Meter hohe Murrtalviadukt errichtet, heißt es im Backnang-Lexikon weiter. Es überspannte das Tal in zwei großen Bögen. Bei der Freigabe am 15. August 1938 war das Murrtalviadukt die viertgrößte Stahlbetonbrücke Deutschlands. Der Entwurf stammte von dem renommierten Architekten Paul Bonatz, dem Schöpfer des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Kurz vor Kriegsende sprengten am 20. April 1945 deutsche Truppen das Murrtalviadukt.

1947 bis 1949 erfolgte der Wiederaufbau unter Einbeziehung der erhaltenen Betonstützen, wobei die beiden Bögen nun als Stahlkonstruktion errichtet wurden. In den Jahren 2009 bis 2011 baute man neben der Brücke eine neue Stahlbetonbrücke. Der Abbruch der alten Brücke erfolgte im Jahr 2013.

Das Murrtalviadukt beim Bau 1937. Damals war das Viadukt die viertgrößte Stahlbetonbrücke Deutschlands. 1945 wurde das Bauwerk gesprengt.

Das Murrtalviadukt beim Bau 1937. Damals war das Viadukt die viertgrößte Stahlbetonbrücke Deutschlands. 1945 wurde das Bauwerk gesprengt.

Ungesichert arbeiten die Männer in schwindelnder Höhe beim Wiederaufbau des Viadukts zwischen 1947 und 1949. Rechts im Bild Friedrich Böhle.

Ungesichert arbeiten die Männer in schwindelnder Höhe beim Wiederaufbau des Viadukts zwischen 1947 und 1949. Rechts im Bild Friedrich Böhle.

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Erstellt:
19. April 2021, 11:30 Uhr

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