„Im Wald ist es schon fünf nach zwölf“

Waldbauer Gerhard Seiter aus Auenwald wirft den Staatswaldverantwortlichen Kahlschlag vor. Forstbezirksleiter Martin Röhrs verteidigt die Baumfällungen.

Von „Raubbau mit dem vorhandenen Hochwald“ spricht Gerhard Seiter (vierter von rechts). Forstbezirksleiter Martin Röhrs (zweiter von rechts) erklärt, warum so viele Buchen weichen mussten. Fotos: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Von „Raubbau mit dem vorhandenen Hochwald“ spricht Gerhard Seiter (vierter von rechts). Forstbezirksleiter Martin Röhrs (zweiter von rechts) erklärt, warum so viele Buchen weichen mussten. Fotos: J. Fiedler

Von Florian Muhl

AUENWALD. Kahlschlag wirft Gerhard Seiter dem Forst Baden-Württemberg vor, der zuständig ist für den hiesigen Staatswald. „Hier in Auenwald im Schlegelsberger Wald wird meines Erachtens Raubbau mit dem vorhandenen Hochwald betrieben“, schreibt der ehemalige Gemeinderat aus dem Heslachhof an die Adresse des zuständigen Forstbezirksleiter Martin Röhrs. „Die meisten Buchen – ob krank oder gesund – werden zur Zeit gefällt“, so der Vorwurf des Waldbauers, der selbst fünf Hektar Wald besitzt.

Man könnte meinen: Freunde werden Seiter und Röhrs nicht, nicht in diesem Leben. Weit gefehlt. „Herr Seiter, ich bin Ihnen dankbar, weil unser Thema Wald bei allen anderen Themen, die wir gerade haben, immer in den Hintergrund tritt“, gesteht Röhrs bei einem Vor-Ort-Termin gerne ein. Am Ende diesen Termins im Wald sagt auch Seiter lobende Worte: „Die Führung durch die Forstverwaltung war für mich sehr interessant und lehrreich. (...) Mein Fazit: etwas weniger Einschlag wäre mehr gewesen!“

Doch Seiter ist auch frustriert, um nicht zu sagen stink sauer. Denn er hatte zu diesem kleinen Waldrundgang mit den leitenden Experten des Forstbezirks auch Politiker eingeladen, drei Abgeordnete und einen Kandidaten unterschiedlicher Couleur. Und keiner war gekommen. „Der Klimaschutz ist noch nicht bei allen angekommen. Die Politik sonnt sich noch in Parolen und macht damit Wahlkampf. Verlogenheit pur“, kommentiert Seiter verärgert. Erfreut zeigt sich der Privatwaldbesitzer vom Heslachhof dagegen über das Beschwerdemanagement im Forstbezirk. Für diesen Geschäftsbereich ist Tobias Horwath zuständig. Der Stellvertreter von Röhrs hatte sich nicht nur umgehend die von Seiter beanstandete Holzerntemaßnahme angesehen, sondern ihm auch rasch auf die vorgetragene Kritik umfangreich geantwortet und hatte zudem den Vorschlag unterbreitet, sich vor Ort zu treffen, um die Forstmaßnahmen zu erläutern.

Bei diesem Termin dieser Tage geht auch Röhrs auf die gravierenden Trockenschäden im Wald ein: „Es ist fünf nach zwölf, nicht fünf vor zwölf.“ Der normale Waldbesucher nehme den Wald bloß noch „als Kulisse für seine Erholungssuche“ wahr. Der Forstbezirksleiter zeigt auf den gegenüberliegenden Hang: „Da drüben ist ein Stück Gemeindewald, dann kommt Staatswald und dann noch Privatwald.“ Seiter nickt zustimmend. „Wenn Sie da drüben den Wald anschauen – Absterbeerscheinungen ohne Ende“, sagt Röhrs, der den Flecken bestens kennt, da er dort in seiner Freizeit oft unterwegs. „Richtig, ohne Zweifel“, pflichtet Seiter erneut bei. Röhrs gesteht zu, dass es für einen Laien momentan schwierig sei, Trockenschäden bei Bäumen zu erkennen, da die Laubfärbung schon weit fortgeschritten ist. „Im März sah da drüben noch alles gut aus, weil wir die absterbenden Bäume bereits im letzten Jahr weggemacht hatten“, erläutert Röhrs. „Dann hat sich das aber mit dem trockenen April wieder verändert. Und jetzt, innerhalb der wenigen Monate, stehen da nun schon einzelne Baume, die ganz dürr und tot sind.“

Eine Hitzeperiode mit Trockenheit sei purer Stress für die Bäume. Solche, die schon ausgeschlagen hätten, würden dann aufgeben. „Solche Effekte haben wir erstmals 2003 gesehen“, sagt Röhrs. Dann habe sich das Phänomen verlangsamt, „aber seit 2018 hat sich die Situation leider wieder verschärft“.

Die Waldflächen am Schlegelsberg befinden sich in einer süd- beziehungsweise süd-west-exponierten Lage. „Dadurch treten die Trockenschäden an der Buche sehr massiv auf“, erläutert Tobias Horwath. Doch als sich die kleine Gruppe einem größeren Stapel von Buchenstämmen nähert, schüttelt Seiter den Kopf: „Da ist doch mindestens jeder zweite gesund.“ Eine Diskussion über geringste Anzeichen von Trockenschäden beginnt. Horwath erklärt, warum Revierleiter Hans-Joachim Bek Holzerntemaßnahmen durchgeführt hat. „Zum einen werden geschädigte Bäume entnommen deren Holz nur noch jetzt einer stofflichen Verwertung zugeführt werden kann, da die Bäume im nächsten Jahr vollständig abgestorben wären und zudem ein hohes Sicherheitsrisiko für alle zukünftigen Forstarbeiten darstellen würden.“ Des Weiteren würden Bäume wie Kiefer, Eiche und Elsbeere gefördert werden. Von diesen erwarte man, dass sie auch bei zunehmenden Temperaturen und anhaltenden Trockenphasen unter diesen Standortvoraussetzungen wachsen können.

„Bedingt durch die Schäden an der Buche mag der Eingriff sehr stark erscheinen“, gesteht auch Horwath ein. Aber nach seiner Einschätzung werde die Holzmenge die von der Forsteinrichtung in zehn Jahren vorgesehene Holzmenge nicht überschreiten. „In Normaljahren hätten wir die Holzmenge sicherlich in zwei Eingriffen vollzogen, bedingt durch die genannten Gründe fällt die Holzmenge nun jedoch in einem Eingriff an“, sagt der stellvertretende Forstbezirksleiter. Seiter ist noch nicht überzeugt. Er hält den Holzeinschlag vor Ort für „total überzogen und kontraproduktiv gegen den leider fortschreitenden Klimawandel“.

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Erstellt:
28. Oktober 2020, 06:00 Uhr

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