In drei Modulen zu einem neuen Leben

Staatsministerin Annette Widmann-Mauz macht sich auf Einladung des Jobcenters Rems-Murr bei einem Besuch in Backnang ein Bild von einer Maßnahme zur Arbeitsintegration speziell für Frauen mit Migrationshintergrund.

Staatsministerin Annette Widmann-Mauz (links) lässt sich von Anja Kaliwoda das Integrationsprojekt FAM3 erklären. Damit sich die Frauen um ihre berufliche Zukunft kümmern können, werden die Kinder parallel betreut. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Staatsministerin Annette Widmann-Mauz (links) lässt sich von Anja Kaliwoda das Integrationsprojekt FAM3 erklären. Damit sich die Frauen um ihre berufliche Zukunft kümmern können, werden die Kinder parallel betreut. Foto: A. Becher

Von Bernhard Romanowski

BACKNANG. Um sich ein Bild davon zu machen, wie die Maßnahme läuft, besuchte Annette Widmann-Mauz (CDU), die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, am Montagmorgen die Eduard-Breuninger Straße 67. Im Gebäude 9b auf dem Tesat-Gelände befindet sich eine Außenstelle der Dienstleistungsagentur Donner &Partner, die dort mit ihrem speziellen Bildungsangebot vertreten ist. Das Angebot heißt FAM3, richtet sich an Frauen mit Migrationshintergrund, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß fassen wollen, und wird vom Jobcenter Rems-Murr betreut. Ebenfalls dort zu Gast: Christian Rauch, der Vorsitzende Geschäftsführer der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit. Die Gäste wurden von Gunnar Schwab begrüßt, der die Geschäfte des Jobcenters Rems-Murr in Waiblingen führt.

In der Maßnahme FAM3 werden den Frauen – die meisten von ihnen stammen aus dem syrisch-arabischen Raum – die Kenntnisse beigebracht, die sie brauchen, um bei der Suche nach Ausbildungs- und Arbeitsplatz gute Erfolgsaussichten zu haben und sich ein Leben in der neuen Heimat aufbauen zu können. Das Ganze ist in drei Module gegliedert. Jedes Modul deckt unterschiedliche Kenntnisse ab, angefangen beim Spracherwerb über kulturelle Aspekte bis hin zur Wissensvermittlung zum Thema Arbeitsmarkt und Bewerbung.

„Mit dieser ganzheitlichen Betreuung ist es uns nicht nur möglich, den Teilnehmerinnen bürokratische Unterstützung zu geben, sondern auch bei allen anderen Fragen hilfreiche Ansprechpartner zu sein“, heißt es von Donner&Partner zu der Bildungsmaßnahme. Das Unternehmen wurde am Montag von Anja Kaliwoda vertreten, der Regionalleiterin der Dienstleistungsfirma in Backnang. In den vergangenen Jahren habe sich herauskristallisiert, dass die Sprache zu lernen oft nicht ausreiche für eine gelungene Integration in einem fremden Land. Darum gehöre auch eine entsprechende Aufklärungsarbeit über das Alltagsleben in Deutschland ebenso zu der Bildungsmaßnahme wie die Begleitung bei Behördengängen oder zum Arzt, bei Gesprächen mit Vermietern, Arbeitgebern oder den Mitarbeitern in Kita und Schule, da viele der Frauen schließlich auch Kinder haben, die in hiesigen Einrichtungen betreut werden.

Es sei wichtig, Hemmnisse abzubauen, erläuterte auch Kathrin Zanner, die als Coach im direkten Kontakt mit den Teilnehmerinnen steht. Denn in einem neuen Land und ohne die notwendigen Sprachkenntnisse sind selbst Dinge wie Einkaufen oder Busfahren eine Herausforderung, ganz zu schweigen von behördlichen Angelegenheiten. Zu sehen, wie die Teilnehmerinnen wachsen und sich peu à peu in die deutsche Kultur einleben, mache ihren Job so interessant. Zudem habe man es mit Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und jeweils anderem Hintergrund zu tun, so Zanners Kollegin Friederike Steffens. Was ist höflich hierzulande? Welche Stellung hat die Frau in der deutschen Gesellschaft? Wie funktioniert die Mülltrennung, wie verschickt man ein Paket? All diese Fragen gelte es, zu behandeln. Dazu seien einfühlsame Dolmetscher gefragt, so Steffens weiter. Nicht zuletzt in diesem Punkt laufe die Zusammenarbeit mit dem Jobcenter sehr gut. Als dessen Mitarbeiterin betonte denn auch Fatou Aicha Hallitschke das besondere Ansinnen der Betreuer: „Wir verfolgen genau, wo die Frauen stehen, was noch fehlt, um erfolgreich zu sein. Wir können sie hier viel früher aktivieren und ihnen etwas anbieten.“

Das Vertrauen zu dem Angebot musste anfangs hart erkämpft werden.

Früher habe man eher die Devise verfolgt, die Frauen, deren Kinder noch klein sind, in Ruhe zu lassen, blickte Widmann-Mauz selber kurz zurück auf die Historie der Integrationsarbeit in Deutschland. Heute sei das anders und zeitige auch bessere Erfolge, so die Staatsministerin. Besonders wichtig sei es, Vertrauen aufzubauen, ergänzte Hallitschke aus ihrer Erfahrung mit den Teilnehmerinnen im Raum Backnang. Das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Betreuungskräfte sei anfangs hart erkämpft worden, besonders mit Blick auf die Männer der Teilnehmerinnen.

Deren Teilnahme an den Treffen wurde deshalb in der Anfangszeit der Maßnahme untersagt. „Und wie haben die Männer reagiert?“, fragte Widmann-Mauz. Einige Frauen seien daraufhin zum Teil nicht mehr erschienen. Die Betreuerinnen mussten immer wieder nachhaken, um den Frauen, und somit eben auch den Männern, die Nützlichkeit, ja Notwendigkeit des Angebots klarzumachen. Hallitschke: „Das ist anstrengend, aber es ist der richtige Weg.“ Bei einem Snack berichtete Anja Kaliwoda der Staatsministerin auch von einigen Schwierigkeiten, die Anbietern von Dienstleistungen wie Donner&Partner die Arbeit erschweren. Nicht immer sei der Umgang mit staatlichen Institutionen und Behörden sehr konstruktiv und auch von Zuständigkeitsgerangel geprägt. Etwa was die Anerkennung der Einrichtung in Backnang als offene Kindertagesstätte angeht, so Kaliwoda. Widmann-Mauz bat daraufhin um eine E-Mail und versprach, sich mit der Angelegenheit auch nach dem Ortstermin noch zu befassen. Es gibt nämlich auch eine Kinderbeaufsichtigung im Rahmen der Maßnahme, um den Teilnehmerinnen den notwendigen Freiraum während der Kurse zu verschaffen. Ziel ist es dabei auch, den Übergang in ein Regelbetreuungsangebot für Kinder zu organisieren.

Bei ihrem Besuch in Backnang wurde die Staatsministerin auch einer Reihe von Frauen vorgestellt, die gerade die Fam3-Maßnahme durchlaufen. Die Teilnehmerinnen stellten sich vor und sprachen, teilweise von einer Dolmetscherin übersetzt, über ihre bislang erreichten Erfolge und ihre Ziele auf dem weiteren Lebensweg. Mehrfach war Krankenschwester als Berufswunsch zu hören. Tharwat Muhammad, eine 43-jährige Frau aus Syrien, die seit anderthalb Jahren in Deutschland lebt, möchte später einmal ein kleines Restaurant eröffnen. Ihr Mann, der seit fünf Jahren in Deutschland ist, ermutigt sie sehr zum Lernen, sagt sie. Rama Sane, eine junge Frau aus Nigeria, lobte derweil die Fachkräfte der Maßnahme: „Sie sind sehr nett und ermutigen uns immer.“ Auch der Kontakt der Teilnehmerinnen untereinander werde mitunter etwa durch gemeinsames Kochen gefördert, so Sane, die seit drei Jahren in Deutschland lebt. Eine kritische Anmerkung – nicht zum Maßnahmenangebot, wohl aber zur deutschen Bürokratie – lieferte Yousra Said, die aus Syrien stammt und dort laut eigener Aussage 18 Jahre als Biologie- und Chemielehrerin tätig war.

Ihr Studium und ihre Lehrerfahrung würden leider in Baden-Württemberg nicht anerkannt. Sie müsste, um als Kindererzieherin arbeiten zu können, ein einjähriges Zweitstudium in Pädagogik nachholen, so die Syrerin. Ihre Schwester, die einen weniger hoch qualifizierten pädagogischen Berufshintergrund habe als sie und in Leipzig lebe, dürfe dort indessen in der Kinderbetreuung arbeiten und habe ihr auch bereits geraten, dort hinzukommen und zu arbeiten.

Lehrer sei ein sehr reglementierter Beruf, dessen Zugangsberechtigungen tatsächlich nicht in allen Bundesländern gleich seien, gab Widmann-Mauz zu verstehen. Sie sehe es aber durchaus als Ziel, die immigrierten Menschen möglichst in jenem Bereich arbeiten zu lassen, in dem sie eine entsprechende Vorbildung erworben haben.

Die häufigsten acht Herkunftsländer der zurzeit 2850 geflüchteten Menschen, um die sich das Jobcenter Rems-Murr kümmert, sind Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien. 1200 (43 Prozent) dieser Geflüchteten sind Frauen, davon 150 alleinerziehend.

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Erstellt:
13. Oktober 2020, 06:00 Uhr

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