Papst Leo XIV hat lange in Peru gelebt
In Gummistiefeln im Schlamm
Klimawandel, Armutsmigration und Terrorismus: Papst Leo XIV. hat in seiner südamerikanischen Zeit alles miterlebt, was die moderne Zeit an Problemen mitbringt. Das dürfte ihm das Rüstzeug geben, sich in einer polarisierten Welt Gehör zu verschaffen.

© PAUL SUNCION/AFP
Ein Geistlicher zum Anfassen: der heutige Papst Robert Francis Prevost, damals noch Bischof, bei einem Besuch in der peruanischen Stadt Chulucanas.
Von Tobias Käufer
In Windeseile füllten sich in Peru in den Stunden nach der Papstwahl die sozialen Netzwerke: Gepostet wurden Fotos und Videos von Papst Leo XIV. aus dessen peruanischer Zeit. Sie stammen aus der Epoche, als er sich noch als Bischof Robert Prevost in der Diözese Chiclayo um die Opfer der verheerenden Überschwemmungen kümmerte: „Er hat uns nie allein gelassen“, überschrieb die Zeitung „La Republica“ einen entsprechenden Clip. Es zeigt Prevost in schwarzen Gummistiefeln, kurzen weißen Haaren und grauer Hose. Um ihn herum wabert die braune Brühe, die bisweilen kniehoch in den Armenvierteln stand. Folgen verheerender Regenfälle des Wetterphänomens „El Nino“, die durch den Klimawandel noch einmal verstärkt wurden.
Die Bilder und Videos zeigen einen Bischof, der da ist für die Ärmsten der Armen. Der hingeht, wo es wehtut. Anders als der große Favorit vor dem Konklave – der italienische Kardinalsstaatssekretär Pietro Parolin – hat Prevost Erfahrung als Seelsorger in den Armenvierteln gesammelt und bringt spirituelle Erfahrung mit. „Von dem Moment an, als er in Peru ankam, verliebte er sich in das Land“, sagt Chiclayos heutiger Bischof Edinson Edgardo Farfan Cordova: „Ich bin überzeugt, dass Papst Leo XIV. die Linie der Gemeinschaft und der Nähe zu den Armen fortsetzen wird, die das Pontifikat von Franziskus geprägt hat.“ In seinem letzten Interview auf peruanischem Boden vor seiner Abreise nach Rom vor gut zwei Jahren sagte Prevost: „Es wird mir schwer fallen, all die Gemeinden zu verlassen.“ Es gibt Bilder, die Prevost zeigen, wie er auf peruanischen Pferden durch die Landschaft reitet oder am Grill hantiert. Er ist ein Bischof zum Anfassen.
Mit peruanischem Herz
Während US-Medien vom ersten „amerikanischen Papst“ sprechen, sehen die Lateinamerikaner in Prevost vor allem einen der ihren: „Robert Francis Prevost, der neue Papst: ein Pastor mit einem peruanischen Herzen“, schreibt das Portal „Peru 21“, während „Perfil“ kommentiert: „Prevosts Wahl stärkt die Verbindung zwischen Rom und Lateinamerika mit einer pastoralen, umsichtigen und zutiefst menschlichen Führung.“ Die Zeitung „La Razon“ stellt die doppelte Nationalität des Amerikaners heraus: „Der Papst ist Peruaner.“ Bilder von seinem peruanischen Pass gibt es ebenfalls.
Prevost hatte den Mut, sich auch als „Ausländer“ zu den innenpolitischen Irrungen und Wirrungen in Peru zu äußern. Er erlebte den linksextremen Terror des „Leuchtenden Pfades“ mit, Aufstieg und Fall des rechtsextremen Präsidenten Alberto Fujimori. Er sah mit welcher Macht die Drogenkartelle, die die Märkte in den USA und Europa mit Kokain und Fentanyl fluten, südamerikanische Länder unterwandern und destabilisieren. Gegen insgesamt fünf peruanische Präsidenten wurde während seines Aufenthaltes in Peru wegen Korruption ermittelt – quer durch alle politischen Lager. Die amtierende Präsidentin Dina Boluarte muss sich wegen illegal angeeigneter Rolex-Uhren erklären. Ein anderer Ex-Präsident nahm sich während der Ermittlungen mit einem Kopfschuss das Leben.
Gegenteil von US-Präsident Donald Trump
Als im Jahr 2017 die umstrittene Begnadigung von Perus Ex-Präsident Alberto Fujimori zum Thema wurde, forderte Prevost eine umfassende Entschuldigung des ehemaligen Staatschefs. Fujimori solle jedes einzelne Opfer seiner Regierungszeit um Verzeihung bitten, um einen Prozess der Versöhnung einleiten zu können, so Prevost damals. Fujimori habe eher allgemein von seiner Schuld gesprochen, was viele Menschen verletzt habe. „Vielleicht wäre es aus seiner Sicht wirkungsvoller, sich persönlich für einige der großen Ungerechtigkeiten zu entschuldigen, für die er verurteilt wurde“, sagte der heutige Papst. Fujimori war von 1990 bis 2000 Staatspräsident Perus. 2009 wurde er wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen zu 25 Jahren Haft verurteilt. Unter anderem hatte er arme indigene Frauen und Mädchen ohne deren Wissen sterilisieren lassen. Tochter Keiko Fujimori, die als Präsidentschaftskandidatin scheiterte, ließ wissen, sie hoffe, dass sein Pontifikat eines des Friedens werde.
Inzwischen ist in Lateinamerika ein Kampf um die Deutungshoheit des Pontifikats entbrannt. In den USA nennen ihn radikale Trump-Anhänger einen „woken Marxisten“, Kolumbiens Präsident Gustavo Petro fordert ihn auf, sich für die „gedemütigten Migranten“ in den USA einzusetzen. Mit Leo XIV. wird dem US-Präsidenten ein Amerikaner gegenübergestellt, der das Gegenteil von US-Präsident Donald Trump repräsentiert: Er baut Brücken und keine Mauern. Er steht auf der Seite der Armen und Ausgegrenzten“, sagt Pater Martin Maier, Chef des kirchlichen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat.
Auch Kritiker schmücken sich mit dem neuen Papst
Tatsächlich spielt das Thema Migration auch in Peru eine große Rolle. Das Land hat Hunderttausende Flüchtlinge aus Venezuela aufgenommen. Geflohen vor einem brutalen, menschenverachtenden linksextremen Regime von Machthaber Nicolas Maduro. Nun warten alle darauf, wie sich Papst Leo hier positioniert. Sein argentinischer Vorgänger Franziskus kritisierte immer wieder Trumps harte Migrationspolitik, vermied es aber, die Verursacher der Flüchtlingskrise, die linksextremen Diktaturen in Venezuela und Kuba öffentlich zu kritisieren.
Auch die Kritiker des argentinischen Papstes versuchen Leo XIV. für sich zu vereinnahmen: Im Heimatland von Franziskus veröffentlichte Argentiniens Präsident Javier Milei in den sozialen Netzwerken ein Bild des Papstes, das ihn mit einem Löwenkopf darstellt: „Die Mächte des Himmels haben ihr Urteil gefällt.“ Ein Löwe ist auch das Symbol der libertären Milei-Bewegung in Argentinien. Ob der neue Papst allerdings tatsächlich wirtschaftsliberal denkt, bleibt abzuwarten. Die argentinischen Bischöfe sehen Leo eher in der Nachfolge von Franziskus – eines Milei-Kritikers. Dieser will auf jeden Fall zur Amtseinführung nach Rom reisen.
Was besonders beeindruckt, bringt Uruguays Präsident Yamandu Orsi auf den Punkt: Der neue Papst habe freiwillig im globalen Süden gelebt, stellt der Linkspolitiker heraus. Statt einem gut versorgten Leben in Chicago in der reichen US-Kirche habe sich Leo für ein Leben an den Rändern entschieden: „Er hat seine Wurzeln freiwillig in Lateinamerika, und das ist gut so.“