Menschliche Evolution
In zwei Schritten zum aufrechten Gang
Schon vor fast zwölf Millionen Jahren war ein Menschenaffe auf zwei Beinen unterwegs. Der aufrechte Gang hat vor allem mit der Evolution des Beckens zu tun, wie Forscher herausgefunden haben.

© @ Michele Ehlert
CT Scan embryonaler Schimpansen: Bei der Studie spielt die Analyse von mehr als 120 embryonalen Gewebeproben von Menschen und anderen Primatenarten eine große Rolle.
Von Markus Brauer
Das Becken spielt eine Schlüsselrolle in der Evolution des aufrechten Gangs des Menschen. Über Millionen von Jahren hat sich seine Anatomie radikal verändert und letztlich zum Gang auf zwei Beinen geführt.
Eine neue Studie unter Leitung von Wissenschaftler der Harvard University und des Museums für Naturkunde Berlin hat nun die Schritte entschlüsseln können, die das menschliche Becken im Laufe von Millionen von Jahren so veränderten, dass zweibeiniges Gehen möglich wurde. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht.
Das Becken bei der Gattung Homo
Während unsere nächsten Verwandten, Menschenaffen wie Schimpansen und Gorillas, ein hohes, schmales Becken besitzen, das perfekt zum Klettern geeignet ist, hat der Mensch ein schüsselförmiges Becken.
Es bietet Ansatzstellen für die Muskeln, die es Menschen erlauben, beim Gehen und Laufen auf zwei Beinen das Gewicht gleichmäßig von einem Bein aufs andere zu verlagern und das Gleichgewicht zu halten.
Evolution in zwei Schritten
Die Studie zeigt nun, dass die Veränderungen in der Anatomie des Beckens maßgeblich in zwei Schritten erfolgten:
- Zum einen durch die Rotation einer Wachstumsfuge um 90 Grad, die dazu führte, dass das menschliche Illium (Darmbein, ein Knochen des Beckens) eine breite, statt eine hohe Form hat.
- Anschließend kam es in einem zweiten Schritt zu einer Veränderung in der zeitlichen Abfolge der Knochenformation während der Embryonalentwicklung, bei der die vollständige Verknöcherung des Beckens um ganze 16 Wochen verzögert wurde. Dies führte dazu, dass die Form des Beckens im Wachstum beibehalten werden konnte und die finale Geometrie fundamental verändert wurde.
Embryonalen Gewebeproben von Primaten untersucht
Die Studie identifiziert nicht nur über 300 Gene, die diese Veränderungen auf molekularer Ebene steuern, sondern analysiert sie auch im Kontext menschlicher Gendefekte, die die Beckenform beeinflussen.
Außerdem spielt die Analyse von mehr als 120 embryonalen Gewebeproben von Menschen und anderen Primatenarten – darunter auch wertvolles historisches Material von pränatalen Schimpansen aus der embryologischen Sammlung des Museums für Naturkunde Berlin eine Schlüsselrolle für die Studie, die mit histologischen und bildgebenden Verfahren untersucht wurden.
Mit Hilfe von CT-Scans konnten die Forscher diese historischen Proben neu auswerten und in die Studie integrieren.
„Die Studie zeigt eindrucksvoll, wie wertvoll naturkundliche Sammlungen sind und wie selbst historisches Material neue Antworten auf grundlegende Fragen zur Evolution liefern können“, betont Vivien Bothe, Wissenschaftlerin am Museum für Naturkunde und Mitautorin der Studie.
Veränderungen begannen bereits vor 8 Millionen Jahren
Die Ergebnisse legen nahe, dass der erste Schritt – die Rotation der Wachstumsfuge im Becken – bereits vor fünf bis acht Millionen Jahren stattfand, zu der Zeit, als sich die menschliche Linie von den der Linie der afrikanischen Menschenaffen abspaltete.
Mit der folgenden evolutiven Zunahme der Gehirngröße in der menschlichen Linie kam dann noch ein weiterer wichtiger Faktor hinzu und machte einen evolutiven Kompromiss notwendig: zwischen einem schmalen Becken geeignet für effizientes Laufen und einem breiten Becken für die Geburt von großköpfigem Nachwuchs.
Die Studie legt nahe, dass die zweite Veränderung, die Verzögerung der Verknöcherung des Beckens, in den letzten zwei Millionen Jahren der menschlichen Evolution auftrat.
„Unsere Arbeit integriert genetische, entwicklungsbiologische und paläontologische Ansätze und erzählt so eine umfassende Geschichte, wie der Mensch zum Zweibeiner wurde“, erklärt die Hauptautorin Gayani Senevirathne von der Harvard University.