Industriepräsident warnt vor zu großer Staatswirtschaft

dpa Hannover/Berlin. Die Corona-Folgen belasten die Industrie weiter massiv. Welche Rolle aber hat der Staat - und inwiefern kann die Krise auch eine Chance sein?

BDI-Präsident Dieter Kempf sprach von einem „geordneten Rückgang“ des Staates aus dem Wirtschaftsleben. Foto: Jörg Carstensen/dpa

BDI-Präsident Dieter Kempf sprach von einem „geordneten Rückgang“ des Staates aus dem Wirtschaftsleben. Foto: Jörg Carstensen/dpa

Industriepräsident Dieter Kempf hat vor einer zu großen Staatswirtschaft infolge der Coronakrise gewarnt.

Kempf sagte bei der Eröffnung der „Digital Days“ der Hannover Messe, die Politik habe nach Ausbruch der Krise schnell reagiert, um Firmen zu helfen. Im Zuge des Wiederhochfahrens der Wirtschaft müsse es aber nun einen „geordneten Rückgang“ des Staates aus dem Wirtschaftsleben geben. Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie betonte dabei das Modell der Sozialen Marktwirtschaft.

Hintergrund der Aussagen ist auch, dass sich der Staat neben der Lufthansa an etlichen weiteren angeschlagenen Unternehmen beteiligen könnte. Zentral sei, einen staatlichen Einstieg in einzelne Unternehmen stets an einen klaren „Exit-Plan“ zu koppeln, so Kempf. „Die wachsende Tendenz zum Staatsdirigismus verfolgt die deutsche Wirtschaft mit großer Sorge.“

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte, man dürfe nicht in die Lage kommen, in der sich alle in die „Hängematte“ legten und sagten, der Staat werde es schon richten. FDP-Fraktionsvize Michael Theurer sagte, die zunehmende Fokussierung auf den Staat als Unternehmer und Investor sei ein „Abgesang“ auf die Soziale Marktwirtschaft, die Deutschland wirtschaftspolitisch stark gemacht habe.

Altmaier warnte davor, als Folge der Corona-Krise die Globalisierung zurückzufahren. Zwar müssten Abhängigkeiten bei Lieferketten verringert werden. Die Globalisierung aber sei das „Herzstück“ des Erfolgs des deutschen marktwirtschaftlichen Modells. Der Minister verwies außerdem auf die Notwendigkeit, im internationalen Wettbewerb Zukunftstechnologien voranzutreiben wie Wasserstoff oder Künstliche Intelligenz. Dies sei auch ein Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.

Die Industrieschau Hannover Messe, die üblicherweise im April auf dem Messegelände stattfindet, wurde in diesem Jahr wegen der Corona-Krise abgesagt. Von Dienstag bis Mittwoch findet nun ein digitales Format statt, mit vielen virtuellen Konferenzen.

SAP-Vorstandsmitglied Thomas Saueressig sagte, die Corona-Krise beschleunige die Digitalisierung etwa in der Industrie, in der Bildung oder im Gesundheitswesen. Fertigung und Geschäftsmodelle müssten „agiler“ angepasst werden. Entscheidend sei es, in digitale Bildung zu investieren, um Top-Fachkräfte ausbilden zu können. Der Unternehmer Friedhelm Loh verwies auf die Bedeutung der Wertschöpfung aus Daten. Im internationalen Wettbewerb sei Datensouveränität ein „Muss“.

Deutschland und Frankreich treiben seit einiger Zeit das europäische Cloud- und Dateninfrastrukturprojekt Gaia-X voran. Dabei geht es darum, in Europa nicht alternativlos auf die großen IT-Konzerne aus den USA und China angewiesen zu sein.

Ein großes Thema in der Industrie sind auch umweltfreundliche Technologien. Sie bieten einer Studie zufolge milliardenschwere Geschäftsperspektiven für Maschinen- und Anlagenbauer. Die Unternehmensberatung Boston Consulting beziffert das globale Marktpotenzial in den kommenden drei Jahrzehnten auf mehr als 300 Milliarden Euro pro Jahr. Dies entspreche 12 bis 15 Prozent des gegenwärtigen Gesamtumsatzes der Branche und summiere sich bis zum Jahr 2050 auf rund 10 Billionen Euro.

Mit dem Einsatz modernster Technologien ließen sich die industriellen Emissionen des klimaschädlichen Co2 von derzeit rund 35 Gigatonnen um bis zu 86 Prozent senken, heißt es in der am Dienstag veröffentlichten Studie im Auftrag des deutschen Maschinenbau-Branchenverbandes VDMA.

© dpa-infocom, dpa:200714-99-785795/4

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Erstellt:
14. Juli 2020, 12:45 Uhr

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