Das Theater Rietenau führt durch Backnang

Das Rietenauer Stationentheater „Heimat auf der Spur“ gibt einen Einblick in die Jahrhunderte vom Mittelalter in Backnang bis in die Moderne.

An mehreren Stellen in Backnang geben die Mitglieder des Theaters Rietenau trotz Dauerregens mit urschwäbischem Humor Einblicke in die Backnanger Geschichte. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

An mehreren Stellen in Backnang geben die Mitglieder des Theaters Rietenau trotz Dauerregens mit urschwäbischem Humor Einblicke in die Backnanger Geschichte. Foto: Alexander Becher

Von Carmen Warstat

Backnang. Fast ununterbrochener Regen konnte das Theater Rietenau und seine Zuschauer am Sonntag nicht von ihrem Vorhaben abbringen, gemeinsam einen unterhaltsamen und lehrreichen Nachmittag zu gestalten und zu erleben. Stationentheater, größtenteils im Freien, hatte man geplant, und man realisierte diesen Plan mit einer kleinen Änderung dann auch – dem garstigen Wetter zum Trotz. „Is halt jetzt so“, begrüßte Albert Dietz vom mitveranstaltenden Schwäbischen Albverein die Zuschauer, und das Theaterteam war entschlossen, das Beste aus der Situation zu machen. „Es ehrt Sie, dass Sie das Sofa verlassen haben“, lachte Lea Butsch (Autorin und Regisseurin), die sich freute, denn gekommen waren etwa 40 Personen und damit kaum weniger als am Vortag bei freundlicherem Wetter.

Hochzeitsvorbereitungen und Klatsch und Tratsch in der Küche

Gespielt wurden Szenen aus Backnangs reichhaltiger Geschichte, kommentiert von den urschwäbischen Figuren Marie und Jakob und moderiert von der Regisseurin selbst. Da ist zunächst die Verheiratung der Hessonentochter Judith mit dem Markgrafen Hermann II. von Baden, die vorbereitet sein will, nicht zuletzt in der Küche. Also gibt es Klatsch und Tratsch der Frauen über die hohe Gesellschaft, wobei der Zuschauer wie nebenbei manches über die Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung erfährt. Jakob (gespielt von Rolf Butsch) trägt Heiter-Philosophisches bei und Lea Butsch berichtet über die Konsequenzen der Heirat für Backnang, beispielsweise die Gründung des Augustiner-Chorherrenstifts. Für „das profane Volk“ sollte später die Michaeliskirche errichtet werden, da die alte Kirche den Herren vom Stift vorbehalten blieb.

Dies wird ebenda, in der Stiftskirche also, in einer weiteren Szene dem Volk mitgeteilt – die Trennung zwischen Untertanen und Obrigkeit löst jedoch, ob der gewitzten Übersetzungen aus dem Lateinischen, Lacher aus, bevor ein Zeitsprung ins 16. Jahrhundert erfolgt, „in ein Jahrhundert von großen Umwälzungen und Unsicherheiten“.

Backnanger Bürger, nicht rebellierende Bauern haben die Stiftskirche geplündert

Lea Butsch erläutert, dass die Backnanger Chorherren sich 1525 bereits auf der Flucht vor der Reformation befanden und die Stiftskirche nicht von rebellierenden Bauern, sondern von Backnanger Bürgern geplündert wurde. Auch hier gibt es eine Szene des Austauschs der Armen miteinander. Bittere Arbeitsbedingungen von Bauern und Tagelöhnern sind dessen Gegenstand ebenso wie Meinungsverschiedenheiten: Sind die Zustände gottgewollt oder nicht? Die Antwort wird den Zuschauern überlassen, während Jakob wie eine Zeitmaschine mit einer „Currywurst vom Bleile“ daherkommt und die dazu passenden Kinderreime aus dem späten 20. Jahrhundert aufgesagt werden.

30-jähriger Krieg, Pest und Stadtbrand werden gestreift, Jakob monologisiert einen kleinen Exkurs über Essen und Trinken, das ja Leib und Seele zusammenhält, und schlussfolgert: „Das Trinken ist das Essen von der Seele.“

Wetterbedingt werden mehrere Szenen in Professor Pröpstls Puppentheater aufgeführt

Inzwischen befindet sich die Theatergesellschaft in Professor Pröpstls Puppentheater, wo man entgegen der ursprünglichen Planung wetterbedingt mehrere Szenen spielt. Zunächst: der Backnanger Gänsekrieg 1606. Nachdem Marie mit einem denkwürdigen Monolog über die Rolle der „Weiber“ zu dieser Zeit dazu übergeleitet hat, machen der Magistrat (die Männer) und schnatternde Weibsbilder die gegensätzlichen Positionen zur Gänsehaltung in der Stadt in sich mehrmals abwechselnden Szenen deutlich. Ein Verbotserlass wird verkündet, die Frauen aber schalten den Herzog ein und setzen sich durch, sie werden quasi selbst zu Gänsen, schnatternd und mit den Armen fast schon flatternd – sehr zur Erheiterung des Publikums, diese Hingabe an das Theaterspiel, auch die männlichen Darsteller überzeugen absolut durch teils deftigen Humor und schauspielerisches Können.

Weitere Stationen und Moderationen informieren über die Backnanger Industriegeschichte und – besonders markant – über die Arbeiterbewegung. In einer Versammlung der Arbeiterschaft wird aufgeregt diskutiert und (wieder ein Sprung in die Gegenwart:) gegendert, es kommt zum Handgemenge zwischen Sozialdemokraten und Vertretern der Sozialistischen Internationale. So können der Pfarrer und ein ebenfalls anwesender Fabrikant beruhigt nach Hause gehen, denn es wird ihnen nichts passieren, solange die Linken verstritten bleiben – und ja, so mag es gewesen sein.

In einer Szene mit zwei Frauen wird auch Stellung zum Dritten Reich bezogen

Zeitsprung: 1945. „Eine Zeit, über die man lieber schweigt, wir tun’s nicht.“ Lea Butsch und ihr Theater beziehen Stellung in einer Dialogszene zwischen zwei Frauen, die alles thematisiert – die anfängliche Verblendung der Massen, ihre Hysterie und ihren Gehorsam ebenso wie die spätere Verdrängung all dessen, den Holocaust und den alltäglichen Faschismus, der ihn erst ermöglichte.

Dann wird es noch einmal fröhlich. Am Schillerplatz geben Marie und Jakob es sich noch einmal in einem Duell der Schimpfworte, die, wie Lea Butsch verrät, „bei Thaddäus Troll entlehnt“ wurden.

Abschluss und Höhepunkt des Theaterspaziergangs ist die Rückkehr zu seinem Ausgangspunkt, der historischen Schmiede am Burgplatz, wo zur Musik der Nodding Heads im Regen getanzt wird, gerade wie seit den 70ern so oft beim berühmten Backnanger Straßenfest.

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Erstellt:
4. Oktober 2022, 06:00 Uhr

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