Intensive Kooperation für Heimbewohner

Erich-Schumm-Stift steigt beim Projekt CoCare ein: Es soll die medizinische Versorgung verbessern und Belastungen reduzieren

Die medizinische Versorgung ist im Alltag eines Pflegeheims ein zentraler Faktor. Zahlreiche Patienten kommen immer später und in hohem Alter in die Einrichtungen. Das Projekt CoCare zielt darauf, die haus- und fachärztlichen Leistungen in Pflegeheimen zu verbessern und zu erweitern. Die Erich-Schumm-Stiftung in Murrhardt nimmt nun auch am Projekt teil.

Im Rahmen des Projekts CoCare arbeiten Haus- und Fachärzte enger zusammen und haben so die Möglichkeit, sich im Sinne des Bewohners besser miteinander abzustimmen. Genauso wird die Kooperation mit dem Pflegeteam intensiviert. Foto: Chinnapong/Adobe Stock

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Im Rahmen des Projekts CoCare arbeiten Haus- und Fachärzte enger zusammen und haben so die Möglichkeit, sich im Sinne des Bewohners besser miteinander abzustimmen. Genauso wird die Kooperation mit dem Pflegeteam intensiviert. Foto: Chinnapong/Adobe Stock

Von Christine Schick

MURRHARDT. Als Rolf Barreuther vom Projekt CoCare erfuhr, waren die Planungen und Entscheidungen über die Teilnehmer schon abgeschlossen. Das war für den Vorsitzenden der Erich-Schumm-Stiftung bedauerlich, weil man in der Einrichtung Neuausrichtungen in der Altenpflege aufmerksam verfolge und an Forschungsprojekten in dem Bereich stark interessiert sei. „Zudem wurde auch klar, dass das gesamte Obere Murrtal als Region nicht berücksichtigt worden ist“, sagt er. Dazu muss man wissen, dass es sich bei CoCare um ein groß angelegtes Vorhaben handelt, das die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg begleitet und der Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses fördert. Barreuther blieb dran, unterstrich die Wichtigkeit des Themas auch beim Wirtschaftstag in Murrhardt. Schließlich zeigte seine Hartnäckigkeit Wirkung. Er erhielt die Zusage, bei der nächsten Gelegenheit, einer geplanten Projekterweiterung und -öffnung, eine Teilnahme angeboten zu bekommen. Nun ist die Erich-Schumm-Stiftung seit November des vergangenen Jahres mit im Boot. Möglich wurde dies auch, weil die Verantwortlichen über weitere Teilnehmer auch die Repräsentativität garantieren beziehungsweise verbessern können.

Im Mittelpunkt des Vorhabens steht das Ziel, die medizinische Versorgung von Pflegeheimbewohnern zu verbessern, und hier kommen die Haus- und Fachärzte ins Spiel. Die Senioren haben in der Regel ihren Hausarzt, der sie im Stift betreut. Doch kommt es im Alltag auch vor, dass es einem Bewohner plötzlich schlecht geht – zu einem Zeitpunkt, an dem gerade keine Visite des Hausarztes mehr möglich ist. Das kann dazu führen, dass ein Notarzt gerufen und im Zweifelsfall eine Einlieferung ins Krankenhaus veranlasst werden muss. „Die Fahrten und der Klinikaufenthalt sind für die Betroffenen eine hohe Belastung“, sagt Barreuther, an diesem Punkt setze das Projekt an. Es holt die betreuenden Mediziner mit ins Boot – in Murrhardt fünf Hausärzte und einen Facharzt, einen Orthopäden und Chirurgen. Pflegedienstleiterin Margit Klunzinger erläutert die Verbesserungen:. „Die Ärzte vertreten sich gegenseitig, können also auch Patienten des Kollegen betreuen. Gleichzeitig haben sie fürs Projekt ihre Rufbereitschaft auf 21 Uhr ausgedehnt.“ Davon verspricht man sich, Einweisungen in die Klinik zu reduzieren. Das Projekt hilft dabei mit einer Honorierung dieser Zusatzleistung und bei der Bereitstellung der technischen Infrastruktur. Die Dokumentation erfolgt in einer gemeinsamen elektronischen Patientenakte, auf die die Mediziner zugreifen können. Dies soll ein flexibles Vorgehen ermöglichen und wichtige Informationen wie Änderungen im Medikationsplan für alle Beteiligten auf dem aktuellen Stand jederzeit abrufbar machen. Aus Datenschutzgründen werden den Pflegeheimen dabei besonders gesicherte Computer zur Verfügung gestellt. „Wir haben einen separaten Netzzugang dafür eingerichtet“, erläutert Barreuther. Um aber genauso die persönliche Zusammenarbeit zu vernetzen, sind gemeinsame Fallkonferenzen von Pflegeteam und Medizinern Teil des Projekts.

Als weitere Hilfsmittel wurden ein mobiles Sonografiegerät sowie Tablets angeschafft. Nun müssen Bewohner für eine Sonografie nicht mehr in eine Praxis. Mit dem Tablet, das ans separate Netzwerk und die elektronische Akte angebunden ist, kann der betreuende Arzt zudem Aufnahmen machen und sich mit einem Fachkollegen beraten. „Auch hier ist das Ziel, Transporte und weite Wege zu vermeiden, aber eben bei gleicher Behandlungsqualität“, sagt Rolf Barreuther. Die Zusammenarbeit mit den behandelnden Ärzten sei auch bisher schon gut gewesen, der Vorsitzende betont aber, wie wertvoll es sei, dass sie sich bereit erklärt haben, beim Projekt mit dabei zu sein.

Die Teilnahme bei CoCare bedeutet natürlich, dass auch die Bewohner des Murrhardter Pflegeheims ihr Einverständnis geben müssen. Rund 95 Prozent haben eingewilligt. Aktuell werden 84 Senioren im Erich-Schumm-Stift betreut. Das Projekt läuft noch bis 2020.

Barreuther ist froh, auch zu einem späteren Zeitpunkt eingestiegen zu sein. Denn mit der Evaluation und wissenschaftlichen Begleitung sollen durch die Praxiserfahrungen auch entsprechende Signale an den Gesetzgeber gehen. Ebenfalls möglich ist – je nachdem, wie die Ergebnisse ausfallen – eine Rahmenvereinbarung mit der kassenärztlichen Vereinigung, um das Erreichte fortführen zu können, berichtet er.

Info
Ein wichtiges Ziel ist es, Klinikeinweisungen und Krankentransporte zu verringern

Das Projekt CoCare (coordinated medical care) wird vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördert. Zu den Hintergründen informieren die Verantwortlichen: Immer öfter werden Bewohner von Altenheimen im Krankheitsfall in eine Klinik eingewiesen. Viele dieser Einweisungen wären vermeidbar, wenn die ärztliche Versorgung verbessert würde. Unattraktive Vergütungsstrukturen und organisatorische Barrieren erschweren die medizinische Versorgung in den Einrichtungen.

Ziel des Projekts CoCare ist es deshalb, die koordinierte ärztliche Pflegeheimversorgung zu verbessern sowie die Schnittstelle „Pflege – Ärzte“ innerhalb des Gesundheitssystems zu optimieren, um so vermeidbare Krankenhauseinweisungen und Krankentransporte zu reduzieren. Inhalte der neuen Versorgungsform sind unter anderem gemeinsame haus- und fachärztliche Visiten durch Ärzte und Pflegeheimkoordinatoren, die Bildung von Ärzteteams, eine gemeinsame elektronische Patientenakte, gemeinsame Schulungen und eine erweiterte Erreichbarkeit der ärztlichen Versorgung.

Im Projekt werden mögliche Effekte durch die neue Versorgungsform mit der herkömmlichen Pflegeheimversorgung verglichen. Gleichzeitig werden realisierbare Verbesserungen der Versorgungsqualität und -effizienz sowie Kosteneinsparungseffekte aufgezeigt. Die Bewohner werden hinsichtlich Gesundheitszustand, Wahrnehmung der ärztlichen Betreuung und der Kooperation zwischen Ärzten und Pflegekräften, wahrgenommener Versorgungskontinuität und -qualität sowie zur Zufriedenheit mit Versorgungsleistungen befragt. Bei Pflegekräften und Ärzten werden zudem Einschätzungen zur Kooperation sowie zur resultierenden Versorgungskontinuität und -qualität erhoben. Das Projekt wird mit etwa 8,3 Millionen Euro für drei Jahre gefördert.

Im Erfolgsfall kann die neue Versorgungsform in die Regelversorgung überführt werden. Einsparungen in anderen Versorgungsbereichen sind dabei möglich.

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Erstellt:
8. März 2019, 06:00 Uhr

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