Die Macht der Gene
Ist das Böse im Menschen vererbbar?
Wird man schon als böser Mensch, gar als Mörder geboren oder erst durch die Umwelt dazu gemacht? Die Debatte prägt nicht nur nur die Kriminalistik, sondern auch Crime-Sendungen.

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Was macht Menschen zu Mördern? Gene? Umwelteinflüsse? Eine Mischung aus beiden? Die Frage beschäftigt Kriminologen, Forensiker und Juristen gleichermaßen.
Von Markus Brauer
Der neue „Polizeiruf 110“ geht am Sonntag (25. Mai, 20.15 Uhr, Das Erste) der Frage nach, ob die Gene das Verhalten bestimmen. Er trägt den düsteren Titel „Böse geboren“. Wird man schon als böser Mensch, als Mörder, geboren oder erst durch die Umwelt dazu gemacht?
Serienmörder aus Deutschland und aller Welt
- Jürgen Bartsch (1946-1976) ist als „Kirmesmörder“ in die deutsche Kriminalgeschichte eingegangen.
- Joachim Kroll (1933-1991) hatte wie Hannibal Lecter, der kannibalistische Serienmörder aus dem Roman und gleichnamigen Thriller „Das Schweigen der Lämmer“, eine Vorliebe für Menschenfleisch.
- Der „Heidemörder“ Thomas Holst missbrauchte zwischen 1987 und 1990 drei Frauen südlich von Hamburg, tötete und verstümmelte sie.
- Der Bottroper Dachdecker Frank Gust (geboren 1969) war als „Rhein-Ruhr-Ripper“ berüchtigt. Zwischen 1994 und 1998 ermordete er mindestens vier Frauen, die er sexuell missbrauchte, bevor er sie zerstückelte.
Was treibt Menschen zu Bluttaten?
Die Liste mit Serienmördern aus Deutschland und aller Welt ließe sich beliebig fortsetzen. Was treibt Gewaltverbrecher zu solchen Bluttaten, die Abscheu, Entsetzen und Fassungslosigkeit hervorrufen, aber auch ohnmächtige Wut und den Ruf nach Gerechtigkeit und Vergeltung?
„Die Saat der Sünde ist im Gehirn angelegt“, sagt der amerikanische Neuro-Kriminologe Adrian Raine in seinem Buch „Als Mörder geboren. Die biologischen Wurzeln von Gewalt und Verbrechen“ („The Anatomy of Violence. The Biological Roots of Crime“.
In den vergangenen Jahren waren in den Medien immer wieder Berichte aufgetaucht, wonach bestimmte Gene das menschliche Verhalten massiv beeinflussen könnten. Insbesondere das MAOA-Gen – das sogenannte „Killer“-oder „Mörder“-Gen – hat die Fantasie von Hirnforschern, Kriminologen und Krimifans beflügelt.
Welche Rolle spielt das MAOA-Gen
Das Monoaminooxidase-A (MAOA)-Gen ist ein wichtiges Gen im Zusammenhang mit Aggression und Gewaltbereitschaft. Genauer gesagt: die weniger aktive Variante des MAOA-Gens. Diese Entdeckung hat auch strafrechtliche Bedeutung: Im Jahr 2009 erhielt ein verurteilter Mörder eine reduzierte Haftstrafe, weil die weniger aktive MAOA-Variante bei ihm nachgewiesen wurde.
Das MAOA Gen steuert die Aktivität eines Enzyms, welches wiederum Botenstoffe wie Serotonin und Noradrenalin abbaut. Liegt die inaktiviere Variante des MAOA-Gens vor, wird weniger Enzym produziert, was zu einem Überschuss dieser Transmitter im Gehirn führt. Dieser Überschuss beeinflusst die Aktivität verschiedener Hirnareale – und kann so auch Aggressionen begünstigen.
„Diese Genvariante alleine macht aber nicht zwangsweise aggressiv“, erklärt Benjamin Clemens von der Sektion Neuropsychologie der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der RWTH Aachen einschränkend.
Zum Mörder geboren?
Kriminalsoziologen lehnen allerdings biologistischen Erklärungsversuche von Verbrechen ab. Erinnern sie doch an die sogenannte Tätertypenlehre des italienischen Gerichtsmediziners und Psychiaters Cesare Lombroso (1835-1909), in der er eine Theorie des „geborenen Verbrechers“ entwickelte.
Lombrosos Typisierung von Verbrechern anhand äußerer Körpermerkmale diente den Nationalsozialisten als Vorlage für ihre rassenbiologischen Theorien. Das ist auch der Grund, warum diese kriminologische Theorie in Verruf geraten ist.
Hinzu kommt: Wenn Verbrechen und Mord genetisch determiniert sind,wo bleibt da noch der freie Wille des Täters? Künftige Kriminelle anhand äußerer Merkmale wie der Schädelform oder den Augenwülsten zu erkennen, hat sich als völlig absurd erwiesen. Andererseits sprechen die Indizien dafür, dass nicht nur soziale und psychologische Faktoren beim Verbrechen eine Rolle spielen.
„genetisch ist schon sehr viel vorbestimmt“
Der Neuropsychologe Thomas Elbert hat tausende Gespräche mit Mördern und Kindersoldaten in aller Welt geführt. Er sagt: „In bestimmten Situationen kann man jeden Menschen zu einem Verbrecher machen. Aber man kann auch schon zum Verbrecher geboren sein.“ Wird man also tatsächlich „Als Mörder geboren“
„Es gibt in seltenen Fällen derart schlechte Ausgangsvoraussetzungen. Da ist genetisch schon sehr viel vorbestimmt. Dass heißt nicht, dass es ein Automatismus ist, bei dem man zwangsläufig zum Mörder wird. Aber es kann sehr schlechte Voraussetzungen in der Disposition und für bestimmte Persönlichkeitsentwicklungen geben, die schwer zu beeinflussen sind“, erklärt die Strafrechtlerin und Kriminologin Britta Bannenberg, die als Professorin an der Universität Gießen lehrt.
Einfluss der Umwelt auf die Gene
Der Mediziner Bernhard Horsthemke, ehemaliger Direktor des Instituts für Humangenetik am Uniklinikum Essen, ist der Ansicht, dass ein komplexes Zusammenspiel von Veranlagung, Umwelteinflüssen, Erziehung und Lebensweise unser Verhalten bestimmt, nicht aber einzelne Gen-Varianten.
Die Umwelt hinterlasse in unserem Genom Spuren – wie wir uns ernähren oder ob wir gestresst sind. „Außerdem spielt die Epigenetik mit ihren vorgeburtlichen und frühkindlichen Bahnen eine große Rolle.“
Gibt es den „Natural born killer“?
Adrian Raine erforscht seit fast 40 Jahren die Grundlagen des Verbrechens. Der Professor für Kriminologie, Psychiatrie und Psychologie an der US-Universität von Pennsylvania arbeitete jahrelang als Gefängnispsychologe.
Mit seinem Buch „Als Mörder geboren“ will er zwischen den einzelnen Forschungsbereichen vermitteln und die noch junge Disziplin der Neuro-Kriminologie gegen Vorwürfe verteidigen, sie würde „Gewalt auf eine psychisch-neuronale Ursache“ zurückführen oder die individuelle Verantwortlichkeit und den freien Willen aushöhlen.
Auch Raine glaubt nicht an den „Natural born killer“, den als Verbrecher geborenen Menschen. Doch für den US-Wissenschaftler wie für andere Kriminologen und Hirnforscher steht fest: Es gibt eine „starke genetische Disposition für Kriminalität“.
Wenn das MAOA-Gen mutiert
Forscher haben nachgewiesen, dass bestimmte angeborene Veränderungen des MAOA-Gens – sogenannte Mutationen – die Neigungen zu Gewalt und aggressivem Verhalten erhöhen können. Auch veränderte Hirnfunktionen, welche die Impulskontrolle und die Stimmungsschwankungen steuern, sind als eine mögliche Ursachen für kriminelles Verhalten ausgemacht worden.
Olaf Rieß, Ärztlicher Direktor des Instituts für Humangenetik der Universität Tübingen, ist jedoch überzeugt: „Es gibt nicht ein Gen, sondern nur einen Komplex von Konstellationen und Genaktivitäten. So einfach ist das nicht, das ein Gen unser Verhalten bestimmen würde.“ Wir würden nicht von unseren Genen gesteuert, so Rieß. „Gesellschaftliche Situationen und bestimmte Umstände beeinflussen unser Verhalten erheblich.“
Erbgut oder Umwelt:Was prägt mehr?
Der Mensch ist kein Gen-Roboter. Wie er sich verhält, wie lange er lebt, ob er gesund oder krank, gebrechlich oder kräftig ist, hat er zu einem großen Teil selbst in der Hand. Was also prägt den Homo sapiens stärker: das Erbgut oder die Umwelt?
Fakt ist: Es sind nicht einzelne Gene, sondern eine komplexe Kombination von Genen und Umwelteinflüssen – die sogenannte Gen-Umwelt-Interaktion –, die unser Verhalten prägt. Gene können Umweltfaktoren verstärken oder abschwächen. Umgekehrt können Umweltfaktoren wie Erziehung, soziale Kontakte oder Lebensereignisse die Ausprägung von Genen und ihren Mutationen beeinflussen.
Wird die Biologie zum Schicksal?
Doch weder genetische Vorbelastungen noch veränderte Hirnfunktionen können erklären, warum ein Mensch zum Soziopathen und zur reißenden Bestie wird. Niemand ist in dem Sinne zum Verbrecher geboren, dass die Biologie für ihn zur Determination und zum Schicksal wird.
In seiner Zeit als Gefängnispsychologe untersuchte Adrian Raine Dutzende Gewaltverbrecher und Serienmörder, deren Gehirne er mit Hilfe bildgebender Verfahren wie der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) durchleuchtete. Dabei entdeckte Raine markante Defizite in bestimmten Hirnregionen, die etwa auf eine Affektstörung und eine geringere Selbstbeherrschung sowie höhere Risikobereitschaft hinweisen.
„Den Mörder gibt es nicht“
„Den Mörder gibt es nicht“,resümiert Kriminologin Bannenberg. „Motive sind sehr unterschiedlich, Persönlichkeiten auch.“ Auch die Umwelt hinterlasse ihre Spuren. Ob jemand in extrem gewalttätiger Form agiere, habe auch damit zu tun, in welchem Umfeld er aufwächst. Erwachsene seien lange Jahre prägend für die frühen Erfahrungen.
„Wird von Erziehungspersonen Gewalt ausgeübt und befürwortet, fehlt es an warmherzigen Beziehungen und an Verhaltenskontrolle, sind das gewalt- und kriminalitätsfördernde Voraussetzungen. Merkt ein Kind, dass es sich mit Rücksichtslosigkeit und Gewalt erfolgreich durchsetzen kann, lernt es, Gewalt positiv zu bewerten. Deshalb würde ich Horrorszenarien wie ‚Als Mörder geboren‘ auch nicht an die Wand malen.“
Ernährung, Erziehung, Hirnentwicklung: All das spielt eine Rolle
Drogenmissbrauch der Mutter während der Schwangerschaft, organische Schäden in der Kindheit durch falsche Ernährung, Schadstoffe oder Stress können die Hirnentwicklung negativ beeinflussen.
„Die radikalste Frage aus dem Bereich der Neurophysiologie und Neuropsychologie ist, ob der Mensch überhaupt eine Freiheit der Wahl hat. Hier geht es um das sogenannte Aktionspotenzial. Wenn wir glauben, wir hätten eine Entscheidung nach links oder rechts abzubiegen getroffen, dann hat sich unser Gehirn kurz vorher schon für eine Alternative entschieden“, erklärt der Polizei-Psychologe und Psychotherapeut Adolf Gallwitz.
Und weiter sagt er: „Wir haben die Illusion, diese Alternative bewusst gewählt zu haben. Konsequenz aus diesem Denken wäre eine Revolution des Strafrechts, weil alle Menschen für das Verhalten ‚entschuldigt‘ wären.“