Ja zur gestaffelten Sozialwohnungsquote

Der Backnanger Gemeinderat hat eine Sozialquote für größere Wohnbauprojekte beschlossen. Obwohl die Meinungen über die Ausgestaltung der Vorgaben im Vorfeld der Debatte sehr weit auseinandergegangen waren, fiel jetzt der Beschluss einstimmig aus.

Die städtische Wohnbau baut aktuell 42 geförderte Mietwohnungen (ein bis fünf Zimmer/43 bis 105 Quadratmeter) in der Mühlstraße. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Die städtische Wohnbau baut aktuell 42 geförderte Mietwohnungen (ein bis fünf Zimmer/43 bis 105 Quadratmeter) in der Mühlstraße. Foto: A. Becher

Von Matthias Nothstein

BACKNANG. Die unendliche Geschichte ist endlich zu einem guten Ende gekommen. Der Gemeinderat hat am Donnerstagabend einstimmig eine Quote beschlossen, wie groß der Anteil an bezahlbarem Wohnraum bei Neubauten sein muss. Damit möchten die Stadträte und die Verwaltung sicherstellen, dass auch Familien, Alleinstehende, Schwangere, Senioren oder Gehandicapte mit geringem Einkommen Wohnungen finden, die sie sich leisten können. Die Quote greift bei Projekten über 1200 Quadratmeter Geschossfläche, weshalb also kleinere Neubauten nicht betroffen sind. Wohl aber größere Vorhaben, bei denen eigens durch Aufstellung, Änderung oder Aufhebung eines Bebauungsplans Geschossflächen neu geschaffen werden. Je nach Größe des Bauvorhabens müssen 15, 20 oder gar 25 Prozent der Flächen „bezahlbar“ sein.

Doch wie ist „bezahlbares Wohnen“ definiert? Drei Punkte zählen: Die Miete übersteigt einen bestimmten Anteil des monatlich zur Verfügung stehenden Einkommens nicht. Die Miete liegt um einen festgelegten Prozentsatz unter der ortsüblichen Vergleichsmiete. Die Miete liegt unter der Mietobergrenze des Jobcenters.

Stand Juni 2020 sind 197 Wohnungssuchende mit einem Wohnberechtigungsschein auf der Warteliste der Stadt Backnang registriert, 124 Suchende sind sogar als eilt eingestuft. Gesucht werden Wohnungen in allen Größen, aber besonders schwierig ist die Lage derzeit bei großen Wohnungen für kinderreiche Familien.

Dem Beschluss gingen ein „zähes Ringen um jeden Prozentpunkt“ und „intensive Diskussionen“ voraus.

Obwohl in der Vergangenheit die Meinungen der Fraktionen über die Ausgestaltung der Vorgaben sehr weit auseinandergegangen waren, fiel jetzt der Beschluss einstimmig aus. Willy Härtner (Grüne) sprach von einem „zähen Ringen um jeden Prozentpunkt“. Letztendlich habe aber der demokratische Prozess funktioniert und es kam trotz unterschiedlicher Auffassungen ein guter Kompromiss heraus. Auch Heinz Franke (SPD) berichtete von einer intensiven Diskussion, „wir sind alle von ganz unterschiedlichen Voraussetzungen ausgegangen“. Herausgekommen sei ein „Minimalkonsens“. Franke hofft, dass die Wohnungen in naher Zukunft gebaut werden, denn er bezweifelt sehr die Zahl von 200 Bedürftigen. Vielmehr glaubt er, dass ein viel größerer Prozentsatz Anspruch auf solche Wohnungen hat, nicht nur Menschen mit Hartz-IV-Anspruch, sondern auch viele Menschen „aus der Mitte der Gesellschaft“. Ute Ulfert (CDU) zeigte sich besonders zufrieden, dass kleinere Projekte nicht von der Quotenregelung betroffen sind, „die zu verhindern war immer unser Anliegen“. Ulfert: „Wir haben nun eine Lösung getroffen, die allen Belangen Rechnung trägt.“ Die Christdemokratin lobte die intensive, aber faire Diskussion, die nötig war, um in dieser wichtigen Frage eine Lösung zu finden. Ob das Konzept aufgehe, werde sich laut Ulfert erst in drei Jahren zeigen, wenn laut dem Beschluss erstmals Bilanz gezogen wird.

Eben diese Überprüfung lobte ausdrücklich Lutz-Dietrich Schweizer (CIB). Dann zeige es sich, wie die Regelung ankomme oder ob sie gar die Bautätigkeit behindere. Letztere Befürchtung teilte Stadtbaudezernent Stefan Setzer überhaupt nicht: „Dieses Konzept ist kein Hinderungsgrund für Investitionen, da gibt es ganz andere Punkte wie etwa den fehlenden Zugriff auf Baugrundstücke.“

Am wenigsten zufrieden schien Charlotte Klinghoffer (BfB), „wir können dem Kompromiss zustimmen, glücklich macht er uns aber nicht“. Sie befürchtete, dass die Kosten umgelegt werden auf die Käufer der anderen Wohnungen. Sehr zufrieden war hingegen Michael Malcher (AfD): „Viele von unseren Ideen sind in den Beschluss eingeflossen.“ Die Befürchtung von Heinz Franke, findige Bauherren könnten größere Flächen aufteilen und sich so ihrer Pflicht entziehen, konnte Helmut Wagner zerstreuen. Der Leiter des Baurechtsamts verwies darauf, dass bei jedem neuen Bebauungsplan ein Vertrag die Gesamtfläche definiere: „Das Aufteilen der Fläche ist möglich, aber dadurch kann niemand der Quote entrinnen.“

Kommentar
Heftiges Ringen mit erfreulichem Ende

Von Matthias Nothstein

Das Thema Sozialquote beschäftigt den Gemeinderat und die Verwaltung seit mehreren Jahren. Zu einem Ergebnis ist es in all der Zeit nie gekommen, weil die jeweiligen Wünsche oder Anforderungen an den Beschluss meilenweit auseinander lagen. Zuletzt sollte der Gemeinderat vor zwei Wochen eine Entscheidung treffen, doch der Punkt wurde von der Tagesordnung genommen und vertagt, weil es immer noch riesigen Beratungsbedarf gab.

Bei dem Thema prallen Ideologien aufeinander. Von „gar nichts vorschreiben“ bis zu einer Sozialquote von 25 Prozent war bei den Backnanger Fraktionen alles vertreten. Die einen wollten schon kleine Bauvorhaben mitberücksichtigt wissen, die anderen erst Großprojekte. Es gab auch Stimmen, wonach eine solche Sozialquote sogar kontraproduktiv sei. Andere gaben zu bedenken, dass dadurch die restlichen Wohnungen teurer würden.

Dass es nun nicht nur zu einer Einigung gekommen ist, sondern sogar zu einem einstimmigen Beschluss, das ist bemerkenswert. Und es wirft ein sehr angenehmes Bild auf die Stadträte. Sie haben sich zusammengerauft und einen Kompromiss gefunden, mit dem alle leben können. Und dennoch ist ein Konzept dabei herausgekommen, das die Wohnungsnot von Menschen, die nicht so rosig gebettet sind, vermutlich verbessern wird. Das heftige Ringen hat sich also gelohnt und – was noch erfreulicher ist – hat niemandem geschadet.

Die Mietpreis- und Belegungsbindung läuft über 25 Jahre

Bei Projekten mit neu geschaffenen Geschossflächen bis 1200 Quadratmeter gibt es keine Pflicht, die Anforderungen der Sozialwohnungsquote zu erfüllen.

Bei einer neu geschaffenen Geschossfläche von 1200 bis 2000 Quadratmeter werden 15 Prozent preisgebundener Wohnraum vorgeschrieben.

Bei einer Geschossfläche von über 2000 bis 3000 Quadratmeter werden 20 Prozent preisgebundener Wohnraum verlangt.

Bei über 3000 Quadratmeter Geschossfläche steigt die Quote an preisgebundenem Wohnraum auf 25 Prozent.

Die mittelbare Belegung von Wohnungen innerhalb der Stadt Backnang ist möglich.

Die Mietpreis- und Belegungsbindung beträgt 25 Jahre.

Werden preisgebundene Wohnungen vorgeschrieben, so müssen diese innerhalb von drei Jahren ab Nutzbarkeit der Erschließungsanlagen fertiggestellt werden.

Die Stadt Backnang hat das Recht, dem Eigentümer mehrere Bewerber mit Wohnberechtigungsschein für die Belegung einer Wohnung vorzuschlagen.

Das Konzept wird zunächst für die Dauer von drei Jahren angewandt und danach auf seine Wirksamkeit hin überprüft.

Laut Berechnungen der Stadtverwaltung würden die Beschlüsse Folgendes bedeuten: In den nächsten Jahren könnten 365 Wohnungen der Kategorie „bezahlbarer Wohnraum“ im Stadtgebiet entstehen. Standorte wären Dresdner Ring (5), Güterbahnhof-Areal (25), Parkdeck Gesundheitszentrum (50), Obere Walke (125) und IBA-Quartier Backnang West (160).

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Erstellt:
25. Juli 2020, 06:00 Uhr

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