Jugendhilfe braucht mehr Geld

Leistungen in Rekordhöhe – Jugendamtsleiter Gläss: Spiegelbild gesellschaftlicher Verhältnisse

Die Ausgaben des Jugendamts wachsen weiter, und auch der Zuschussbedarf steigt erneut an – trotz der seit Jahren günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und auch trotz der neuen Gesetze, mit denen der Bund die Kinderbetreuung finanziell stützt. Die Jugendhilfeleistungen seien aber, so Jugendamtsleiter Holger Gläss, „ein Spiegelbild gesellschaftlicher Verhältnisse“ und „Investitionen in die Zukunft“.

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Von Armin Fechter

WAIBLINGEN. Im Jugendhilfeetat für 2020 nimmt der Zuschussbedarf von 42,4 auf 45 Millionen Euro zu. Das ist eine Steigerung um 2,6 Millionen Euro oder 6,2 Prozent. In dem Betrag sind zusätzliche Aufwendungen für freie Träger und Honorare noch nicht eingerechnet, weil diese an anderer Stelle gebucht werden. Die Aufwendungen steigen von zuletzt 66,4 auf 68 Millionen Euro. Gleichzeitig gehen die Erträge auf 20,5 Millionen Euro zurück.

Woran liegt es aber, dass die Ausgaben und letztendlich auch der Zuschussbedarf steigen? Mehrere Faktoren spielen eine Rolle. Finanzielle Entlastung gibt es bei den Ausgaben für unbegleitete minderjährige Ausländer, bei denen es sich meist um jugendliche Flüchtlinge handelt: Weil ihre Zahl gesunken ist, gehen auch die Kosten zurück. In anderen Bereichen gibt es dafür Zuwächse.

Gläss nannte vier Gebiete, in denen der Aufwand stark zunimmt. Da wäre zunächst die Kindertagesbetreuung. Die Zahl der Tagesmütter und -väter stagniert zwar, aber die Gesamtbetreuungszeiten steigen. Zudem bezahlt das Kreisjugendamt in rund 1200 Fällen ein Pflegegeld, das zuletzt von 5,50 auf 6,50 Euro je Stunde und Kind erhöht wurde. Dadurch ergibt sich allein im Tageselternbereich ein Ausgabenplus von 800000 Euro. Ein höherer Aufwand ergibt sich auch mit dem Gute-Kita- und dem Starke-Familien-Gesetz: Danach müssen jetzt weniger Eltern einen Eigenanteil an den Betreuungskosten zahlen. Ferner steigen die Gebühren der Kitas, und die Kinderzahlen nehmen zu.

Zwar steigen auf der anderen Seite auch die Erträge, unter anderem durch den Pakt für gute Bildung und Betreuung, der dem Kreis einen Landeszuschuss von 250000 Euro einbringt. Unterm Strich können diese aber nicht die Steigerungen ausgleichen, sodass es bei der Tagesbetreuung ein Gesamtkostenplus von 550000 Euro gibt.

Steigende Fallzahlen lassen auch Ausgaben anwachsen

Steigende Fallzahlen schlagen sich in den Ausgaben für sogenannte ambulante Hilfen nieder. Dabei unterstützen sozialpädagogische Fachkräfte Jugendliche und Familien mit Kindern dabei, ihre Probleme im Alltag zu bewältigen, etwa im Rahmen von Erziehungsbeistandschaften oder in Form von sozialpädagogischer Familienhilfe. Insgesamt steigt der Aufwand um 660000 Euro auf 6,8 Millionen Euro. Im Bereich der Eingliederungshilfe für seelisch Behinderte gibt es ebenfalls spürbare Kostensteigerungen, beispielsweise für Schulbegleitungen: Die Summe steigt um 400000 Euro auf 4 Millionen Euro, weil die Fallzahlen zunehmen, da auch die Akzeptanz der Eltern für entsprechende Hilfen wächst. Parallel gehen auch die Kosten für vollstationäre Hilfen nach oben, weil häufig ergänzende Leistungen benötigt werden. 800000 Euro mehr als in diesem Jahr muss der Kreis für eine ganz spezielle Unterstützung aufbringen, bei der Mütter oder Väter, die allein für ein Kind unter sechs Jahren sorgen, gemeinsam mit dem Kind in einer geeigneten Wohnform betreut werden. Diese Hilfe war ursprünglich für junge Elternteile gedacht, die wegen des Kindes Probleme haben, ihre Ausbildung oder ihren Schulabschluss fertig zu machen. Inzwischen richtet sie sich auch an junge Menschen, die selbst massive familiäre Probleme, beispielsweise mit Drogen- oder Gewalterfahrungen, haben oder unter einer psychischen Erkrankung leiden.

Im Zusammenhang mit den Kostensteigerungen wies Gläss im Jugendhilfeausschuss darauf hin, dass wirtschaftliche Hochkonjunktur nicht weniger Bedarf bedeute. Vielmehr verzeichne man eine wachsende Zahl von Kindern in Bedarfsgemeinschaften, aber auch einen konstant hohen Anteil an Alleinerziehenden und eine wachsende Wohnraumknappheit. Und: Je mehr Menschen einer Beschäftigung nachgehen, umso mehr steige der Bedarf an Tagesbetreuung.

Aber trotz der erneut steigenden Kosten: Die Jugendhilfeausgaben in Baden-Württemberg und Bayern liegen, wie Gläss erläuterte, deutschlandweit mit großem Abstand am unteren Ende der Tabelle. Und im landesweiten Vergleich liege der Rems-Murr-Kreis wiederum unter dem Durchschnitt. Nach Aussagen von Experten sind die Ausgaben im Kreis sogar „deutlich geringer, als dies angesichts der sozialstrukturellen Rahmenbedingungen zu erwarten wäre“.

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Erstellt:
12. Dezember 2019, 06:00 Uhr

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