Junge Frau tritt ihrem Peiniger gegenüber
17-jährige Erntehelferin in Allmersbach am Weinberg angegriffen: Mutmaßlicher Täter schweigt zu den Vorwürfen

© Pressefotografie Alexander Beche
Archivfoto: A. Becher
Von Hans-Christoph Werner
ASPACH/STUTTGART. Zweiter Verhandlungstag vor dem Landgericht in dem Verfahren gegen einen jungen Mann, der eine Frau im Juni 2019 in Allmersbach am Weinberg angegriffen haben soll (wir berichteten). Am ersten Verhandlungstag war nur die Anklageschrift verlesen worden. Durch Zeugenbefragungen soll der genaue Hergang der Tat in Erfahrung gebracht werden.
Schweren Schrittes und mit ausdrucksloser Miene betritt der Angeklagte den Gerichtssaal. Zwei Betreuer stehen ihm zur Seite. Ein Dolmetscher übersetzt, denn die Muttersprache des Angeklagten ist Farsi. Besitzt der Angeklagte ein Handy? Denn just zur Tatzeit soll dieses geklingelt haben... Die Aussagen der Familienangehörigen, so berichtet eine Polizeibeamtin, sind hierzu unterschiedlich. Die Gebets-App könnte auch den Klingelton bewirkt haben. Der Angeklagte ist praktizierender Moslem. Sowohl am Tatort als auch beim Angeklagten fand sich allerdings kein Handy. Auch das Messer, mit dem der Angeklagte die Frau angegriffen haben soll, ist nicht aufgetaucht. Trug der Angeklagte bei der Tat einen Handschuh? Ein schwarzer Fingerverband ist offenbar für einen Handschuh gehalten worden. Und das orangefarbene T-Shirt, das der Angeklagte am Tatabend trug? Es ist nicht auffindbar. Im Zuge der polizeilichen Ermittlungen wurde auch die Mutter des Angeklagten vernommen. Sie gibt den 1. Januar 1998 als Geburtsdatum ihres Sohnes an. Aufgrund der häufigen Angabe des 1. Januars als Geburtstag heißt das so viel wie: der genaue Geburtstermin des Angeklagten ist unbekannt. Die Mutter gab auch an, dass ihr Sohn aufgrund seiner Einschränkungen ständige Betreuung benötigt.
Die junge Frau gibt an, dass sie seit der Tat nur noch schlecht schlafe
Die am Verfahren Beteiligten nehmen am Richtertisch Fotos vom Tatort und von der geschädigten jungen Frau in Augenschein. Auch der Angeklagte steht dabei. Der Vorsitzende Richter wendet sich eigens an ihn. Auf die Bilder deutend will er dem Angeklagten das Geschehen im Gerichtssaal deutlich machen: „Deshalb sind wir hier.“ Und stellt dem Angeklagten dann die unausweichliche Frage, ob er zum Geschehen etwas sagen will. Aber vom Angeklagten kommt keine Reaktion. Wenn er sich überhaupt äußert, dann nur im Flüsterton gegenüber seinem Dolmetscher. Und nur in seiner Muttersprache. Nach Aussage seines Verteidigers vermag er keinen vollständigen Satz zu formulieren.
Die Geschädigte, eine 17-jährige Schülerin, die zur fraglichen Zeit als Erntehelferin in Allmersbach arbeitete, sagt als Zeugin aus. Mit einfühlsamen Worten bereitet der Richter die junge Frau auf ihre Aussage vor. Am besagten Juni-Abend sei sie spazieren gegangen. Sie habe bemerkt, dass jemand sie verfolge. Als der junge Mann sie eingeholt hatte, habe er gegrüßt und nach der Bushaltestelle gefragt. Die Antwort der jungen Frau offenbar nicht genau verstehend, habe er nochmals gefragt: „Soll ich in diese oder in jene Richtung gehen?“ In diesem Augenblick bemerkte die junge Frau das Messer in seiner Hand. Als der junge Mann mit dem Messer auf die Frau zuging, habe sie ihm das Messer, an der Klinge fassend, entwunden.
Die junge Frau am Arm packend kamen beide in einem angrenzenden Getreidefeld zu Fall und rangen miteinander. Dem Angreifer gelang es, sich sein Messer wieder zurückzuholen. Er verletzte dabei die junge Frau an beiden Händen. Weiter soll er ihr dann Mund und Nase zugehalten haben. Die junge Frau bekam Todesangst. Irgendwie gelang es ihr, um Hilfe zu schreien. Weil sich ein Fahrzeug näherte, ließ der junge Mann von der Frau ab und floh schnellfüßig übers Feld. Der Vorsitzende Richter fragt nach Einzelheiten des Geschehens. Der Angreifer habe, davon ist die Betroffene überzeugt, einen schwarzen Handschuh getragen. Inmitten des Gerangels habe er zudem sein Handy aus der Hose geholt, als es klingelte. Auch die Täterbeschreibung will der Richter nochmals aus dem Mund der jungen Frau hören. Ob sie auch die markante Wulst am Hals bemerkt habe? Ob sie den Angreifer hier im Gerichtssaal sehe, fragt der Richter. Die junge Frau deutet auf den Angeklagten.
Wenn Details gefragt sind, flüchtet sich die junge Frau gern in die Aussage, dass sie solches nicht mehr wisse. Als Folge des Geschehens gibt die Erntehelferin an, dass sie Angstzustände habe, schlecht schlafe und sich abends nicht mehr aus dem Haus traue. Der Richter versucht das Erlebte zu mildern. „Nach Aktenlage“, sagt er an die junge Frau gewandt, „habe der Angeklagte nichts von ihnen gewollt.“ Und betont das nochmals: nach Aktenlage.
Auch der Bruder des Angeklagten ist als Zeuge geladen. Vernehmungen durch die Polizei hat er sich entzogen, sodass das Gericht seine Vorführung anordnete. Nun ist er doch selbst gekommen, allerdings zwei Stunden zu früh. So muss er warten. Als der Richter ihn darüber belehrt, dass er als Angehöriger ein Zeugnisverweigerungsrecht hat, kann er sich nicht so recht entscheiden. Je mehr der Worte gewechselt werden, desto ärgerlicher scheint er zu werden. Als er schließlich behauptet, der Richter würde sich über ihn lustig machen, bricht dieser die Vernehmung ab.