Junge Väter ticken anders

Männer, die länger als zwei Monate in Elternzeit gehen, sind noch eine Seltenheit – Riesenverunsicherung bei dem Thema

In Unternehmen wie SAP und Bosch knüpfen Mitarbeiter Väternetzwerke – zum Austausch von Informationen und Erfahrungen. Die Frage, wie sich Familie und Beruf unter einen Hut bringen lassen, beschäftigt nicht nur Frauen.

Stuttgart Beim dritten Kind wollte Johannes Martens alles ein bisschen anders machen. Nach der Geburt seiner ersten beiden Kinder war der 40-Jährige zwei Monate zu Hause geblieben. Dieses Mal aber nahm er ein ganzes Jahr Elternzeit. Was sein Arbeitgeber dazu sagte? Der für Deutschland zuständige Personalchef von SAP sei begeistert gewesen. Man wolle mehr Väter wie ihn, sagte er zu seinem Mitarbeiter.

Martens weiß aber auch: Eine Selbstverständlichkeit ist diese Reaktion nicht. „Väter treffen in der Gesellschaft immer noch auf eine bestimmte Erwartungshaltung“, sagt der Account-Manager beim Softwarehersteller im badischen Walldorf. „Da wird häufig als selbstverständlich vorausgesetzt, dass sie den ganzen Tag arbeiten – und die Mutter sich stets und immer darum kümmert, dass das Kind von der Kita, der Schule oder vom Sport abgeholt wird – egal ob sie auch arbeitet oder nicht.“

SAP-Mitarbeiter haben daher ein Väternetzwerk gegründet. 17 Kollegen organisieren die Angebote, die Zahl der Teilnehmer liegt inzwischen bei fast 100: Sie treffen sich regelmäßig zum Frühstück, um Erfahrungen auszutauschen, oder stellen Informationen für das Mitarbeiterportal zusammen – zu Elternzeit, Homeoffice, Teilzeitarbeit. SAP biete bei dem Thema schon eine ganze Menge Möglichkeiten, findet Martens.

Es geht beim Netzwerk aber auch darum, sich gegenseitig zu bestärken, diese Chance auch zu nutzen. „Wir müssen Väter ermutigen, selbstbewusst aufzutreten und zu sagen: Ich sehe nicht ein, dass es meine Karriere torpediert, wenn ich ein, zwei Jahre bei meinen Kindern zu Hause bleibe.“ Das Elterngeld soll es Müttern wie Vätern ermöglichen, für eine bestimmte Zeit aus dem Beruf auszusteigen, um sich um den Nachwuchs zu kümmern.

Auch Männer können das Elterngeld bis zu zwölf Monate in Anspruch nehmen. In den Köpfen vieler sei aber verhaftet, dass sie Anspruch auf nur zwei Vätermonate haben, sagt der Düsseldorfer Sozialwissenschaftler Hans-Georg Nelles. „Auch unsere sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Regeln begünstigen es, dass es einen Vollverdiener gibt und der Partner zu Hause bleibt. Diejenigen, die es anders machen wollen, müssen sich durchsetzen, müssen sich erklären.“

Nelles beschäftigt sich seit 20 Jahren mit dem Thema und beobachtet inzwischen einen langsamen Bewusstseinswandel. 2017 meldete das Statistische Bundesamt, dass mehr als 35 Prozent der Väter Elterngeld in Anspruch nehmen. Allerdings bilden sie damit eben auch eine Minderheit. Drei von vier Vätern bleiben zudem nur zwei Monate zu Hause – möglicherweise auch aus Angst vor finanziellen Einbußen. Im Februar meldete das Statistische Bundesamt, dass Väter im Alter zwischen 18 und 64 Jahren sogar mehr arbeiten als Männer dieser Altersspanne ohne Kinder.

Volker Baisch findet diese Zahlen nicht überraschend. Er ist Gründer der gemeinnützigen Unternehmensberatung Väter gGmbH und eines bundesweiten Väternetzwerks. Dazu gehören derzeit 20 Unternehmen und Behörden, die alle eigene Netzwerke für ihre Mitarbeiter haben.

„Der Bedarf ist riesengroß, aber gleichzeitig herrscht bei dem Thema auch eine Riesenverunsicherung“, sagt Volker Baisch. Länger als zwei Monate in Elternzeit zu gehen entspreche bei vielen Arbeitgebern noch immer nicht der Norm. „Wir haben jetzt die erste Vätergeneration überhaupt, die da anders denkt. Wir brauchen Topleute, die vorangehen und eine Kulturveränderung bewirken.“

Unternehmen nennen in der Regel zwei Gründe, warum sie zunehmend auch männlichen Mitarbeitern bei Elternzeit, Teilzeit oder Homeoffice entgegenkommen: Erstens trägt Hilfe bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie heutzutage zur Attraktivität eines Arbeitgebers bei. Zweitens sind zufriedene häufig auch bessere Angestellte. „Für uns ist es wichtig, glückliche Mitarbeiter zu haben“, sagt SAP-Sprecher Björn Emde. Bei einer internen Umfrage zum Thema Mitarbeiterzufriedenheit wurde der Aspekt Flexibilität am häufigsten genannt. „Und zwar nicht nur von Frauen.“

Auch der Stuttgarter Technologiekonzern Bosch hat das Thema auf die Tagesordnung gesetzt: Im Mitarbeiternetzwerk Familiy at Bosch tauschen sich Väter in der Untergruppe Papas at Bosch aus. „Als Vater Elternzeit zu nehmen ist bei Bosch mittlerweile sehr akzeptiert. Es wird nicht mehr gefragt, ob jemand Elternzeit nimmt, sondern wie lang“, sagt Unternehmenssprecher Michael Kattau. Vor zwei Jahren blieb jeder vierte Vater in Elternzeit länger als zwei Monate bei seinem Nachwuchs. Einige Führungskräfte würden inzwischen vier statt fünf Tage pro Woche arbeiten. „Das Wichtigste: Diese Modelle müssen gelebt werden – und dafür braucht es Vorbilder“, sagt Kattau. Einen Schub habe ein Pilotprojekt gegeben: Um flexiblere Arbeitszeiten auszuprobieren und bekannter zu machen, arbeiteten 500 Führungskräfte mindestens drei Monate lang von zu Hause aus oder in Teilzeit.

„Wir sind gerade dabei, uns Vorbilder zu schaffen“, sagt SAP-Mitarbeiter Johannes Martens. Er räumt ein: Als er ein ganzes Jahr bei seinen Töchtern und seinem Sohn zu Hause blieb, sei das „verdammt anstrengend“ gewesen – aber auch lehrreich. Er erfuhr, was seine Frau zuvor alles geleistet hatte. Und er lernte eine Menge darüber, wie man Prioritäten setzt. „Ich bin meinem Unternehmen verbunden, und ich fühle mich ihm gegenüber verantwortlich. Trotzdem muss ich am Sonntag nicht ständig aufs Handy schauen, wenn ich mit meinen Kindern im Park bin.“

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Erstellt:
3. April 2019, 14:19 Uhr

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