Münchner Sicherheitskonferenz

Kamala Harris klagt Putins Russland an: „Barbarisch und unmenschlich“

Die Münchner Sicherheitskonferenz dreht sich in diesem Jahr um den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. US-Vizepräsidentin Kamala Harris weckt mit ihrem Auftritt Emotionen. Doch wie geht es weiter mit den Waffenlieferungen?

US-Vizepräsidentin Kamala Harris

© AFP/THOMAS KIENZLE

US-Vizepräsidentin Kamala Harris

Von Tobias Peter

US-Vizepräsidentin Kamala Harris geht mit der Stimme nach oben, ohne dass diese dabei an Festigkeit verlieren würde.

„Denken Sie an das Bild der schwangeren Mutter, die getötet wurde, die bei einem Angriff auf eine Geburtsklinik gestorben ist“, sagt die 58-Jährige, die in der US-Regierung das ranghöchste Mitglied nach Präsident Joe Biden ist, an ihre Zuhörer auf der Münchner Sicherheitskonferenz gerichtet. „Denken Sie an die Bilder des Massakers von Butscha.“ Harris spricht langsam, macht Pausen. Schließlich erinnert sie noch an ein vierjähriges Kind, an dem sich laut UN-Angaben ein russischer Soldat sexuell vergangen habe.

„Barbarisch und unmenschlich“ sei das gewesen, sagt sie. Und die US-Vizepräsidentin untermalt – sonst sparsam mit Gesten – beide Wörter mit erhobener rechter Hand.

Fast ein Jahr ist es her, seit der russische Präsident Wladimir Putin einen Angriffskrieg gegen die Ukraine gestartet hat. An diesem Wochenende sind 40 Staats- und Regierungschefs und bis zu 100 Minister zur Sicherheitskonferenz gekommen, dem weltweit wichtigsten verteidigungs- und außenpolitischen Expertentreffen. Im vergangenen Jahr hat es wenige Tage vor Kriegsbeginn stattgefunden hat – mit schlimmen Befürchtungen, auch wenn die noch nicht alle hätten wahrhaben wollen, wie Harris sagt.

Die doppelte Botschaft

Jetzt hat Harris eine doppelte Botschaft mitgebracht. Die eine hat mit dem zu tun, was sie über die Opfer des Krieges gesagt hat. Sie habe – lange bevor sie Vize-Präsidentin wurde – als Staatsanwältin gearbeitet, sagt Harris. „Ich weiß aus erster Hand, wie wichtig es ist, die Fakten zu sammeln und mit dem Gesetz abzugleichen“, fährt sie fort. „Es gibt keinen Zweifel, dass es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt“, fügt sie hinzu. Wie eine Anklägerin formuliert sie: „Ich sage allen, die diese Verbrechen begannen haben, und auch ihren Untergebenen, die Komplizen sind: Sie werden zur Verantwortung gezogen.“

Die zweite Botschaft richtet sich an die Ukraine, aber auch an die Vertreter anderer Nationen im Raum. „Wir haben ein bedeutendes strategisches Interesse“, sagt sie. „Keine Nation ist sicher in einer Welt, in der ein Land die Souveränität und territoriale Integrität eines anderen verletzen kann.“ Wenn Putin mit seinem Angriff erfolgreich wäre, könnten andere Nationen folgen. Das dürfe nicht passieren.

Das Manko des Olaf Scholz

Harris starker Auftritt macht – ohne dass sie das gewollt hätte – auch ein Manko von Bundeskanzler Olaf Scholz deutlich. Er spricht über das, was Deutschland zur Unterstützung der Ukraine tut, nicht so, dass er damit die Bevölkerung im eigenen Land nicht nur rational, sondern auch emotional erreichen könnte.

Emotion liegt vom ersten Moment an in dieser Münchner Sicherheitskonferenz. Denn eröffnet wird sie vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj – per Videobotschaft aus seiner umkämpften Heimat. Selenskyj, im olivgrünen Oberteil zwischen zwei Flaggen am Schreibtisch platziert – fasst dabei die Lage seines Landes in ein Bild, die bei jedem Zuhörer Gefühle weckt. Er vergleicht sein Land mit dem biblischen David, der sich gegen Goliath wehren muss.

„David zu sein, bedeutet, dass man gewinnen muss. Aber man braucht eine Schleuder“, sagt Selenskyj. „Wir müssen Goliath besiegen, der unser Leben bedroht.“ Vertreter der russischen Regierung sind übrigens nicht auf dieser Sicherheitskonferenz vertreten – weil man dem Aggressor kein Forum für seine Propaganda haben geben wollen, wie es seitens der Organisatoren heißt.

Vom Einbrecher im Schlafzimmer

Selenskyjs Außenminister Dmytro Kuleba wird später auf einer Pressekonferenz in München am Rande der Sicherheitskonferenz noch einmal ausführen, was der Präsident und sein Land sich unter einer besseren Schleuder vorstellen. Die Ukraine hofft auf Kampfjets. Und der Außenminister bittet darum, Ukrainer schon jetzt für die Aufgabe, solche Flugzeuge zu steuern, auszubilden – auch wenn noch keine Entscheidung für eine Lieferung gefallen sei. Sonst werde es, wie bei der Entscheidung für Kampfpanzer oder andere Waffen, wieder zu lange dauern, wenn es schließlich so weit sei.

Auf die Frage, ob es denkbar sei, dass die Ukraine für einen Friedensschluss auch auf Gebiete verzichte, antwortet der ansonsten sehr nüchtern auftretende, bebrillte Außenminister im karierten Sakko mit Einstecktuch dann doch sehr plastisch: Ob man selbst denn bereit wäre, einem Einbrecher zu sagen, er könne ruhig im Schlafzimmer der Wohnung bleiben?

Der Satz, den viele hören wollen

Die USA, die den größten Anteil der Hilfe für die Ukraine leisten, und Deutschland haben es gemeinsam, dass ihre Regierungen stets sehr genau überlegt haben, welche Waffenarten sie der Ukraine liefern wollen. Bei beiden Ländern hat sich das, wozu man bereit ist, im Lauf des Jahres verändert. Harris lobt die amerikanische Führungsleistung, aber ausdrücklich auch den deutschen Beitrag. So wie auch Scholz selbstbewusst aufzählt, was Deutschland leiste. Eigenlob ist üblich auf dieser Veranstaltung. Die Sicherheitskonferenz ist auch so etwas wie ein internationales Klassentreffen, bei dem jeder sagt: „Seht her, wie großartig ich bin.“

Scholz, der direkt nach Selenskyj spricht, macht gleichzeitig deutlich: Es gehe um die Balance zwischen bestmöglicher Unterstützung der Ukraine und der Vermeidung einer ungewollten weiteren Eskalation. Vermutlich hat er Bedenken, die Debatte über Waffenlieferungen zu beschleunigen, wenn er diesen Hinweis in München unterlassen würde. Auch den Satz, den viele gern von ihm hören würden, überlässt er lieber seinem neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius: „Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen.“

In Erwartung dunkler Tage

Die US-Regierung wägt, wie sich aus den vergangenen Monaten ablesen lässt, ebenfalls jeden Schritt sorgfältig ab. Harris sagt das in München aber nicht, sondern redet sich mit ihrem Plädoyer für die Herrschaft des internationalen Rechts in die Herzen. Eine Gemeinsamkeit von Scholz und Harris ist auch, dass sie es beide Länder des globalen Südens – deren Zustimmung zu einem klaren Kurs gegen Russland weniger selbstverständlich ist – überzeugen und einbinden wollen. Daran arbeiten beide bei dieser Konferenz.

Wie geht es jetzt weiter? „Es wird noch mehr dunkle Tage in der Ukraine geben“, sagt Harris. Aber die Zeit sei nicht auf Putins Seite, betont sie. Und nutzt diesen Moment für eine der sparsam eingesetzten Gesten: eine erhobene Hand, bei der sie zwei Finger zu einer Spitze zusammenführt.

Doch was nützt eine sympathische Vizepräsidentin, was die momentan überaus transatlantisch orientierte US-Regierung, wenn es nach der nächsten Präsidentschaftswahl vielleicht zu einer ganz anderen Konstellation in den Vereinigten Staaten kommt. Könnte es also doch sein, dass die Zeit für Putin spielt?

Harris antwortet, der US-Kongress habe überparteilich dazu beigetragen, dass die Ukraine gut unterstützt werden könne. „Ich glaube, die Menschen in den Vereinigten Staaten wissen genau, was auf dem Spiel steht.“ Die Amerikaner hätten die Bilder des Massakers von Butscha vor Augen. Sie habe, so sagt es die Vize-Präsidentin, die ukrainische Flagge in den Vereinigten Staaten in Orten gesehen, von denen die meisten im Saal vermutlich noch nie gehört hätten.

Ihre Stimme lässt kein bisschen an Festigkeit nach. Kein Zweifel ist zu erkennen. Das kann aber, natürlich, auch einfach Professionalität sein.

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Erstellt:
19. Februar 2023, 08:40 Uhr
Aktualisiert:
20. Februar 2023, 12:24 Uhr

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