Kompetenzen der EU

Karlsruhe überprüft Coronahilfen der EU

Mit einer gewaltigen Finanzspritze sollen die EU-Staaten auf die Beine kommen. Hat Europa dabei seine Kompetenzen überschritten?

Doris König leitet die Verhandlung des Zweiten Senates.

© dpa/Uli Deck

Doris König leitet die Verhandlung des Zweiten Senates.

Von Christian Gottschalk

Das Fell des Bären wird schon fleißig verteilt. Vor ziemlich genau einem Jahr hat Deutschland den ersten Teil der Coronahilfen aus dem neuen europäischen Aufbaufonds mit dem klingenden Namen „Next Generation EU“ bekommen. 2,25 Milliarden Euro, insgesamt sollen es rund 25,6 Milliarden Euro werden. Auch der Großteil der anderen 26 Mitgliedsländer ist schon bedacht worden. Mit Geld, das die EU so nicht hatte, sondern erst mal als Schulden aufnehmen musste. Ob das überhaupt geht, klärt nun das Bundesverfassungsgericht.

Keine Grundlage für eine Schuldenunion

In Karlsruhe liegen insgesamt sieben Verfassungsbeschwerden gegen den Corona-Wiederaufbaufonds der EU. Der hat ein Volumen von 750 Milliarden Euro – und hohe Haftungsrisiken für Deutschland, so seine Kritiker. Zwei Beschwerden hat der Zweite Senat des Gerichts nun zur Verhandlung herausgesucht, darunter die des „Bündnisses Bürgerwille“ um den früheren AfD-Chef Bernd Lucke. Die EU, so die Argumentation der Beschwerdeführer, habe mit dem Fonds ihre Kompetenzen überschritten. Das hätten die Bundesregierung und der Bundestag verhindern müssen.

Die Beschwerde richte sich nicht dagegen, dass es Finanzhilfen gegeben habe, auch nicht gegen hohe Finanzhilfen, argumentieren die Beschwerdeführer. Allerdings wandele der Beschluss die EU in eine Fiskalunion, in eine Schuldenunion. Wer das wolle, der müsse die Europäischen Verträge ändern, argumentiert der Marburger Staatsrechtler Hans-Detlef Horn. Er sieht eine „Schuldenpolitik der Mitgliedsstaaten über die europäische Bande“. Die Rechtskonstruktion, mit der die Mitgliedsstaaten die europäische Kreditaufnahme durchgewinkt haben, sei „das Ergebnis einer politischen Entscheidung“ und juristisch gesehen „Normakrobatik“.

Fonds hat Aufschwung geschaffen

Vertreter der Bundesregierung und des Bundestages sahen das anders. Die Einigung habe seinerzeit für Beruhigung gesorgt und die Basis für einen Aufschwung geschaffen, hieß es. Den Vorwurf, die EU verstoße gegen ein Verschuldungsverbot, weist der Hamburger Steuerrechtsprofessor Ulrich Hufeld zurück. Der Fonds sei vielmehr wie eine Kerze zu betrachten: Sei diese erst einmal abgebrannt, dann sei es auch mit der Verschuldung vorbei.

Ein Großaufgebot an Wirtschaftswissenschaftlern wird den Verfassungsrichtern des Zweiten Senates ihre Sicht der Dinge darlegen, was Eigenmittel der EU sind und ob Schulden dazu gehören. Das Gericht muss zudem prüfen, ob es ein ungeschriebenes, allgemeines Verschuldungsgebot gibt. Bei der Einschätzung dieser Frage habe sich, so der Berichterstatter Peter Huber, in den vergangenen zehn Jahren einiges bewegt.

Ungewöhnliche Vorgeschichte

Eine nicht ganz alltägliche Vorgeschichte hat das Verfahren schon. Am 26. März 2021 untersagte das Bundesverfassungsgericht dem Bundespräsidenten erst einmal, das vom Bundestag und Bundesrat gerade beschlossene Gesetz auszufertigen. Erst sollte ein Antrag auf einstweilige Verfügung gegen das Regelwerk geprüft werden. Die Richter lehnten den Antrag zwar ab, doch das muss für die nun verhandelte Hauptsache kein Fingerzeig sein. Bis zur Entscheidung werden mehrere Monate vergehen. Sollten die Richter zu dem Schluss kommen, dass sich die EU Kompetenzen anmaßt, fangen die Probleme erst an.

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Erstellt:
26. Juli 2022, 16:14 Uhr

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