Kassen-Gutachter: 82 Tote durch Behandlungsfehler

dpa Berlin. Falsche Medikamente, die den Gesundheitszustand noch verschlimmern, unnötige OPs oder vertauschte Gewebeproben: Schwere Diagnose- und Behandlungsfehler passieren selten - aber sie passieren.

„Unsere Zahlen zeigen nur einen kleinen Ausschnitt eines Problems (...)“, heißt es vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (Symbolbild). Foto: Sven Hoppe/dpa

„Unsere Zahlen zeigen nur einen kleinen Ausschnitt eines Problems (...)“, heißt es vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (Symbolbild). Foto: Sven Hoppe/dpa

Gutachter der Krankenkassen haben im vergangenen Jahr in 2826 Fällen ärztliche Behandlungsfehler festgestellt, die zu gesundheitlichen Schäden bei Patienten geführt haben. In 82 Fällen führten diese sogar zum Tod.

Das geht aus der jährlichen Statistik des Medizinischen Dienstes der Kassen hervor, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.

Die Expertinnen und Experten der Kassen erstellten im vergangenen Jahr 14.042 Gutachten, nachdem Patienten sich wegen vermuteter Behandlungsfehler beschwert hatten. Fast jedes dritte Gutachten (4099) kam zu dem Schluss, dass ein Behandlungsfehler vorlag, in 2826 Fällen führte dieser zu einem gesundheitlichen Schaden.

Die Zahlen bewegen sich seit Jahren auf ähnlichem Niveau. Die Statistik vor einem Jahr wies 14.553 Gutachten wegen vermuteter Behandlungsfehler aus, mit 2953 Fällen, in denen die Fehler zu Gesundheitsproblemen führten und 85 Todesfällen. In Deutschland gibt es pro Jahr ungefähr 20 Millionen Klinikbehandlungen und knapp eine Milliarde Arztkontakte in den Praxen.

Rückschlüsse auf die allgemeine Fehlerhäufigkeit bei medizinischen Behandlungen können aus den Zahlen nicht gezogen werden, da es keine zentrale Erfassung gibt. So gibt es neben Beschwerdemöglichkeiten bei den Krankenkassen auch bei der Ärzteschaft Beschwerdestellen, zudem wenden sich manche Patienten direkt an Anwälte und Gerichte und viele Fälle dürften nicht bemerkt oder nicht gemeldet werden.

„Unsere Zahlen zeigen nur einen kleinen Ausschnitt eines Problems, das engagierter angegangen werden muss“, sagte der Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes ,Stefan Gronemeyer. Man sehe immer nur die Spitze des Eisbergs. Gronemeyer sprach von empirischen Untersuchungen von Krankenhausakten, wonach die Zahl von Behandlungsfehlern ungefähr 30 mal so hoch sein könnte.

Fehler bei Operationen meist leichter zu erkennen

Die meisten Vorwürfe, die Patienten erhoben, betrafen Behandlungen in Kliniken im Zusammenhang mit Operationen. Beschwerden gab es demnach etwa nach Knie- und Hüftgelenksimplantationen, Behandlungen von Knochenbrüchen, Gallensteinbehandlungen, Augen-OPs oder Operationen am Grauen Star. Häufig wurden Fälle aus der Orthopädie oder Unfallchirurgie gemeldet, was aber nicht bedeutet, dass dort mehr Fehler als anderswo passieren. „Eine Häufung von Vorwürfen in einem Fachgebiet sagt nichts über die Fehlerquote oder die Sicherheit in dem jeweiligen Gebiet aus“, sagte die leitende Ärztin des Medizinischen Dienstes Bayern, Astrid Zobel. So seien Fehler bei Operationen von Betroffenen meist leichter zu erkennen als etwa Medikationsfehler auf der Intensivstation.

Zobel schilderte am Dienstag einige konkrete Fälle von schweren Behandlungsfehlern: So sei etwa bei einer Patientin ein Knoten in der Brust festgestellt worden. Die entnommene Gewebeprobe nach der OP sei dann vertauscht worden und eine andere Patientin habe fälschlicherweise eine Chemotherapie bekommen. In einem anderen Fall sei einem Patienten in einer Klinik eine Magensonde in die Lunge gelegt worden. Die dort einlaufende Nahrung habe dann zu einer Lungenentzündung geführt.

Gronemeyer forderte für eine bessere Prävention die Schaffung eines gesetzlichen Rahmens für ein Meldesystem und für Vertrauensstellen, an die sich Ärztinnen und Ärzte bei schwerwiegenden Fehlern „angstfrei“ und ohne Furcht vor Bestrafung wenden könnten. Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz hält ein zentrales Register für Behandlungsfehler für dringend notwendig. Es brauche alle Fakten, um aus Fehlern zu lernen, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Er sprach sich außerdem für die Einrichtung eines mindestens 100 Millionen Euro großen Härtefallfonds für die Opfer von medizinischen Behandlungsfehlern aus. Dieser solle vom Staat und den Haftpflichtversicherungen der Krankenhäuser und Ärzte gefüllt werden.

© dpa-infocom, dpa:211012-99-567551/3

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Erstellt:
12. Oktober 2021, 12:14 Uhr

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