Brauchtümer
Kein Bock auf Tradition
Die Geißbockversteigerung in Deidesheim ist ein jahrhundertealter Brauch. Nur was tun, wenn der Geißbock sich dagegen wehrt?

© Imago/Herrmann Agenturfotografie
Jedes Jahr bringt ein frisch vermähltes Ehepaar aus Lambrecht einen Geißbock nach Deidesheim, wo er dann versteigert wird.
Von Julian Meier
Was für ein sturer Bock! Michael IV. wehrte sich nach Kräften gegen sein Schicksal. Von Lambrecht die 14 Kilometer bis nach Deidesheim laufen? Nicht mit mir, dachte sich der Geißbock. Am Ende landete er im Anhänger und wurde abtransportiert – und für die Rekordsumme von 7700 Euro versteigert.
Mittlerweile zählt die Geißbockversteigerung im rheinland-pfälzischen Deidesheim zum Immateriellen Kulturerbe der Unesco. Immer am Dienstag nach Pfingsten startet um 5.30 Uhr in Lambrecht eine Gruppe mit dem Geißbock und marschiert nach Deidesheim. Dort wird das Tier am Abend dann versteigert. Ursprünglich als Gegenleistung fürs Weiderechte gedacht, ist es mittlerweile vor allem eines: ein feucht-fröhliches Fest.
Auch andere Bräuche sind weiter en vogue
Die Leidtragenden der Null-Bock-Einstellung von Michael IV. waren übrigens Lisa und Michael Müller. Das frisch vermählte Ehepaar hatte die Aufgabe, den Geißbock nach Deidesheim zu bringen. „Drum prüfe, wer sich ewig bindet“, hat schon Schiller gedichtet. Für Ehepaare in Lambrecht gilt das in besonderer Weise. Neben den üblichen leeren Worthülsen wie Treue und Ehrlichkeit bekommt jedes Jahr ein Paar die echte Eheverpflichtung als Hüter des Bocks. Besonders Frau Müller war Feuer und Flamme für die Aufgabe. Da soll noch einer behaupten, junge Leute hätten kein Interesse an Traditionen.
Auch andere Bräuche sind weiter en vogue. In Oberschwaben und im Allgäu wird beispielsweise das Christbaumloben gerne praktiziert. Nur kurz ein fremdes Bäumchen loben, und schon gibt es einen Gratisschnaps. Wer gerne Komplimente verteilt, hat da ruckzuck einen sitzen. Im Endeffekt ist der Anlass aber auch egal, denn der Zweck all dieser Rituale ist derselbe: Getrunken wird immer. Das ist dann wohl der älteste Brauch.