Kein Schwein ruft mehr an

Kaum noch öffentliche Telefone in Backnang und Umgebung – Telekom: Eine Frage der Wirtschaftlichkeit

Kein Kleingeld oder nur noch eine leere Telefonkarte? Früher konnte das durchaus ein großes Drama bedeuten. Heute ist kaum noch jemand auf öffentliche Telefone angewiesen, nach und nach sind die meisten still und leise verschwunden. Und doch: Hie und da gibt es sie noch. Wir haben uns auf die Suche nach ihnen begeben und zusätzlich bei der Telekom nachgeforscht. Dabei haben wir Interessantes herausgefunden.

Jeder oder fast jeder hat ein Mobiltelefon. Da sind öffentliche Telefone wie hier in Allmersbach am Weinberg kaum noch gefragt. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Jeder oder fast jeder hat ein Mobiltelefon. Da sind öffentliche Telefone wie hier in Allmersbach am Weinberg kaum noch gefragt. Foto: A. Becher

Von Silke Latzel

ASPACH/BACKNANG/MURRHARDT. Der Gemeinderat in Aspach hatte Ende Januar über einen Antrag der etwas anderen Art zu entscheiden: Darf die Telefonzelle in Allmersbach am Weinberg, genauer gesagt in der Kleinaspacher Straße, weiter existieren oder nicht? Wieso sich die Ratsherren und -damen überhaupt mit diesem Thema beschäftigen mussten, hat natürlich Gründe. Und zwar eine Anfrage der Telekom, Europas größtem Telekommunikationsunternehmen. Dort hatte man nämlich festgestellt, dass der Umsatz, der in der Telefonzelle im vergangenen Jahr gemacht wurde, sage und schreibe 0,89 Euro beträgt – für das Unternehmen zu wenig, um die Kosten für den Unterhalt weiter tragen zu wollen.

Ein Anruf bei der Telekom bringt interessante Erkenntnisse: „Grundsätzlich passen wir unseren Bestand an Telefonzellen fortlaufend dem Bedarf bei den Bürgern an“, so die Antwort auf die Frage, wann Telefonzellen eigentlich abgebaut werden. „Der Unterhalt einer Telefonzelle kostet Geld, etwa für Strom, Standortmiete, Wartung oder Beseitigung von Schäden durch Vandalismus – wodurch alleine jährliche Kosten von rund einer Million Euro entstehen. Auch stillgelegte und noch nicht abgebaute Telefonzellen können aus diesen Gründen weiter Kosten verursachen.“

Die Telekom verkauft gebrauchte Telefonzellen

Mit der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände sei deshalb vereinbart worden, dass die Telekom Städte und Gemeinden wegen eines Abbaus der Telefonzellen ansprechen darf, wenn auf deren Gebiet „extrem unwirtschaftliche öffentliche Fernsprecher mit einem Umsatz von weniger als 50 Euro im Monat stehen“. Der Umsatz sei ein klares Indiz dafür, dass der Wunsch nach einer Grundversorgung durch die Bevölkerung an dieser Stelle offensichtlich nicht mehr besteht.

In der Regel würden die Kommunen zustimmen, die Telefonzellen abzubauen. „Sollte es – in Ausnahmefällen – zu keinem Konsens bezüglich eines bestimmten Standorts kommen, tauschen wir das vorhandene öffentliche Telefon gegen ein deutlich günstigeres ,Basistelefon‘ aus. Das ist in der Regel ein Metallpfosten, an dem ein Telefon angebracht ist. Dort kann – ausgenommen der Notruf – nur noch mit einer Telefonkarte telefoniert werden.“ Wieso das so ist, wird ebenfalls ganz einfach erklärt: „Keine Münzen heißt keine Münzkassetten und deshalb auch kein Diebstahl und einhergehend damit auch kein Vandalismus.“

Die Mitarbeiter der Telekom erklären weiter: „Wir beobachten ständig den Markt und die Nutzung unserer öffentlichen Telefone. Bei unseren Standortentscheidungen müssen wir abwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an einer Versorgung mit frei zugänglichen Telefonen und den wirtschaftlichen Interessen unseres Unternehmens.“ Man beobachte seit Jahren eine Verlagerung der Nutzung von öffentlichen Telefonen hin zu den Mobiltelefonen. „Aus diesem Grund haben viele Standorte – gerade im ländlichen Bereich – in der letzten Zeit an Bedeutung verloren. Eine bedarfsgerechte und flächendeckende Versorgung mit öffentlichen Telefonstellen wird allerdings nach wie vor von der Telekom sichergestellt.“ Wer also Telefonzellen vermisst, die es einmal gab und die plötzlich nicht mehr am gewohnten Ort stehen, kann sich sicher sein: Sie befanden sich an einem extrem unwirtschaftlichen Standort.

Doch wo gibt es denn überhaupt noch Telefonzellen? Wir haben in einigen Kommunen in unserem Verbreitungsgebiet nachgefragt und versucht herauszufinden, ob es dort noch Telefonzellen gibt und – wenn ja – wie viele und wo.

Backnang: Laut Pressesprecherin Christine Wolff gibt es noch sieben öffentliche Telefone in Backnang. Sie befinden sich am Burgplatz 3, in der Wassergasse 9, in der Oberen Bahnhofstraße 1, in der Uhlandstraße 1, in der Sulzbacher Straße 5, Am Obstmarkt 7 und in der Weissacher Straße 6. „Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass sich die Zahl der Standorte in Zukunft verkleinern wird“, so Wolff mit Verweis auf die Wirtschaftlichkeit der Standorte.

Weissach im Tal: Laut Hauptamtsleiter Maximilian Sczuka gibt es seit 2017 keine Telefonzellen mehr in Weissach. „Damals hat die Telekom die letzte abgebaut“, erzählt er. Sie habe in der Ortsmitte gestanden.

Sulzbach an der Murr: „Hier gibt es schon lange keine Telefonzellen mehr, ebensowenig wie frei stehende öffentliche Telefone“, sagt Michael Heinrich, Leiter des Hauptamts im Sulzbacher Rathaus. „Ich weiß, dass es so eines noch lange Zeit in Bartenbach gab, aber das ist meinem Wissen nach auch nicht mehr existent. Richtige Telefonzellen gibt es schon seit über zehn Jahren keine mehr bei uns.“

Murrhardt: Wie auch Backnang gehört Murrhardt zu den wenigen Kommunen im Verbreitungsgebiet der BKZ, die noch öffentliche Telefone haben – eines am Marktplatz und eines in der Walterichschule, lässt Stadtbaumeister Lars Kaltenleitner wissen.

Das Fazit der Telekom zum Thema Telefonzellen ist übrigens: „Allein der Kunde entscheidet durch sein Nutzungsverhalten darüber, wo und in welcher Anzahl öffentliche Telefone zur Verfügung stehen. Überall dort, wo es auch wirtschaftlich Sinn macht, bleiben öffentliche Telefone auch in Betrieb, zum Beispiel an Bahnhöfen, Flughäfen oder am Messegelände.“ Und die Telefonzelle in Allmersbach am Weinberg? Der Aspacher Gemeinderat stimmte mit zwei Enthaltungen und einer Gegenstimme dafür, das Telefon abzubauen.

Telefonzellen werden nach deren Ausbau fachgerecht entsorgt und recycelt. Wer möchte, kann sich eine alte Telefonzelle kaufen. Informationen über Verfügbarkeit, Preise und Konditionen können schriftlich per E-Mail erfragt werden: info@telekom.de

Info
Zahlen, Daten, Fakten

Die allererste Telefonzelle, der sogenannte Fernsprechkiosk, wurde 1881 in Berlin aufgestellt. 1899 kam der Münzfernsprecher auf.

Laut Bundesnetzagentur sind heute bundesweit noch knapp 17000 öffentliche Telefone in Betrieb. Ihre Blütezeit hatten sie in den 90er-Jahren. Mehr als 160000 Telefonstandorte befanden sich laut Deutschem Städtetag im öffentlichen Raum.

Zum Vergleich: In Deutschland kommen statistisch etwa 1,6 SIM-Karten für Mobilfunkgeräte auf jeden Einwohner.

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Erstellt:
8. Februar 2020, 06:00 Uhr

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