Keine Spielhalle im Bordell

Die Stadt Backnang ändert den Bebauungsplan und verhängt eine Veränderungssperre über den äußersten Teil der Sulzbacher Straße. Damit möchte die Stadtverwaltung die Einrichtung einer Spielhalle im Etablissement mit der Hausnummer 202 verhindern.

Das Bordell an der Haupteinfallstraße ist schon kein Aushängeschild für Backnang. Nun lehnt die Stadt zumindest die neue Spielhalle ab. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Das Bordell an der Haupteinfallstraße ist schon kein Aushängeschild für Backnang. Nun lehnt die Stadt zumindest die neue Spielhalle ab. Foto: A. Becher

Von Matthias Nothstein

BACKNANG. Die Einfallstraßen zu Städten sind gemeinhin deren Visitenkarten. Kein Wunder also, wenn die Verwaltungen darum bemüht sind, diese Einfahrten so attraktiv wie möglich zu gestalten. Die Absicht gilt zwar auch für Backnang, aber das Ergebnis ist nicht unbedingt immer gelungen. Wer zum Beispiel aus Richtung Norden in die Kernstadt fahren möchte, der passiert in der Sulzbacher Straße als zweites Gebäude gleich das Bordell „Eros 202“. Und wenn die Kreuzung B14/Sulzbacher Straße demnächst umgebaut wird, damit das Industriegebiet Lerchenäcker trotz künftig vierspuriger Bundesstraße eine zweite Einfahrt erhält, dann wird die Kreuzung einige Meter weiter in Richtung Süden verlagert. Mit dem Effekt, dass die Verkehrsteilnehmer künftig frontal auf das Gebäude Sulzbacher Straße 202 zufahren.

Das ist nicht zu ändern. Nun jedoch haben die Betreiber des Etablissements in der Sulzbacher Straße im vergangenen Jahr noch den Bauantrag gestellt, im obersten Stockwerk, das bislang als Gaststätte genutzt wurde, eine Spielhalle einzurichten. Und haben damit die Verantwortlichen bei der Stadt in helle Aufregung versetzt. Wenn diese schon den Bordellbetrieb nicht verbieten können, dann zumindest den Spielhallenbetrieb. Doch es gibt ein Problem: Nach dem geltenden Bebauungsplan wäre die Einrichtung einer Spielhalle zulässig.

Um dies zu verhindern, stellt die Stadt den Bebauungsplan „Strümpfelbach-Seewiesen“ neu auf. Und zwar konkret für diesen Bereich am Ende der Sulzbacher Straße. Und damit die Bauherren in der Zwischenzeit keine Nägel mit Köpfen machen können, hat die Verwaltung parallel zum Aufstellungsbeschluss in der jüngsten Sitzung des Ausschusses Technik und Umwelt auch gleich eine Veränderungssperre zur Abstimmung gestellt, die auch einstimmig abgesegnet wurde. Die Veränderungssperre ist zwei Jahre gültig und kann sogar um ein Jahr verlängert werden. In dieser Zeit muss die Kommune den Bebauungsplan wasserdicht abändern. Darin kann dann etwa geregelt werden, dass Baugesuche abgelehnt werden, die die Einrichtung einer Vergnügungsstätte zum Ziel haben.

Baurechtsamtsleiter Wagner: „Sobald die Veränderungssperre in Kraft ist, können wir den Bauantrag ablehnen.“

In der Ausschusssitzung erläuterte Helmut Wagner, der Leiter des Baurechtsamts, die rechtliche Lage. Er verwies auf die Spielhallenkonzeption der Stadt Backnang aus dem Jahr 2010, wonach Spielhallen an Hauptzufahrtsstraßen ausgeschlossen werden. Bislang habe der Verweis auf dieses Konzept bei den Bauherren gereicht, dass diese ihr Vorhaben nicht weiter verfolgten. Im jüngsten Fall nun habe der Bauherr auf der Genehmigung beharrt und die Ablehnung sinngemäß kommentiert: „Das wollen wir mal sehen.“ Diese Entschlossenheit ist der Grund, weshalb das Thema nun den Gemeinderat beschäftigt. Wagner: „Um das Verbot umsetzen zu können, müssen wir den Bebauungsplan ändern und eine Veränderungssperre erlassen. Sobald wir den Aufstellungsbeschluss und die Veränderungssperre öffentlich bekannt gemacht haben, können wir den Bauantrag für die Spielhalle ablehnen.“

Dass an dieser Stelle auch aus Imagegründen und aus wirtschaftlichen Interessen heraus keine Spielhalle genehmigt werden soll, das bekräftigte auch Stadtbaudezernent Stefan Setzer. Er benutzte den Begriff Trading-Down-Effekt. Das bedeutet, dass es in der Regel durch Spielhallen zu einer Abwertung des Umfelds kommt. Der Einzelhandel bleibt auf der Strecke und zieht weg, es siedeln sich weitere spezielle Gaststätten, Wettbüros und Spielhallen an. Oft sind die Einzelhandelsgeschäfte zum Beispiel nicht wettbewerbsfähig in Bezug auf die Mieten. Diese steigen im Umfeld der Spielhallen, weil deren Betreiber riesige Gewinne erzielen und diese Mieten bezahlen können. Setzer: „Plötzlich gibt es Straßenzüge, in denen nur noch eine solche Nutzung vorherrscht.“

Im Zuge eines neuen Spielhallenkonzepts, das derzeit in Planung ist, kann es sein, dass von den einst acht Spielhallen im Backnanger Stadtgebiet nur noch vier übrig bleiben. Die finanziellen Auswirkungen für die Stadt wären nicht ohne. Von den 1,4 Millionen Euro Einnahmen aus der Glücksspielsteuer würden 700000 Euro wegfallen. Wobei nicht geklärt ist, ob es in diesem Fall nicht Verlagerungen in die übrig gebliebenen Spielhallen gibt. Für die Stadträte spielten die geringeren Einnahmen jedoch nicht die wesentliche Rolle. Sie verwiesen unisono auf die schlimmen Auswirkungen der Spielsucht. So sagte Erdal Demir (BfB/BIG): „Ich will nicht wissen, wie viele Familien durch die Spielsucht kaputt gehen. 700000 Euro weniger Einnahmen sind kein Argument, da fehlen mir die Worte. Ich würde alle schließen.“ Steffen Siggi Degler (AfD) erklärte, er kenne das Elend aus seinem eigenen Umfeld. Er sagte: „Ich bin generell gegen Glücksspiel, von mir aus sollte man alle Automaten abhängen.“ Allerdings meinte er auch, wenn man das Spielen nicht verhindern könne, dann sollten zumindest die Steuereinnahmen in die örtliche Stadtkasse fließen. Auch Heinz Franke und Armin Dobler (beide SPD) waren sich einig, „jede Spielhalle weniger ist gut“. Doch Franke gab auch zu bedenken, dass die Spielsüchtigen deshalb trotzdem existieren. Er hielt nichts von einfachen Schließungen und einem Verdrängungswettbewerb. Dann würden die Süchtigen in Winnenden oder Waiblingen spielen. „Wir müssen auch die Süchtigen unterstützen und ihnen helfen.“ Willy Härtner (Grüne) bezweifelte es gar, ob sich die Schließung negativ auf das Stadtsäckel auswirken würde. Aufgrund der Aufwertung des Einzelhandels in Gebieten ohne Spielhallen könnte es sogar mehr Einnahmen geben.

Der Hälfte der Spielhallen im Backnanger Stadtgebiet droht das Aus

Helmut Wagner, Leiter des Baurechtsamtes, hat in der Ausschusssitzung auch auf den neuen Glücksspielstaatsvertrag verwiesen, der derzeit in den Landtagen beraten wird. Baden-Württemberg hat diesem Vertrag bereits zugestimmt. Mit ihm wird unter anderem das Internet-Glücksspiel legalisiert.

Die Länder reagieren, weil sie erkannt haben, dass es unmöglich ist, das Internet-Glücksspiel zu verbieten. Die Firmen haben ihren Sitz im Ausland und unterliegen nicht deutschem Recht. Nun soll das Internet-Glücksspiel in Deutschland legalisiert werden. Wenn die Firmen ihren Sitz in Deutschland wählen, können die Aktivitäten zumindest in geordnete Bahnen gelenkt werden.

Die Erfahrung lehrt, dass es im Nachgang zum Staatsvertrag auch zu Änderungen beim Landesglücksspielgesetz kommt. Sollte dies der Fall sein, eventuell nach der Landtagswahl, dann müssten diese Änderungen auch bei der Aktualisierung des Backnanger Spielhallenkonzeptes berücksichtigt werden. Laut Wagner wurde das Backnanger Konzept 2010 noch vor der Einführung der 500-Meter-Abstandsregel erarbeitet. Diese Regel aus dem Jahr 2012 besagt, dass Spielhallen 500 Meter Abstand untereinander und zu Schulen oder Jugendhäusern haben müssen. Backnang konnte in den vergangenen Jahren entsprechende Bauanfragen mit dem Verweis auf diese 500-Meter-Abstandsregel oder auf das Spielhallenkonzept oder aufgrund des Ausschlusses in den Bebauungsplänen ablehnen. Wie erwähnt bislang auch im Falle des Projekts Sulzbacher Straße 202.

Das neue Spielhallenkonzept ist derzeit in Arbeit. Es wird zusammen mit dem neuen Einzelhandelskonzept erarbeitet, damit alles aus einem Guss ist. Setzer rechnet damit, dass es noch Ende dieses Jahres fertig sein könnte. Dann muss der Gemeinderat darüber abstimmen. Allerdings verwies Setzer auch darauf, „dass Glücksspiel ein gesellschaftliches Problem ist, das können wir nicht mit dem Baurecht lösen“.

Vor allem die 500-Meter-Abstandsregel untereinander könnte für die bisherigen Spielhallen heftige Konsequenzen haben. Die Verwaltung geht davon aus, dass vier Hallen schließen müssen. Welche das sind, das ist noch völlig offen. Das Land hat es den Kommunen überlassen, dies über die Bauleitplanung zu klären. Setzer vermutet, dass ein Kriterium sein wird, welcher Standort am besten geeignet ist. Der Bestandsschutz zählt in diesem Fall nicht. Setzer rechnet damit, dass es zu vielen Klagen kommen wird. Das sei auch der Grund, weshalb sich bislang erst wenige Kommunen an das heiße Eisen herangetraut haben.

In Backnang wurde eine Spielhalle in der Talstraße im vergangenen September bereits geschlossen. Aktuell sind es nur noch sieben.

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Erstellt:
2. März 2021, 06:00 Uhr

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