Keine Verpackungssteuer in Backnang

Stadtverwaltung will zunächst Ausgestaltung des Plastikverbots der Europäischen Union und dessen Umsetzung abwarten

Eine Steuer auf Einwegverpackungen wie Pizzakartons und Coffee-to-goBecher: Als erste Stadt Deutschlands möchte Tübingen gerne, dass Gaststätten, Restaurants und Imbisse, die Essen zum Mitnehmen anbieten, 50 Cent für jede Einwegverpackung bezahlen. So soll die Vermüllung im Stadtgebiet reduziert werden. Ein Modell, das auch in Backnang Zukunft haben könnte? Wirhaben nachgefragt.

Guten Hunger: Pizza, Burger und Co. sind zwar lecker und ein schnelles Mittagessen, hinterlassen allerdings auch viel Müll. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Guten Hunger: Pizza, Burger und Co. sind zwar lecker und ein schnelles Mittagessen, hinterlassen allerdings auch viel Müll. Foto: J. Fiedler

Von Silke Latzel

BACKNANG. Bereits im Dezember vergangenen Jahres hatte der Tübinger Gemeinderat für die Ausarbeitung einer Verpackungssteuer gestimmt. Diese bundesweit einzigartige Steuer auf Dönerboxen, Pizzakartons, Coffee-to-go-Becher und Co. sollte eigentlich zum April 2020 in Kraft treten. Nun aber gibt es im Gemeinderat Zweifel, ob die mittlerweile von der Verwaltung vorgelegte Ausarbeitung rechtlich anfechtbar ist. Ein Gutachten soll jetzt her. Somit könnte die Steuer nun nicht mehr im April, sondern frühestens im Juli kommen.

Wie steht die Stadtverwaltung in Backnang zu einer solchen Steuer, auch wenn es sie bislang in keiner Kommune in Deutschland gibt? Die Antwort der Pressestelle: „Die Stadt Backnang, wie auch die meisten anderen Städte Baden-Württembergs, teilt die rechtlichen Bedenken, die zum Vertagen der Tübinger Entscheidung geführt haben.“ Zudem wolle man zunächst die Ausgestaltung des Plastikverbots der Europäischen Union und dessen Umsetzung der Bundesregierung abwarten. „In Anbetracht der derzeitig vorherrschenden Rechtsunsicherheiten soll im Jahr 2021 geprüft werden, ob auf die Regelung der Europäischen Union aufgebaut werden kann“, so die Aussage weiter.

„Grundsätzlich ist die Diskussion richtig“

Ein Anruf bei Ordnungsamtsleiterin Gisela Blumer. Sie sagt dazu: „Wir arbeiten intensiv am Thema Müllvermeidung.“ Mit dem Aktionsplan „Saubere Stadt“, der im März 2017 vom Gemeinderat beschlossen wurde, seien auch bereits einige Maßnahmen zur Vermeidung beziehungsweise schnelleren Beseitigung von Müll vorgestellt worden. Außerdem seien auf Veranstaltungen auf öffentlicher Fläche – wie etwa beim Straßenfest – schon seit Anfang der 90er-Jahre Einwegprodukte aus Plastik nicht zugelassen. „Da waren wir damals eine der ersten Kommunen, die das umgesetzt hat. Und unsere Vereine haben toll mitgemacht. Wir werden uns auch weiterhin mit diesem Thema auseinandersetzen“, so Blumer. Allerdings wolle man eher auf Freiwilligkeit setzen und darauf, dass die Menschen selbst mitmachen und Müll vermeiden wollen – „vor allem in Anbetracht der derzeit rechtlich problematischen Situation“, mit der jetzt auch bei der Stadt Tübingen umgegangen werden muss.

Thomas Korell, Mitbegründer der Initiative „Plastikfreies Backnang“ hat sich im Zuge seiner Recherchen schon intensiv mit dem Thema Müllvermeidung auseinandergesetzt (wir berichteten) – und natürlich auch mit dem Thema Verpackungsmüll bei Essen, das man sich schnell mal zwischendurch oder in der Mittagspause auf die Hand holt oder einpacken lässt, um im Büro zu essen. Er sagt: „Grundsätzlich ist die Diskussion richtig und man muss einfach die Frage stellen, wer am Ende für die Entsorgung des Mülls bezahlt, den man verursacht. Für den Hausmüll muss man ja auch bezahlen.“

Sollte eine solche Steuer in Tübingen durchgesetzt und somit die Verpackung besteuert werden – was zum derzeitigen Standpunkt noch nicht sicher ist –, hat Korell die Befürchtung, dass die Restaurantbetreiber und Imbissbudenbesitzer diese Kosten aus betriebswirtschaftlicher Sicht auf das Essen und somit auf die Kunden umlegen, das gekaufte Essen also einfach teurer werden würde. „Wenn sie das dann aber nur bei den Gerichten zum Mitnehmen machen würden, würde das vielleicht einen Anreiz schaffen, dass man im Restaurant isst und somit der Verpackungsmüll ja gar nicht erst entsteht.“ Wer Müll verursacht, der soll grundsätzlich schon spürbar dafür bezahlen, so Korell. „Aber Anreize zu geben, etwas zu ändern, finde ich besser als eine Steuer. Ich versuche immer beide Seiten zu verstehen. Kleine Betriebe, die sowieso schon sehr knapp kalkulieren, würde eine solche Steuer schon hart treffen“, sagt er und ergänzt: „Man braucht da einfach Fingerspitzengefühl, wenn man nicht jeden zweiten Betrieb killen will.“

Statt einer Steuer erachtet Korell eine in anderen Städten bereits bewährte Idee als viel sinnvoller: ein Mehrwegpfandsystem. „Am Ende ist Mehrweg nie teurer als Einweg. Und es könnte ja vielleicht sogar von der Stadt gefördert werden. Man muss ja nicht einmal eines der bereits bestehenden Systeme übernehmen, die sich in anderen Städten bereits erfolgreich etabliert haben, sondern kann ein eigenes entwickeln.“

„Wichtig ist, dass nur alle Akteure gemeinsam etwas ändern können“

Das Problem sei seiner Meinung nach nämlich vor allem Mittagessen, das oftmals nicht im Restaurant konsumiert wird. „Andererseits ist aber auch gerade das eine echte Chance. Denn wer holt sich denn in den Backnanger Betrieben das Essen? Das sind Menschen, die in Backnang arbeiten. Und hier in der Innenstadt sind das in der Regel sehr kurze Wege, das ist ideal für ein Mehrwegsystem mit Pfand. Erfolgsabhängig ist natürlich, ob es sich flächendeckend in Backnang einführen lassen würde.“ Selbst Selbstständiger und vertraut mit dem Wettbewerb sieht Korell hierbei auch Vorteile für die Gastronomen, die sich für ein Mehrwegsystem entscheiden würden: „Ich könnte mir vorstellen, dass man durchaus attraktiver für Kunden wird, wenn man so etwas vielleicht sogar als Erster in der Stadt anbietet.“

Noch habe man mit der Stadtverwaltung kein gemeinsames Projekt gestartet, das könne aber gerne kommen. Auch laut Pressestelle der Stadt Backnang werde man „Vorschläge, die von der Initiative Plastikfreies Backnang oder anderen Bürgern zur Vermeidung von Müll in der Stadt, an die Stadtverwaltung herangetragen werden, stets aufnehmen und auf Umsetzbarkeit prüfen“.

Worin sich Blumer und Korell einig sind, ist, dass es auf die Kommunikation ankommt und dass man die Menschen der Stadt Backnang beim Thema Müllvermeidung mitnehmen sollte. „Man muss da einfach Zeit und Energie reinstecken, auf die Menschen zugehen, mit ihnen sprechen und alles erklären“, sagt Korell. Er habe Hoffnung, dass sich dann etwas bewegt, schließlich werde das Thema Müll und Vermeidung immer wichtiger. „Wichtig ist doch, dass nur alle Akteure gemeinsam etwas ändern können. Für so etwas braucht es eben eine Initialzündung. Und vielleicht war der Vorstoß aus Tübingen dieser Impuls, den wir brauchen, um miteinander zu sprechen und uns etwas zu überlegen.“

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Erstellt:
15. Oktober 2019, 06:00 Uhr

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