Uni-Absolventen in Stuttgart

Keine Wohnung, keinen Job – zwei Ingenieure unter Zeitdruck

Berk aus der Türkei und Walter aus Brasilien wollen nach ihrem Maschinenbau-Studium in Stuttgart bleiben. Doch der Weg in den Beruf ist steinig – und die Zeit drängt.

Der 28-Jährige Berk ist vor drei Jahren für sein Studium  nach Stuttgart gekommen. Den Wunsch in Deutschland zu leben, hatte er schon viel länger.

© Lichtgut

Der 28-Jährige Berk ist vor drei Jahren für sein Studium nach Stuttgart gekommen. Den Wunsch in Deutschland zu leben, hatte er schon viel länger.

Von Veronika Kanzler

Der Master ist geschafft, doch der nächste Schritt fehlt: ein Job. Für Berk und Walter, zwei Maschinenbauabsolventen der Universität Stuttgart, beginnt der Ernst des Lebens mit einer Leerstelle. Im Oktober müssen sie aus dem Studentenwohnheim ausziehen – doch wohin, wenn noch unklar ist, wo sie künftig arbeiten werden?

Eine eigene Wohnung ist ohne Einkommen kaum zu finanzieren, eine WG nur sinnvoll, wenn der Arbeitsort feststeht. Für Berk aus der Türkei und Walter aus Brasilien ist Stuttgart längst mehr als ein Studienort geworden. Hier haben sie sich ein Leben aufgebaut – und hier wollen sie bleiben. Noch einmal von vorne anfangen? Das möchten beide vermeiden.

Masterarbeit bei Bosch – aber leider keine Übernahme

Berk kam vor drei Jahren aus Ankara nach Stuttgart. Seinen Bachelor hatte er 2021 in der türkischen Hauptstadt absolviert. Für den Master kam er in die schwäbische Landeshauptstadt. Seine Abschlussarbeit schrieb er bei Bosch im Bereich Steuergeräteentwicklung. „Im Mai habe ich meine Masterarbeit abgegeben – eine Übernahme war leider nicht möglich“, sagt er. Der 29-Jährige hatte das befürchtet und begann früh mit der Jobsuche. „Ich habe schon über 100 Bewerbungen geschrieben“, erzählt Berk. Eine Liste hilft ihm, den Überblick zu behalten.

Anfangs konzentrierte sich Berk auf große Unternehmen und klar definierte Positionen. Inzwischen bewirbt er sich auch bei kleineren Firmen und außerhalb der Region. Immerhin erhält er von den meisten Unternehmen eine Rückmeldung. Leider sind es meist Absagen – Vorstellungsgespräche gab es bisher nur wenige.

60.000 Euro Einstiegsgehalt sind als Ingenieur derzeit wohl eher unrealistisch

Walter wuchs in Südbrasilien auf, kam 2018 für ein Austauschjahr nach Deutschland – und blieb. Den Bachelor machte er in Bochum, den Master in Stuttgart. Auch ihm ist die Stadt ans Herz gewachsen – vor allem wegen der Kunst. Der Ingenieur besucht gerne Theater und Ausstellungen, vor allem die Galerie Mensing in der Calwer Straße hat es dem 29-Jährigen angetan.

Seit der Abgabe seiner Masterarbeit Anfang Mai hat Walter rund 50 Bewerbungen geschrieben – langsam, gezielt, mit individuell zugeschnittenen Anschreiben. Zwei Gespräche hat er geführt, ein weiteres steht an. Seine Gehaltsvorstellung musste er bereits korrigieren: „Ich dachte, mit einem Master verdiene ich als Berufseinsteiger mindestens 60 000 Euro.“ Realistischer seien aber wohl eher 55 000 Euro.

Beide dürfen noch bis Oktober im Studentenwohnheim der Uni Stuttgart bleiben. Dann werden sie exmatrikuliert und ihre Zimmer an neue Studenten vermietet. Walter hat Verwandte, die in Österreich leben. Notfalls könnte er zu ihnen ziehen. Damit es nicht so weit kommt, schaut er bereits in Stuttgart und der Umgebung nach einer Bleibe, die halbwegs bezahlbar ist. Wenn ihm das Geld ausgehen sollte, würde er sich einen Job suchen, zum Beispiel als Kellner.

Aufenthaltserlaubnis für 18 Monate nach Studium

Berk ist noch nicht auf Wohnungssuche. Er will vermeiden, mehrfach umziehen zu müssen. Erst ein Job, dann eine Wohnung – so sein Plan. Was ihn zusätzlich unter Druck setzt: Seine Aufenthaltserlaubnis gilt bis 18 Monate nach dem Studium. „Ich habe anderthalb Jahre Zeit, einen Job zu finden. Ansonsten muss ich gehen.“ Um sich über Wasser zu halten, arbeitet Berk als Wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität. „Es ist nicht sehr viel Geld – aber genug, um nicht in Panik zu geraten.“

Bosch, Porsche und Mercedes schreiben weniger Stellen aus

Was Berk und Walter erleben, ist kein Einzelfall. Die Automobilindustrie im Südwesten steht unter Druck – und das wirkt sich zunehmend auf den Arbeitsmarkt aus. Die großen Namen, die einst für Sicherheit und Karrierechancen standen, bauen Stellen ab oder schreiben deutlich weniger aus. Laut einer Erhebung des Berliner Unternehmens Index Research sank die Zahl der Stellenausschreibungen mit Arbeitsplatz in Baden-Württemberg im Vergleich von 2023 zu 2024 deutlich.

  • Bei Bosch, dem weltweit größten Automobilzulieferer mit Sitz in Gerlingen, sank die Zahl der ausgeschriebenen Stellen im Land um 51 Prozent von 12 191 auf 5200
  • Beim Sportwagenhersteller Porsche halbierte sich die Anzahl der externen Stellenausschreibungen von 3000 auf 1549
  • Beim Stuttgarter Autohersteller Mercedes-Benz verringerten sich die Stellenausschreibungen um 40 Prozent. 2023 suchte der Konzern noch 7178 Mitarbeiter, 2024 waren 4310

Autoindustrie streicht innerhalb eines Jahres 51.000 Stellen

Eine Analyse der Beratungsgesellschaft EY zeigt nun, dass innerhalb eines Jahres allein in der deutschen Autoindustrie etwa 51 500 Jobs weggefallen sind. Das entspricht etwa sieben Prozent der Stellen. Seit dem Vor-Corona-Jahr 2019 sank die Zahl der Jobs sogar um gut 112 000. Jan Brorhilker, Managing Partner bei EY, sieht vorerst kein Ende des Stellenabbaus in der deutschen Industrie: „Bei einigen großen Industrieunternehmen laufen derzeit Kostensenkungs- und Restrukturierungsprogramme. In den aktuellen Beschäftigungsstatistiken zeigen sich die Auswirkungen dieser Stellenstreichungen erst mit einiger Verzögerung. Im Lauf des Jahres und bis ins kommende Jahr hinein wird die Zahl der Industriejobs daher weiter sinken“, erwartet Brorhilker.

Negativ-Rekord an arbeitslosen Hochschulabsolventen

Die Gründe sind vielfältig: Die Transformation zur Elektromobilität und Digitalisierung verändert den Bedarf an Fachkräften. Gleichzeitig dämpfen Konjunkturschwäche, internationaler Wettbewerbsdruck und geopolitische Unsicherheiten die Einstellungsbereitschaft.

Das sind schlechte Nachrichten auch für Schul- oder Hochschulabsolventen, so Brorhilker: „Die Automobilindustrie und der Maschinenbau stellen heute deutlich weniger junge Menschen ein als in den vergangenen Jahren. Der Arbeitsmarkt etwa für junge Ingenieure wird ungemütlich, viele werden sich neu orientieren müssen. Wir werden eine steigende Arbeitslosigkeit bei Hochschulabsolventen sehen – etwas, was es in Deutschland lange nicht gab.“

Die Zahl der arbeitslosen Hochschulabsolventen unter 30 Jahren stieg im Jahr 2024 um 25 Prozent auf 39 000 – so hoch wie nie zuvor. Davor schützen auch Praktika nicht. Berk und Walter haben beide ihre Masterarbeit in einem Unternehmen geschrieben. Früher galt das als gute Voraussetzung für eine Übernahme.

Beliebte Arbeitgeber trotz Krise: Mercedes, Porsche oder Bosch

„Mercedes, Porsche, Bosch, Siemens – das waren meine Wunscharbeitgeber“, sagt Berk. Auch Walter hätte am liebsten in der Automobilbranche angefangen. Doch der Einstieg blieb aus. Nach und nach haben beide ihren Suchradius erweitert: erst auf andere Städte in Süddeutschland, dann auf Norddeutschland und die Schweiz. Auch bei den Branchen wurden sie flexibler. Berk hatte zuletzt ein Telefoninterview bei einem Halbleiterhersteller in Berlin – ein Zukunftsfeld, das außerhalb seiner ursprünglichen Wunschbranche liegt.

Dass es trotzdem klappen kann, zeigt die Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Vier von fünf Akademikern finden innerhalb eines Jahres eine neue Stelle. Und das ifo-Institut erwartet für das kommende Jahr einen Beschäftigungsanstieg – rund 120 000 Menschen mehr sollen in Arbeit kommen.

Wirtschaftliche Lage in Baden-Württemberg hat sich verändert

Milliardenschwere Investitionen in Infrastruktur und Rüstungsindustrie könnten zu einem wirtschaftlichen Aufschwung beitragen – von dem auch Studienabsolventen wie Berk und Walter profitieren könnten.

Es ist nicht der Weg, den sich beide vorgestellt haben, als sie ihr Maschinenbaustudium in Deutschland begonnen haben. Aber sie blicken nach vorne. Zurück wollen sie nicht – auch wenn sie ihre Heimatländer lieben. Denn bei allen Herausforderungen in Deutschland: Die Jobaussichten in Brasilien und der Türkei sind deutlich schlechter. Zwischen Bewerbung und Rückmeldung, zwischen Wohnungsdruck und Visumsfrist – Berk und Walter bleiben optimistisch, dass auch sie in Deutschland Fuß fassen. Im Land der Ingenieure.

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Erstellt:
27. August 2025, 16:02 Uhr
Aktualisiert:
27. August 2025, 20:10 Uhr

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