Kind totgeschüttelt: Fünf Jahre Haft

25-jährige Syrerin wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt

Am Stuttgarter Landgericht wurde gestern das Urteil gesprochen. Archivfoto: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Am Stuttgarter Landgericht wurde gestern das Urteil gesprochen. Archivfoto: A. Becher

Von Andrea Wüstholz

FELLBACH/STUTTGART. Für fünf Jahre muss eine 25-jährige Syrerin ins Gefängnis. Sie hat nach Überzeugung des Landgerichts ein knapp zweijähriges Mädchen zu Tode geschüttelt. Das Kind war die Nichte ihres Ehemannes.

Die jetzt verurteilte Frau hatte in der Verhandlung ausgesagt, sie habe das Mädchen nicht geschüttelt. Doch ihre Version, wonach das Kind zuvor schon krank gewesen und nach dem Wickeln umgefallen sei, „kann nicht stimmen. So kann es nicht gewesen sein“, sagte der Vorsitzende Richter Christian Klotz am Freitagnachmittag in der Urteilsbegründung. Die Befunde zweier medizinischer Sachverständiger waren „eindeutig“: Das Kind muss mindestens zehn Mal heftig hin- und hergeschüttelt worden sein. Es erlitt schwere Hirnverletzungen, verlor das Bewusstsein und wurde Tage später in einem Stuttgarter Krankenhaus für hirntot erklärt. Aus Sicht der 1. Großen Strafkammer kommt allein die 25-jährige Syrerin als Täterin infrage.

Warum es zu dem Gewaltausbruch kam, blieb „im Dunkeln“, wie Christian Klotz weiter sagte. Mag sein, das Kind hatte genervt, geschrien, vielleicht gebockt. Es kam zur Spontantat. Die Frau, die selbst Mutter eines dreijährigen Jungen ist, hatte gewusst, so Klotz weiter, dass solch heftiges Schütteln zum Tod eines Kindes führen kann.

Verurteilt wurde die Frau jetzt wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Die Staatsanwaltschaft hatte vier Jahre Haft gefordert – noch zu wenig aus Sicht der Kammer, die eine fünfjährige Haftstrafe verhängte. Die Frau und ihr Ehemann sind vor wenigen Jahren als syrische Kriegsflüchtlinge nach Deutschland gekommen. Sie lebten in einer Wohnung in Fellbach. Der Bruder des Mannes und alleinerziehende Vater des betreffenden Mädchens wollte ebenfalls nach Deutschland kommen. Es klappte zunächst nicht. Der Mann gelangte mithilfe von Schleusern von der Türkei nach Griechenland. Dorthin reisten die 25-jährige Syrerin und ihr Mann. Sie schleusten das Mädchen nach Deutschland ein, indem sie den Pass ihres Sohnes für das Kind benutzten. Der Sohn war in Fellbach bei Nachbarn geblieben.

Knapp drei Monate lang lebte das Mädchen bei ihrem Onkel und dessen Frau in Fellbach. „Liebevoll und fürsorglich“ habe sich die 25-Jährige um das ihr anvertraute Mädchen gekümmert, sagte Klotz in seiner Urteilsbegründung. Das Kind habe sich gut eingelebt und sich in der Familie wohlgefühlt; das hatten mehrere Zeugen ausgesagt. Es gab auch keine Anhaltspunkte, dass die Frau überfordert gewesen wäre, weil sie nun außer ihrem Sohn ein zweites Kind zu betreuen hatte.

Warum es dann an jenem 11. Dezember 2018 zum gewalttätigen Übergriff gegen das Mädchen kam, darüber könne nur spekuliert werden: vielleicht „eine momentane Überreaktion aus Wut, ein Augenblicksversagen“ Laut einem Gutachter war die Frau jedenfalls zum Zeitpunkt der Tat voll schuldfähig.

Ihr Ehemann und auch der Vater des verstorbenen Kindes saßen die meiste Zeit als Zuhörer mit im Gerichtssaal in Stuttgart. Er mache der Frau keinerlei Vorwürfe, hatte der Vater des toten Mädchens über die Rechtsanwältin der Angeklagten mitteilen lassen. Er wolle nicht, dass dem Sohn der Angeklagten nun die Mutter genommen werde.

Info
Not-OP im Olgahospital

Die medizinischen Sachverständigen hatten in diesem Prozess klar und eindeutig erläutert, dass ausschließlich heftiges Schütteln als Todesursache infrage kam.

Das bewusstlose Kind war am 11. Dezember 2018 zunächst ins Winnender Krankenhaus gebracht worden. Dort wurde es sofort ans Olgahospital zur Not-OP überwiesen.

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Erstellt:
19. Oktober 2019, 06:00 Uhr

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