Aus Staufen lernen: Kommission will Kinderschutz verbessern

dpa/lsw Stuttgart. Mit den Empfehlungen der neuen Kinderschutz-Kommission sollen Fälle wie in Staufen verhindert werden. „Mehr zuhören, besser zusammenarbeiten“ könnte der Bericht überschrieben sein. Denn das scheint bislang zu wenig passiert zu sein.

Schatten von Händen einer erwachsenen Person und dem Kopf eines Kindes an einer Wand eines Zimmers. Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa/Illustration

Schatten von Händen einer erwachsenen Person und dem Kopf eines Kindes an einer Wand eines Zimmers. Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa/Illustration

Der Fall erschütterte bis ins Mark. Da vergewaltigt eine Mutter ihr Kind mit ihrem Partner, das Paar verkauft den Jungen sogar an andere. Der Kleine geht vor die Hunde im Kompetenzgerangel zwischen Behörden und Justiz. Das durfte nie wieder passieren, nahm sich die Landesregierung vor, und rief eine Kinderschutz-Kommission ins Leben. Auf stattlichen 200 Seiten empfiehlt die Experten-Task-Force nun, was besser werden muss, um Kinderschicksale zu schützen vor Missbrauch. „Wir müssen den Kindern besser zuhören. Und wir müssen besser zusammenarbeiten“, erklärte das Fachgremium am Montag bei der Vorlage seines ersten Berichts.

Der Bericht setzt dort an, wo die Behörden in Staufen gescheitert sind. „Die Ergebnisse der Kommission Kinderschutz zeigen, dass alle beteiligten Behörden, Stellen und Institutionen noch intensiver zusammenarbeiten müssen“, sagte Sozialminister Manne Lucha (Grüne). „Wir regeln künftig gesetzlich, dass Jugendamt und Familiengericht miteinander reden müssen.“ Der Austausch der Systeme komme nach wie vor zu kurz, sagte auch Jörg Fegert von der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitätsklinik Ulm.

Für die Gefährdungseinschätzung durch Jugendamt und Familiengericht empfiehlt die Kommission „aussagekräftige sowie praktisch gut handhabbare Standards“. Das Netz der Anlaufstellen für Hilfesuchende soll dichter geknüpft und das Mitwirken der Jugendämter in familiengerichtlichen Verfahren ausdrücklich gesetzlich verankert werden. Ziel müsse es auch sein, betroffene Minderjährige im Kinderschutzverfahren anzuhören. „Es ist wichtig, Kindern eine Stimme zu geben und sie angemessen zu hören“, sagte Sabine Walper vom Deutschen Jugendinstitut.

Ebenfalls empfohlen werden Methoden, mit denen ein Jugendamts-Mitarbeiter die Gefahr für einen Jungen oder ein Mädchen leichter einschätzen kann. Deutlich besser müsse zudem die Fortbildung für alle werden, die am Kinderschutz beteiligt sind, darunter auch Familienrichter. Nach Ansicht Luchas sollten frühere Straftaten auch genauer analysiert werden, um „aus der Vergangenheit zu lernen“.

Beschlossene Sache ist bereits, Verurteilungen wegen Kindesmissbrauchs lebenslang im erweiterten Führungszeugnis festzuhalten. Das hatte der Bundesrat am Freitag bereits festgelegt. Ein entsprechender Gesetzentwurf soll nun in den Bundestag eingebracht werden. Derzeit werden solche Verurteilungen nach drei bis zehn Jahren nicht mehr ins Zeugnis aufgenommen. Ein erweitertes Führungszeugnis wird für den ehrenamtlichen oder beruflichen Umgang mit Minderjährigen benötigt.

Ein eigener Missbrauchsbeauftragter wird dagegen auf absehbare Zeit nicht im Südwesten eingesetzt. Anders als erwartet äußert sich die Kinderschutz-Kommission nicht zu dem möglichen neuen Amt. Lucha schloss aber nicht aus, dass am Ende der Beratungen in der grün-schwarzen Koalition noch die Einsetzung eines Beauftragten stehen könnte. Der Bundesbeauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs hatte die Länder bereits 2018 aufgefordert, eigene Missbrauchsbeauftragte einzusetzen.

Die Empfehlungen sollen nun nach Angaben des Ministeriums im Kabinett beraten werden, einige wurden bereits umgesetzt, andere sollen noch vor der kommenden Bundestagswahl in Berlin diskutiert werde. „Wir trauen uns die Umsetzung zu ohne zusätzliche Ressourcen, sondern durch eine intelligente Abstimmung.“

Das sieht der Leiter des Jugendamts im Landkreis Böblingen, Wolfgang Trede, ähnlich. Natürlich gebe es immer wieder besondere Fälle, bei denen Mitarbeiter bis an die Grenzen belastet würden. „Aber grundsätzlich lassen sich die Empfehlungen umsetzen, ohne beim Personal größere Änderungen zu haben.“

Die SPD zeigte sich zufrieden mit vielen Empfehlungen. Andreas Kenner, der jugendpolitische Sprecher seiner Fraktion, warf der Regierung aber vor, wertvolle Zeit verspielt zu haben. „Wo Handlungsbedarf besteht, weiß man spätestens seit September 2018, als vor dem Hintergrund des Missbrauchsfalls in Staufen der Abschlussbericht zur Kommunikation zwischen den beteiligten Behörden und Gerichten vorgelegt wurde“, sagte er.

Die „Kommission Kinderschutz zur Aufarbeitung des Missbrauchsfalls in Staufen und zur Weiterentwicklung des Kinderschutzes“ war im Herbst 2018 von der Landesregierung eingesetzt worden, um Defizite im Kinderschutz zu analysieren. Sie setzt sich aus fünf externen Experten sowie je einem Vertreter des Sozial-, Justiz-, Kultus-, Innen- und Staatsministeriums zusammen. Zu den Experten zählen zwei Kinderpsychologen sowie ein Richter, ein Generalstaatsanwalt und die Vizepräsidentin des Bayerischen Landeskriminalamts.

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Erstellt:
17. Februar 2020, 11:20 Uhr

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