Klenk hadert mit knappem Ausgang

Die Gefühlslage der Kreisvorsitzenden und Politikexperten im Wahlkreis Backnang reicht von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Die Grünen jubilieren über das erste Direktmandat, die CDU klagt über dessen Verlust und die SPD feiert Gernot Gruber.

Die Auszählung der Stimmen, wie etwa hier im Backnanger Bürgerhaus, brachte zum Teil äußerst knappe Ergebnisse. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Die Auszählung der Stimmen, wie etwa hier im Backnanger Bürgerhaus, brachte zum Teil äußerst knappe Ergebnisse. Foto: A. Becher

Von Matthias Nothstein

BACKNANG. Der Machtwechsel von der CDU hin zu den Grünen, der im Land schon vor zehn Jahren vollzogen wurde, er hat nun auch den Wahlkreis Backnang erreicht. Erstmals holte mit Ralf Nentwich ein Grüner das Direktmandat. Der CDU-Kandidat Georg Devrikis hingegen schaut in die Röhre. Für Wilfried Klenk, den bisherigen Mann des Wahlkreises von der CDU in Stuttgart, ist dies besonders ärgerlich, weil nur 0,8 Prozent den Ausschlag gegeben haben und Nentwich sogar mit einem der schlechtesten Ergebnisse eines Grünen am Christdemokraten vorbeigezogen ist. Klenk: „Es schmerzt mich schon als seitherigen Abgeordneten, dass wir das Mandat verloren haben, und es tut mir wirklich leid um den Kandidaten Georg Devrikis, der alles Menschenmögliche getan hat. Er war wochenlang bis Mitternacht unterwegs, hat Flyer verteilt und an Ständen geworben – leider hat es nicht geklappt.“

Laut Klenk konnte Devrikis den Wählern wegen Corona seine Qualitäten nicht jenseits seines Wohnorts Murrhardt vermitteln. Dass er diese habe, zeigt sich laut Klenk am Murrhardter Wahlergebnis, bei dem Devrikis über 30 Prozent der Stimmen einheimste, obwohl auch Nentwich aus Murrhardt stammt. Mehrere Faktoren hätten zur Niederlage beigetragen: Devrikis fehlt der Amtsbonus, den etwa der SPD-Kandidat Gernot Gruber hat, er war außerhalb von Murrhardt relativ unbekannt, der Maskenskandal drückte das CDU-Ergebnis und Spitzenkandidatin Sabine Eisenmann könne Kretschmann nicht das Wasser reichen.

„Wenn man dreimal hintereinander Wahlen verloren hat, dann muss man sich alle Varianten überlegen, wie man wieder bessere Ergebnisse erzielen kann“, sagte Klenk. Heißt das, für die CDU ist die Opposition eine Option? Dass es keinen Königsweg gibt, das ist für den früheren Landtagspräsidenten klar: „Das beste Beispiel ist die Bundes-SPD. Die hat gelitten und wurde fast verzwergt, egal ob sie in der Regierung oder in der Opposition war. Für die CDU im Land ist klar, wir wollen mitgestalten und Verantwortung tragen. Deshalb ist es natürlich wichtig, Teil der Regierung zu sein, davor wollen wir uns nicht drücken.“

Eine Koalition nur aus Grün/Rot ist vielen zu knapp und zu unsicher.

Die Stimmungslage bei Jürgen Hestler ist hingegen zweigeteilt. Einerseits ist er geradezu begeistert über das Ergebnis von Gernot Gruber, der mit 19 Prozent 7,5 Prozent über dem Landesergebnis liegt. „Er ist einer, der in seinem Wahlkreis präsent ist, so ein richtiger Kümmerer.“ Als Vorsitzender des SPD-Kreisverbands hat Hestler jedoch auch den gesamten Landkreis im Auge, und da kann er seine Enttäuschung über das Abschneiden der beiden anderen Kandidaten nicht verbergen, die jeweils nur knapp über 10 Prozent und noch unterm Landesdurchschnitt gelandet sind. Es sei Trend, statt eines Genossen lieber den Herrn Kretschmann zu wählen. An den Inhalten der SPD könne es nicht liegen, das beweise ein Blick auf Rheinland-Pfalz. Doch Hestler möchte positiv denken und sagt: „Nach der Wahl ist vor der Wahl, im September steht die Bundestagswahl an und da gibt es keinen Kretschmann.“ In Stuttgart warb er für eine Ampelkoalition, alleine Grün/Rot ist ihm angesichts der knappen Mehrheit „zu riskant, ich weiß nicht, ob das gut hält“.

Wenn es nach dem Bauchgefühl geht, dann würde sich Willy Härtner, der Vorsitzende der Grünen im Gemeinderat von Backnang, eine Koalition mit der SPD wünschen. Aber das ist auch Härtner zu riskant. Und eine Ampel lehnt er völlig ab, „da wollen zu viele mitreden“. Deshalb hört Härtner auf seinen Kopf, und der nennt die CDU als Partner. Allerdings nicht mit Sabine Eisenmann als Frontfrau. „Sie müsste ihren Hut nehmen, das wünsche ich mir auch als Lehrer.“ Laut Härtner ist es wichtig – auch wegen Corona –, relativ schnell wieder eine Regierung hinzubekommen. „Wenn ich an die letzte Bundestagswahl denke, so einen Zirkus möchte ich nicht noch einmal erleben.“

Wie Hestler von Gruber so ist auch Härtner von seinem Kandidaten Ralf Nentwich restlos begeistert. Erstmals haben die Grünen das Direktmandat erstürmt. Härtner erinnert an die Landtagswahl 2011, als er, noch wenige Tage vor Fukushima, in unserer Zeitung nach seinem Wahlziel gefragt wurde. „Ich war damals mutig und habe 15 Prozent gesagt. Dafür habe ich nur Gelächter geerntet.“ Am Ende wurden es 20,05 Prozent. Und dass es jetzt über 24 Prozent sind und die Grünen sogar noch vor der CDU rangieren, „das hätten wir uns vor Jahren noch nicht träumen lassen“.

Nun freut sich Härtner für Nentwich. „Er ist jung und kommt aus der Grünen-Bewegung und aus der Digitalisierungsbewegung, ich hoffe sehr, dass er sich auf diesem Sektor gut einbringt.“

Große Zufriedenheit herrschte gestern auch bei den Liberalen. Kreisvorsitzender Jochen Haußmann hatte selbst mit 16,3 Prozent das zweitbeste Ergebnis landesweit eingefahren. Nur Professor Erik Schweickert konnte im Enzkreis mit 16,9 Prozent einen besseren Wert vorweisen. Und auch der Einzug von Julia Goll für den Waiblinger Wahlkreis in den Landtag begeisterte den Kreisvorsitzenden Haußmann. Zum Ergebnis von Charlotte Klinghoffer hielt er sich auffallend zurück, was vermutlich damit zusammenhängt, dass sie aus der Partei ausgeschlossen werden soll und das Verfahren immer noch läuft. So sagte Haußmann lediglich, er sei sehr zufrieden, dass die FDP im Landkreis ein deutlich besseres Ergebnis erzielt habe als im Landesdurchschnitt. „Ich danke dabei allen Kandidaten, und da gehört Frau Klinghoffer auch dazu.“ Im gleichen Atemzug sagte er: „Ich möchte ganz herzlich Gernot Gruber zu seinem tollen Ergebnis beglückwünschen.“ Nur zur Sicherheit sei erwähnt: Gruber ist Sozialdemokrat.

In der Frage der Koalition ist Haußmann so liberal wie kein anderer, sprich offen für sämtliche Varianten. „Wir sind für Gespräche bereit. Jetzt tagt erst einmal der Landesvorstand.“ Für Haußmann ist nicht nur die Ampelkoalition eine Möglichkeit, sondern auch die Deutschlandkoalition Schwarz/Rot/Gelb. Eine Regierung also ohne die mit Abstand stärkste Fraktion der Grünen.

Und noch ein Kreischef ist zufrieden: Jürgen Braun von der AfD. „Es ist ein wichtiger Erfolg für uns im Wahlkreis, dass Daniel Lindenschmid den Einzug in den Landtag geschafft hat.“ Die Wahl Lindenschmids sei nicht leicht gewesen: „Weil hier zwei junge, dynamische Kontrahenten von den beiden derzeit noch großen Parteien angetreten sind. Und mit Charlotte Klinghoffer noch eine lokale Backnanger Größe für die FDP, die mit viele Engagement gekämpft hat und großes Ansehen in der Stadt genießt.“

Darüber hinaus sei der Wahlkampf für die AfD sehr schwierig gewesen, „weil wir aufgrund von Corona starken Gegenwind hatten“. Auf Nachfrage erklärte Braun: „Wir konnten nicht so präsent sein, wie wir gerne möchten. Da wir in den Medien nicht so oft vorkommen, sind wir besonders auf den direkten Kontakt mit den Bürgern angewiesen.“ Braun erinnert auch daran, dass bei der Wahl 2016 mit Jörg Meuthen der damalige Spitzenkandidat und Parteivorsitzende im Wahlkreis Backnang angetreten war. „Er hatte ein herausragendes Ergebnis geholt. Uns war klar, dass Lindenschmid dieses Ergebnis im Landesvergleich nicht halten konnte.“

Bei der Frage nach Koalitionsmöglichkeiten gibt Braun zu bedenken, dass es innerhalb der baden-württembergischen CDU viele Kräfte gibt, „die sich nicht dauerhaft in die Babylonische Gefangenschaft bei den Grünen begeben wollen“. Und er konkretisiert: „Ich hätte mir schon eine bürgerliche Koalition gewünscht. Aber die FDP ist zum Umfaller geworden in Richtung Grün. Die FDP-Wähler werden sich noch wundern, wie wenig von der wirtschaftsliberalen Politik in einer Koalition mit den Grünen übrig bleibt. Aber so ist es nun einmal. Die FDP ist inhaltsleer geworden. Hans-Ulrich Rülke möchte Minister werden und einen Dienstwagen bekommen, und das um jeden Preis.“

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Erstellt:
16. März 2021, 06:00 Uhr

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