Von Lorena Greppo

Backnang. Nach dem Walzer „Wein, Weib und Gesang“ in die nüchterne Welt der Ökonomie einzusteigen, das habe schon etwas von einem Kulturschock, schmunzelte Peter Bofinger. Den hatte der 67-Jährige aber schnell überwunden und lieferte den Zuhörern harte Fakten. Der deutschen Wirtschaftspolitik in der Coronakrise stellte er ein gutes Zeugnis aus: „Das haben wir insgesamt nicht schlecht gemacht“, so der Ökonom. Durch Kurzarbeitergeld, Überbrückungshilfen und dergleichen seien wirtschaftliche Folgen abgemildert worden. Und auch dem Angstthema Inflation nahm er bei seinem Vortrag im Bürgerhaus den Schrecken: Die Prognosen der Forschungsinstitute besagten allesamt, dass der Spuk 2023 schon wieder vorbei sei. „Wir sind verwöhnt, was das angeht, deswegen reagieren wir etwas sensibler.“

Also steht dem Thema des Vortrags, „Durchstarten nach der Krise“, nichts mehr im Wege? Nicht ganz. „Durchstarten mit Hindernissen“, nennt es das langjährige Mitglied im Rat der Wirtschaftsweisen. Insgesamt sei Potenzial da, nun gelte es, dieses auch richtig zu nutzen. Drei Aspekte müssten in Einklang gebracht werden: Klimaschutz, Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Ausgleich. Das sei eine Herausforderung, denn sobald eine Dimension überbetont wird, gehe das zulasten der anderen beiden. „Aber wir haben ja für jeden dieser Punkte eine Partei“, sagte Bofinger zur Erheiterung der Gäste, Bezug nehmend auf eine mögliche Ampelkoalition.

Bezüglich der Verantwortung zum Klimaschutz in der Wirtschaft nimmt Bofinger eine klare Position ein: In der Ökonomie ist man sich einig, Umweltverschmutzung muss bepreist werden. Beide Ansätze – CO2-Steuer wie auch Zertifikate – seien hierbei valide. Wichtig sei nur, dass man das Konzept auch zu Ende denke: „Bei höheren Preisen, die die Leute zu einer Anpassung zwingen sollen, muss man auch dafür sorgen, dass sie das können.“ So plädierte er dafür, die Einnahmen aus der Steuer in Form des sozialen Ausgleichs auch wieder den Bürgern zukommen zu lassen: durch die Senkung der Strompreise etwa oder die Förderung des Umstiegs auf E-Mobilität, den ÖPNV oder das Rad – also in Form von Anreizen für klimaschonendes Verhalten. Für die energieintensive Industrie könnte verteuertes CO2 hingegen zum Problem werden. Experten warnten vor sogenanntem „Carbon leakage“. Oder wie Bofinger es ausdrückte: „Die größten Dreckschleudern wandern in Länder aus, wo es keine Umweltauflage gibt.“ Die EU arbeite daran, dem entgegenzuwirken.

„China macht das besonders effektiv“

Speziell auf Deutschland bezogen, machte Bofinger drei große Herausforderungen aus: die Export-, Industrie- und Automobilorientierung der Wirtschaft. Nicht nur unter Umweltaspekten könne das Probleme bereiten, sondern auch, weil Abnehmerländer wie China und die USA zunehmend protektionistisch agierten. Durch den Brexit und Corona sei die Deglobalisierung zudem vorangetrieben worden. Sein Vorschlag: eine vermehrt vertikale Industriepolitik, die nicht nur Rahmenbedingungen setzt, sondern gezielt Technologien fördert. „China macht das besonders effektiv“, so der Wirtschaftsexperte. In puncto Solar- und Batteriezellen habe die Volksrepublik viel Geld in die Hand genommen. „Jetzt beherrschen sie den Markt und wir haben es verschlafen“, so sein kritisches Urteil. „Jetzt laufen wir hinterher. Dabei hätte man darauf kommen können, dass für E-Mobilität Batterien wichtig sind.“ Immerhin gebe es nun eine Europäische Batteriezellenallianz und einen Versuch, Wasserstofftechnologie großflächig voranzutreiben. „Der Groschen ist in manchen Bereichen gefallen, ich bin daher gar nicht so pessimistisch“, so Bofinger.

Solche Dinge kosten aber Geld und da habe Deutschland ein Problem: „Die Schuldenbremse schränkt die Möglichkeit des Staats als Investor ein.“ Weil wir aber im weltweiten Vergleich sehr gut dastünden, sei es „unsinnig, sich Gedanken über Schulden zu machen“. Das nehme dem Staat das Entfaltungspotenzial. „Wir wären wie kaum eine andere Volkswirtschaft in der Lage, gut zu investieren.“ Insofern lautete sein Fazit: Die Klimapolitik müsse als Chance aufgefasst werden, zukunftsweisende Produkte und Technologien auf dem Markt zu platzier. „Ob der Schuldenstand dann bei 60 oder 80 Prozent liegt, ist sekundär.“