Neuer Rekord
Kosten für Heimpflege explodieren
Im Bundesschnitt müssen Heimbewohner im ersten Jahr einen Eigenanteil von 3108 Euro zahlen – in Baden-Württemberg liegt der Wert sogar noch erheblich höher.

© Tom Weller/dpa
Das Wohnen im Heim ist eine teure Angelegenheit geworden.
Von Norbert Wallet
Die Kosten für die Heimpflege werden immer teurer. Diesen Trend gibt es seit langer Zeit. Nun ist wieder eine kritische Marke überschritten: Eine aktuelle Auswertung des Verbandes der Ersatzkassen zeigt, dass die Bewohner von Pflegeeinrichtungen im ersten Aufenthaltsjahr zum ersten Mal mehr als 3000 Euro ausgeben müssen. Das ist der bundesweite Schnitt. Zum Stichtag 1. Juli schlugen im bundesweiten Mittel 3108 Euro zubuche. Im Vergleich zum Vorjahr ist das eine satte Steigerung von 237 Euro.
In der Rechnung ist einerseits der Eigenanteil für die reinen Pflegekosten enthalten, von denen die Pflegeversicherung ja nur einen Teil trägt. Die Bewohner haben zudem aber noch die Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung, für Investitionen in den Häusern und Ausbildungskosten.
Im Osten sind die Heime erheblich billiger als im Südwesten
Der bundesweite Durchschnittswert ist insofern wenig aussagekräftig, da die Zahlen von Bundesland zu Bundesland teils erheblich variieren. So viel lässt sich sagen: In Baden-Württemberg sind die Kosten besonders hoch. Hier ist eine Eigenbeteiligung von 3400 Euro fällig – wohlgemerkt im Landesschnitt, was bedeutet, dass im Einzelfall sogar ein noch deutlich höheres Niveau erreicht wird. Noch etwas höhere Durchschnittszahlen weisen lediglich Bremen (3449 Euro), Nordrhein-Westfalen (3427 Euro) und das Saarland (3403 Euro) auf. Eine weitere Erkenntnis: Im Osten ist das Leben im Heim billiger. In Mecklenburg-Vorpommern sind „nur“ 2752 Euro zu zahlen, in Sachsen 2857 Euro, und am wenigsten ist in Sachsen-Anhalt (2595 Euro) zu entrichten.
Je länger die Bewohner in den Pflegeeinrichtungen leben, desto mehr reduzieren sich die Kosten. Das liegt daran, dass die Pflegebedürftigen mit jedem Jahr, das sie in der Einrichtung verbringen, einen höheren Zuschuss zu den Leistungen der Kassen erhalten. Auf diese Weise sinkt der zu zahlende Eigenanteil für die reinen Pflegeleistungen im ersten Jahr um 15 Prozent, im zweiten um 30, im dritten um 50 und ab dem vierten Jahr um 75 Prozent.
Neue Debatte um Pflege-Vollversicherung
Die jüngsten Daten haben prompt eine intensive Debatte um die Reform der Pflegeversicherung befeuert. Die Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen, Ulrike Elsner, sagt, den Heimbewohner seien „Belastungen in dieser Größenordnung nicht mehr zuzumuten“. Um schnelle Abhilfe zu schaffen, sollten die Bundesländer ihre Verpflichtung zur Übernahme der Investitionskosten und für die Ausbildung erfüllen.
Andere gehen in ihren Forderungen weiter. Die Vorsitzende des Sozialverbandes Deutschland (SoVD), Michaela Engelmeier, fordert, „die bestehende Pflegeversicherung unbedingt zu einer Vollversicherung umzubauen“. Die soll dann „die im Einzelfall zur Pflege, Betreuung und Teilhabe erforderlichen Kosten“ tragen und „so das Pflegerisiko komplett absichern“. Die Kosten dafür solle „die Solidargemeinschaft“ tragen. Weil dies ein längerer Prozess wäre, sagt der SoVD, man brauche zudem „umgehend eine Begrenzung der Eigenanteile und einen Finanzausgleich der unterschiedlichen Risiken zwischen privater und sozialer Pflegeversicherung“.
Ist Pflege ein Menschenrecht?
Solche Ideen finden vor allem in den Reihen der Opposition im Deutschen Bundestag Gehör. Pflege sei ein Menschenrecht und dürfe keine „Frage des Geldbeutels“ werden, sagt die linke Pflege-Expertin Evelyn Schötz. Die grüne pflegepolitische Sprecherin Simone Fischer verlangt „dringend Leistungsausweitungen“. Als kurzfristige Maßnahmen schlägt sie vor, den Pflegekassen „Corona-Mehrkosten oder versicherungsfremde Leistungen zu erstatten“.
Die Regierungsparteien verweisen auf die gerade eingerichtete Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die bis zum Ende des Jahres konkrete Vorschläge auf den Tisch legen soll. Dort werden aber wohl auch Vorschläge diskutiert, die eher die Eigenverantwortung stärken als die Solidargemeinschaft in Anspruch nehmen sollen.
Zuletzt hatte der Arbeitgeberverband BDA auch die Einführung von Karenzzeiten vor Inanspruchnahme von Pflegeleistungen vorgeschlagen.