Kostspieliges Überholmanöver

35-jähriger Industriemechaniker wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu Geldstrafe verurteilt

Kostspieliges Überholmanöver

© Edgar Layher

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Auf fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs, Nötigung und Beleidigung lautet die Anklage gegenüber dem 35-jährigen Industriemechaniker aus Backnang. Als die Polizei durch die Anzeige eines anderen Verkehrsteilnehmers auf den Fahrer eines weißen Mercedes-Cabrio aufmerksam gemacht wurde, wollte es erst keiner gewesen sein. Der Wagen sei ein Familienauto. Wer weiß, wer an dem fraglichen Tag gefahren ist. Aber die Polizei kontaktierte die Arbeitgeber des Verdächtigen und seines Bruders. Und siehe da: Der eine war zur fraglichen Zeit am Arbeitsplatz, der andere hatte Urlaub.

Es ist ein Novembertag des vergangenen Jahres, mitten am Nachmittag. Der Angeklagte will nach Murrhardt. Doch am Harbachkreisel – plötzlich ein Verkehrshindernis. Ein Traktor samt voll beladenem Anhänger kriecht die Straße entlang, dahinter eine Kehrmaschine. Zwei weitere Autofahrer ergeben sich ihrem Schicksal und zotteln hinterher. Der Angeklagte trifft an fünfter Stelle auf die Wagenkolonne. Ja, das Überholverbotsschild hat er wohl gesehen. Aber auch die Zusatztafel, die das Überholen landwirtschaftlicher Fahrzeuge erlaubt.

Dass da auch zwei Wagen vor ihm fuhren, hat er in dem Augenblick, so auf Nachfrage der Richterin, nicht bedacht. Weil kein Gegenverkehr in Sicht ist und weil der Angeklagte auf die Motorkraft seiner edlen Karosse vertraut, setzt er zum Überholen an. Doch kaum am ersten Auto vorbei, taucht doch ein entgegenkommendes Fahrzeug auf. Dem Fahrer dämmert, dass er es an allen Fahrzeugen vorbei nicht schaffen wird. So lässt er sich zurückfallen, will aber nicht alles verloren geben und drängt in die hinter dem Traktor fahrende Kolonne hinein. Doch man macht ihm nicht recht Platz. So kommt es für einen kurzen Augenblick dazu, dass der Angeklagte mit seinem Fahrzeug neben das Fahrzeug eines 58-jährigen Feuerwehrmanns kommt. Um nicht aneinanderzugeraten, muss der Feuerwehrmann bis an den Grünstreifen ausweichen. Laut hupend passiert das entgegenkommende Fahrzeug. Enttäuscht über so viel Sturheit des Feuerwehrmanns hebt der Angeklagte – gerade in dem Augenblick, zu dem er mit dem anderen auf gleicher Höhe ist – den Mittelfinger. Dem Feuerwehrmann reicht’s. Schon zuvor hatte er gedacht: „Junge, was tust du?“ Und jetzt der Stinkefinger. Er erstattet Anzeige.

Der Angeklagte betont: Freie Sicht habe er gehabt. Und solche Traktoren fahren doch nur 25 Kilometer pro Stunde schnell. Ferner seien solche Fahrzeuge vom Überholverbot ausgenommen. Ja, er habe einen Blödsinn gemacht. Nie mehr werde er das wieder tun, ein Überholverbot zu missachten. Aber ganz so schlimm, wie von Polizei und Staatsanwältin dargestellt, ist’s doch nicht gewesen. Immer wieder bringt er Erklärungen anhand der Gestalt der Strecke vor. Die Richterin will’s genau wissen. Der Feuerwehrmann sagt, er habe Platz gemacht, sodass sie kurz nebeneinander fuhren. Bei der Polizei hatte er noch angegeben, dass der Angeklagte hinter ihm eingeschert sei. Es wird wohl das richtig sein, was er gegenüber der Polizei angab.

Auf Fragen geben die Beteiligten nur vage Angaben

Wie weit ist der Gegenverkehr entfernt gewesen? Mit welcher vermuteten Geschwindigkeit sind die entgegenkommenden Fahrzeuge gefahren? Wie weit ist die Strecke trotz leichter Kurve und sanftem Anstieg einsehbar gewesen? – Fragen von Richterin und Staatsanwältin, auf die die Beteiligten nur vage Antworten geben können. Straßenkarten werden am Richtertisch von den Beteiligten eingesehen. Der Verteidiger des Angeklagten kann sogar mit Maßangaben aufwarten. Bei Google Maps hat er’s ausgemessen. Wie stark hat der Angeklagte, nachdem er sein Manöver im Scheitern befindlich sah, abgebremst? Ist er gar rückwärtsgefahren, wie er selbst und ein weiterer Zeuge angeben? Diffizile Aufgabe für alle Beteiligten, das einwandfrei Feststehende vom Beiwerk zu unterscheiden.

Für die Staatsanwältin hat sich die Anklage bestätigt. Allerdings wird der Vorwurf der Nötigung fallen gelassen. Das versuchte Einscheren des Angeklagten sei Teil des Überholvorgangs und nicht Nötigung gewesen. Aber war vielleicht ein Vorsatz im Spiel? Schließlich habe sich der Angeklagte bewusst über das Überholverbot hinweggesetzt. Sie fordert eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 70 Euro. Mit enthalten ist die Ahndung der Beleidigung des Feuerwehrmanns durch das Zeigen des Stinkefingers. Der Verteidiger des Angeklagten betont, dass es zu keinem Unfall gekommen sei. Und was das Strafmaß angeht, will er es gnädiger abgehen lassen. Nur 40 anstatt der von der Staatsanwältin geforderten 60 Tagessätze. Und insbesondere: Führerscheinentzug nur für drei Monate. Die Richterin überlegt lange und urteilt dann: Es bleibt beim Strafbefehl, dem der Angeklagte widersprochen hatte. 50 Tagessätze zu 70 Euro. Und was den Führerschein angeht, so verfügt sie einen Entzug über acht Monate. Was Letzteres angeht, hält sie sich an den Regelfall. Es seien in der Verhandlung keine Gründe (zugunsten des Angeklagten) sichtbar geworden, vom Regelfall abzuweichen und den Angeklagten, was den Führerscheinentzug angeht, milder davonkommen zu lassen. Sichtlich schwer fällt es dem Angeklagten, der Richterin seinen Führerschein auszuhändigen. Er wird wohl in den nächsten Monaten das Fahrrad nehmen müssen.

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Erstellt:
11. September 2019, 06:00 Uhr

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