Vorerst keine Ausgangssperren wegen Coronavirus im Südwesten

dpa/lsw Stuttgart. Baden-Württemberg hat drastische Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus ergriffen. Wie sie wirken, wird sich erst in ein paar Tagen zeigen. Kriminelle versuchen, sich die Lage zunutze zu machen.

Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) spricht während einer Pressekonferenz. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) spricht während einer Pressekonferenz. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Landesweit geschlossene Schulen und Kitas, Kontrollen an den Grenzen und der eindringliche Appell, soziale Distanz zu halten: In Baden-Württemberg ist das öffentliche Leben drastisch runtergefahren worden. Die Regierung geht davon aus, dass die Zahl der Infektionen mit dem Coronavirus trotzdem steigen wird. Erst in 10 bis 14 Tagen sei damit zu rechnen, dass die Maßnahmen wirkten, hieß es am Dienstag. Ausgangssperren soll es erst einmal nicht geben.

In Baden-Württemberg starb ein weiterer mit dem Coronavirus infizierter Mensch. Es handelt sich nach Auskunft des Landesgesundheitsamtes vom Dienstagabend um eine über 80-Jährige stationär behandelte Patientin aus dem Ortenaukreis, die bereits am Montag starb. Damit steigt die Zahl der Todesfälle in Baden-Württemberg auf sechs. Dem baden-württembergischen Gesundheitsministerium wurden am Dienstagabend außerdem 536 neue bestätigte Infektionen mit dem Coronavirus mitgeteilt. Damit steigt die Zahl der Infizierten im Land auf 1641 an. Von den 1641 Fällen waren 916 männlich (56 Prozent).

Die grün-schwarze Landesregierung kündigte weitere Hilfen in Milliardenhöhe für kleine und mittelgroße Unternehmen an, die unter den Folgen der Coronakrise schwer zu leiden haben. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte, Details für die Hilfen sollen noch in dieser Woche in der Koalition abgestimmt und dann umgehend veröffentlicht werden. Bereits beschlossen ist nach seinen Angaben zum Beispiel, die Bürgschaftsprogramme des Landes deutlich auszuweiten. Der Landtag kommt am Donnerstag zu einer Sondersitzung in Stuttgart zusammen. Die Parlamentarier sollen einen Nachtragsetat der Landesregierung beschließen, damit das Land notfalls auf eine millionenschwere Rücklage zurückgreifen kann.

Geschlossen sind in Baden-Württemberg etwa Museen und Theater, Kinos, Bäder Fitnessstudios, Bibliotheken, Volksschulen und Bordelle. Kretschmann appellierte an die Bürger, sich an die Einschränkungen zu halten. Bislang sind vier Menschen im Südwesten gestorben, die mit dem Virus infiziert waren. Beim jüngst bekanntgewordenen Fall handelte es sich nach Angaben des Sozialministeriums um eine Bewohnerin eines Pflegeheimes im Landkreis Heilbronn. Die Frau sei älter als 80 Jahre gewesen und habe schwere Grunderkrankungen gehabt.

Sozialminister Manne Lucha (Grüne) erklärte, dass nur noch schwer erkrankte Patienten nach einer Ansteckung mit dem Coronavirus in Krankenhäusern behandelt werden sollen. Ausstattung wie Schutzmasken seien knapp. Baden-Württemberg habe grünes Licht dafür bekommen, Ausrüstungen und Masken im Wert von einer „starken zweistelligen Millionensumme“ erwerben zu können. Die Kliniken verschöben bereits planbare Eingriffe an Patienten. Es werde geschätzt, dass im Südwesten nun 17 Menschen eine Corona-Infektion überstanden hätten.

Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) bestätigte, dass die Lernplattform Moodle am Montag zusammengebrochen sei. Man versuche, Moodle flächendeckend für die Schüler anzubieten. Man könne aber nicht ausschließen, dass es Ausfälle gebe. Kitas und Schulen sind seit Dienstag geschlossen - Schulkinder haben von ihren Lehrern Aufgaben mitbekommen, die sie zu Hause bearbeiten sollen. Eisenmann kündigte an, dass man bei anstehenden Abschlussprüfungen an den Schulen Rücksicht auf die Situation nehmen wolle. „Ob das jetzt die schwersten Prüfungen werden, 2020, das wage ich zu bezweifeln.“

Wer sich das Ja-Wort geben will, muss ebenfalls mit Einschränkungen rechnen: Standesämter reduzieren die Zahl der zugelassenen Gäste teilweise auf ein absolutes Minimum. Das geht nach Angaben des Städtetags Baden-Württemberg so weit, dass nur das Brautpaar anwesend sein darf, da Trauzeugen nicht zwingend vorgeschrieben sind. In einigen Städten werden Heiraten - außer den seltenen Nottrauungen kurz vor dem Tod - auf unbestimmte Zeit verschoben.

Kriminelle versuchen, die Coronakrise für sich zu nutzen - mit dem sogenannten Enkeltrick in neuer Variante: Sie geben sich als Angehörige aus, um alten Menschen für angebliche Behandlungskosten das Geld aus der Tasche zu ziehen, wie das Landeskriminalamt mitteilte. Der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte wegen der Ausbreitung des Coronavirus Soforthilfen für Menschen ohne Wohnung. Viele dieser Menschen seien medizinisch unterversorgt, hätten Mehrfacherkrankungen und gehörten damit zur Risikogruppe.

Am Flughafen Stuttgart ist die Nachtflugbeschränkung für Flüge mit Rückkehrern aus dem Ausland vorübergehend aufgehoben. Das Regierungspräsidium Stuttgart werde für alle Flüge, die aufgrund der Corona-Pandemie in dieser Zeit starten oder landen müssen, eine Ausnahmegenehmigung erteilen, teilte der Flughafenbetreiber am Dienstag mit. Und Deutschlands größter Freizeitpark, der Europa-Park in Rust bei Freiburg, verschiebt wegen des Coronavirus den Start in die diesjährige Saison: Der Vergnügungspark werde die kommenden Wochen geschlossen bleiben und nicht wie geplant am 28. März öffnen.

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, spricht bei einer Pressekonferenz. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, spricht bei einer Pressekonferenz. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

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Erstellt:
17. März 2020, 12:25 Uhr

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