Streit um Schulen: Wechselunterricht an Corona-Hotspots

dpa/lsw Stuttgart. Um wenig wird derzeit so gestritten wie um den Bildungsbereich: Wie und wo soll in Pandemie-Zeiten unterrichtet werden? Die Landesregierung ist sich da nicht ganz einig. Nun gibt es Bewegung.

Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Foto: Sebastian Gollnow/dpa/Archivbild

Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Foto: Sebastian Gollnow/dpa/Archivbild

An Schulen in Baden-Württemberg soll es bei sehr hohen Fallzahlen künftig Wechselunterricht geben. Dies kündigte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nach den Beratungen von Bund und Ländern zu neuen Corona-Maßnahmen am Donnerstag im Südwestrundfunk an. Im Landtag erklärte er, dass bei mehr als 200 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in einer Woche zusätzliche Maßnahmen ab Jahrgangsstufe 8 getroffen werden sollen. Wie der Wechselunterricht konkret umgesetzt werden soll, blieb zunächst unklar. Nach den Daten des Landesgesundheitsamts vom Mittwoch wurde diese 200er-Grenze zuletzt in den Stadtkreisen Heilbronn, Mannheim, Pforzheim und im Landkreis Tuttlingen überschritten.

Schulen und Kitas in Deutschland sollen in der Corona-Pandemie auch weiterhin grundsätzlich geöffnet bleiben. Die Einigungen von Bund und Ländern vom Mittwochabend zu neuen Corona-Maßnahmen sehen vor, dass Wechselunterricht nur bei Schülern ab der 8. Klasse zum Einsatz kommen soll - und wenn die Corona-Zahlen den Wert von 200 Neuansteckungen pro 100 000 Einwohnern pro Woche übersteigen. Der sogenannte Hybridunterricht wird auch nicht verpflichtend, sondern nur als Beispiel für etwaige Zusatzmaßnahmen bei starkem Infektionsgeschehen genannt. Über die Maßnahme solle weiterhin vor Ort und „schulspezifisch“ entschieden werden.

Die Maßnahme, bei der etwa Klassen halbiert und abwechselnd zu Hause und in der Schule unterrichtet werden, ist in der Landesregierung umstritten. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hatte sich am Mittwoch noch vehement gegen Forderungen gewandt, Schüler im Wechsel in der Schule und zu Hause unterrichten zu lassen. „Wechselunterricht in Baden-Württemberg wäre ein existenzieller Fehler“, sagte sie bei einer Kundenkonferenz der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart.

Die Kultusministerin sehe da eben manche Dinge anders, beschwichtigte Kretschmann im Landtag die Differenzen zur CDU. „Ich weiß gar nicht, was daran so überraschend sein soll.“ Da würden große Differenzen in der Koalition konstruiert, die gar nicht existierten. Das Offenhalten der Schulen sei eine klare politische Entscheidung. „Unterricht in Baden-Württemberg ist die letzte Großveranstaltung, die wir zulassen“, sagte der Regierungschef mit Blick auf 1,5 Millionen Schülerinnen und Schüler im Land.

CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart betonte am Donnerstag, Wechselunterricht benachteilige schwächere und bildungsfernere Kinder. Fernlehren sei immer schlechtere Lösung und müsse Ultima Ratio bleiben. Schulen seien weiter keine Infektionstreiber. Nur vier von 4500 Schulen im Land seien derzeit geschlossen, sagte Reinhart.

Wer Wechselunterricht wolle, müsse die Frage stellen, was das für die Betreung der Kinder und für die Eltern bedeute, sagte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Der Schul-Lockdown im Sommer habe gezeigt, dass schwächere Kinder im Fernunterricht abgehängt würden.

Der Philologenverband Baden-Württemberg nannte den Schritt hingegen absolut nicht ausreichend. Eine Inzidenz von 200 bedeute, es gebe dauerhaft im Mittel mindestens einen positiven Fall pro weiterführender Schule. Der Verband bekräftigte seine Forderung nach Raumluftreinigungsgeräten in allen Unterrichtszimmern und den Übergang zu Wechselunterricht bereits ab einer Inzidenz von 50 auf Kreisebene. Auch dem Berufsschullehrerverband ist die 200er-Schwelle zu hoch. Es brauche weitere Hygiene- und Schutzmaßnahmen, wenn es weiterhin Präsenzunterricht geben soll.

Kretschmann verteidigte im Plenum auch den geplanten früheren Start in die Weihnachtsferien. Er appellierte an die Bürger, sich selbst freiwillig in Quarantäne zu begeben. Aus Sicht von Rülke ist es naiv zu glauben, dass Kinder ihre Ferien in Quarantäne verbrächten, damit man Oma und Opa an Heiligabend nicht anstecke.

Um die Zahl der Kontakte direkt vor den Feiertagen und damit die Ansteckungsgefahr im Familienkreis zu verringern, sollen die Weihnachtsferien in fast ganz Deutschland gleichzeitig am 19. Dezember beginnen, dem Samstag vor Heiligabend. Im Südwesten wie in mehreren anderen Ländern werden die Ferien damit vorgezogen.

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Erstellt:
26. November 2020, 01:52 Uhr

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