Kretschmanns einsamer Feldzug
Trotz einiger Streitpunkte ist beim Streit über die Bildungsfinanzierung eine Einigung in Sicht
Berlin Man muss es sich als Bild vorstellen: Referatsleiter in Diensten von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) oder Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) könnten bei der Kultusministerin Susanne Eisenmann in Stuttgart auftauchen und „auf der Suche nach ihrem Geld in unseren Aktenschränken rumkruschteln“. Für den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ist das eine ultimative Schreckensvision. Ob der grüne Regierungschef sich bei den vertraulichen Gesprächen über die Neuordnung der Bildungsfinanzierung in der Verfassung und die Umsetzung des Digitalpakts für die Schulen jemals genau so geäußert hat, ist natürlich nicht verbürgt. Aber dass er die weitreichenden Kontrollrechte, die der Bundestag dem Bund ursprünglich gewähren wollte, so bewertet, ist in Berliner Verhandlungskreisen genau so angekommen.
Es ist kein Zufall, dass Parteifreunde Kretschmann früher höchstens halbironisch als „Föderasten“ bezeichnet haben. Schon lange vor seinem Aufstieg in die Villa Reizenstein war der frühere Biologie- und Ethiklehrer Anhänger des Föderalismus und besonders der Bildungshoheit der Länder. Damit gehört er in seiner Partei zu einer radikalen Minderheit. Seit Kretschmann im Spätsommer seinen zunächst einsamen Feldzug gegen die von der großen Koalition angestrebte Reform der Bildungsfinanzierung begonnen hat, wissen das nicht mehr nur Insider bei den Grünen.
Demonstrativ hat er mit seinem Vize Thomas Strobl (CDU) in der Bundespressekonferenz die schwarz-roten Pläne als „Frontalangriff auf die föderalen Strukturen“ bezeichnet. Zunächst stand Kretschmann mit seiner Warnung vor Finanzspritzen aus Berlin als „goldenem Zügel“ für die eigentlich zuständigen Landespolitiker allein auf weiter Flur. Aber nachdem Schwarz-Rot die ursprünglichen Pläne für mehr Bundeskompetenzen in der Schulpolitik verschärft hat, um FDP und Grüne zur Zustimmung im Bundestag zu bewegen, hatte Kretschmann im Dezember alle Länder auf seiner Seite. Seither finden alle Ministerpräsidenten, dass der Bund sich mit dem Plan zu viel Einfluss auf die Schulpolitik herausnimmt.
So verhärtet die Fronten waren, ist es keine Selbstverständlichkeit, dass die Zeichen kaum vierzehn Tage nach Eröffnung des Vermittlungsverfahrens schon auf Einigung stehen. Die „Sherpas“ bei der Streitschlichtung haben, wie schon berichtet, wichtige Stolpersteine aus dem Weg geräumt.
Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU) etwa sieht die Vermittlung „auf der Zielgeraden“; die Kompromissvorschläge stellten auch „kein Einfallstor in die Bildungskompetenz der Länder“ mehr dar. Für die SPD gibt sich die Potsdamer Bildungsministerin Britta Ernst zuversichtlich, dass ein Kompromiss greifbar sei. Und Kretschmann als zentraler Hort des Widerstands? Wenn die Zeichen nicht trügen, prüft auch Stuttgart wohlwollend. „Bis Ostern muss ein Knopf dran sein. So viel ist klar“, sagte Kretschmann.
Die letzte Klippe ist allerdings noch nicht umschifft. Der Bund hat sich weitreichende Kontrollrechte genehmigt, um sicherzustellen, dass die Finanzspritzen aus Berlin von den Ländern vereinbarungsgemäß verwendet werden. Die Bundesregierung soll Akteneinsicht nehmen, Berichte verlangen und Erhebungen bei allen Behörden durchführen können. Darüber wird noch gestritten, und diese Kröte will Kretschmann so auch nicht schlucken. Allerdings: Auch er wird nicht mit dem Schwarzen Peter in der Hand auf dem Spielfeld stehen wollen, wenn die Vermittlung doch noch scheitert.
https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.vermittlungsverfahren-ueber-bildungsfinanzierung-annaeherung-im-bildungsstreit.b0d36b5e-7acd-4995-937b-0f935242ff1b.htmlhttps://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.digitalpakt-bund-ist-nicht-der-bessere-schulmeister.8ccd9305-2f38-401f-bb1e-44b348a9415d.html