Kunden stehlen sich aus Fitnessvertrag

Fitnessstudiobetreiber beklagt vorzeitige Kündigungen wegen gesundheitlicher Probleme, die nur vorgeschoben sind

Symbolfoto: Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de

Symbolfoto: Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de

Von Andrea Wüstholz

REMS-MURR-KREIS. Ab jetzt wird Sport getrieben. Dreimal die Woche. Mindestens. Voll Euphorie unterschreibt manch ein Kunde einen Vertrag bei einem Fitnesscenter. Zwei Monate später flacht die Begeisterung ab. Keine Lust mehr. Das Fitnesscenter bucht natürlich weiter ab – und der Kunde sucht Auswege. Er geht zum Arzt, berichtet von Schmerzen, bittet um ein Attest – und beendet damit den Vertrag vorzeitig.

Das kommt vor, und in einschlägigen Internetforen gibt man sich gegenseitig Tipps, wie man herauskommt aus einem Fitnessvertrag. Das ärgert einen Betreiber einer Fitnesseinrichtung im Rems-Murr-Kreis heftig. Der Mann möchte unter allen Umständen unerkannt bleiben, weil er es sich nicht verderben möchte mit seinen Kunden und mit Ärzten, die „Gefälligkeitsatteste“ ausstellen, wie er das nennt: „Das ist eine Schweinerei.“

Der Betreiber könnte in jedem Verdachtsfall vor Gericht ziehen, aber „das ist keine gute Werbung“. Ein paarmal schon hat sein Anwalt Briefe verschickt, dann wurde weiter bezahlt. In anderen Fällen hat der Mann die Sache auf sich beruhen lassen und die Vertragskündigung wegen angeblicher gesundheitlicher Probleme zähneknirschend akzeptiert. Obwohl frühere Kunden, die angeblich bewegungsunfähig sind, woanders beim Sport überraschend erfolgreich waren.

Rechtsanwalt Hans A. Geisler mit Sitz in Bielefeld hat einst selbst mehrere Fitnessstudios betrieben; seine Mandanten sind frühere Kollegen. Geisler plädiert, wie er auf Nachfrage sagt, zunächst immer für eine außergerichtliche Einigung. Klappt das nicht und sind die Fronten verhärtet, kommt es zur Gerichtsverhandlung: Dort muss ein Kunde nachweisen, dass er tatsächlich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr trainieren und deshalb legal vorzeitig aus seinem Vertrag mit dem Fitnessstudio aussteigen kann. Nicht nur der Arzt, der das Attest ausgestellt hatte, wird dann eventuell vor Gericht gehört. Ein neutraler, externer ärztlicher Gutachter wird hinzugezogen, berichtet Geisler, der in den vergangenen Jahren Tausende solcher Verfahren begleitet hat.

Nicht in die Falle tappen, keine lang laufenden Verträge abschließen

Als „marginal“ bezeichnet der Anwalt den Anteil jener Kunden, die mit ihrem Anliegen vor Gericht durch- und vorzeitig aus ihrem Vertrag herauskommen. Sprich: In den meisten Streitfällen erkennt ein neutraler Arzt keine echte Notwendigkeit, das Training aus gesundheitlichen Gründen beenden zu müssen. Zumal in den allermeisten Fällen bei gesundheitlichen Problemen Sport dringend empfohlen wird, und das Training lässt sich ja anpassen, sofern jemand Rückenschmerzen hat oder über sonstige Beschwerden klagt.

„Der Streit muss eigentlich vermieden werden“, betont Geisler, wohl wissend, dass Studiobetreiber ein schlechtes Image fürchten, sofern sie nach aus ihrer Sicht ungerechtfertigten außerordentlichen Kündigungen klagen: „Das ist eine Abwägungssache.“ Andererseits versteht der Anwalt den Ärger eines Inhabers, der auf Facebook oder anderswo im Internet Fotos findet von einem ehemaligen Kunden, der wegen Krankheit den Vertrag beendet hatte – und dann ist auf diesen Fotos ein „kerngesunder Bursche beim Bergsteigen“ zu sehen. Dann ist es vielleicht an der Zeit, ein Zeichen zu setzen.

Die Branche sei „mehr als bemüht darum, einen guten Kontakt zu Kunden zu haben“ – schon allein wegen des immensen Wettbewerbsdrucks, so Geisler. Studiobetreiber investieren viel Geld in ihre Anlagen und sind deshalb auf eine sichere Kalkulationsgrundlage angewiesen, wirbt Geisler um Verständnis für die Belange der Branche.

So sieht das natürlich auch der eingangs erwähnte Fitnesscenterbetreiber aus dem Rems-Murr-Kreis. Nicht nur aus eigennützigen Gründen rät er von monatlich kündbaren Verträgen ab und hält eine einjährige oder sogar längere Laufzeit für sinnvoll: „Es geht um Ausdauer, ums Durchhaltevermögen. Wenn ich weiß, ich kann jeden Monat kündigen, dann verfolge ich das Ziel nicht so ausdauernd.“

Nicht in die Falle tappen, keine lang laufenden Verträge abschließen: Das wird Bewegungswilligen unterdessen aus Verbraucherschutzsicht geraten. Letztlich muss jeder selbst entscheiden, was er will: Erst mal ein paar Monate trainieren und den viel, viel höheren Preis für einen Vertrag mit monatlicher Kündigungsfrist schlucken, um zu sehen, ob man wirklich dranbleiben wird? Oder gleich einen Zweijahresvertrag abschließen, weil der Monatsbeitrag dann viel niedriger liegt und weil man das als Ansporn und eine Art Selbstverpflichtung für sich sieht?

Hans Geislers Eindruck nach ist das Problem mit Gefälligkeitsattesten eher kleiner geworden im Lauf der Jahre. An einen bemerkenswerten Fall erinnert er sich aber noch: In einer Arztpraxis hing ein Schild mit der Aufschrift „Fitnessstudio-Attest: Acht Euro.“

Ein Attest enthält keine Informationen über Diagnosen

„In der Regel tragen die Ärztinnen und Ärzte plausible medizinische Gründe für ihre Attestausstellung vor, die berufsrechtlich nicht zu beanstanden sind“, so Oliver Erens, Leiter der Ärztlichen Pressestelle der Landesärztekammer Baden-Württemberg. Wegen der Schweigepflicht enthält ein Attest keine Informationen über Diagnosen und dergleichen.

Falls Zweifel aufkommen, können sich Fitnessstudiobetreiber an die Rechtsabteilung der regional zuständigen Bezirksärztekammer wenden. Dort werden laut Erens strittige Vorgänge geprüft und gegebenenfalls nehme die Ärztekammer Kontakt mit dem betreffenden Behandler auf. Es gibt eine ganz andere Möglichkeit, vorzeitig aus einem Vertrag herauszukommen, und gegen diese hätte der Studiobetreiber aus dem Rems-Murr-Kreis gar nichts einzuwenden: Man kann versuchen, den Vertrag an jemanden zu verkaufen, der wild entschlossen ist: Ab jetzt wird Sport getrieben.

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Erstellt:
23. Dezember 2019, 06:00 Uhr

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