Landesregierung schnürt Paket im Kampf gegen Wohnungsnot

dpa/lsw Stuttgart. Landesweit fehlt es an bezahlbarem Wohnraum. Die Landesregierung will den Bau von Wohnungen nun mit Hilfe eines Programms ankurbeln. Insbesondere die Kommunen sollen beim Bauen unterstützt werden. Doch noch ist unklar, welche Wirkung es zeigen wird.

Eine Baustelle für Eigentumswohnungen. Foto: Sven Hoppe/Archivbild

Eine Baustelle für Eigentumswohnungen. Foto: Sven Hoppe/Archivbild

Die Landesregierung will mit Hilfe von neuen Fördermaßnahmen die wachsende Wohnungsnot im Südwesten lindern. „Bezahlbarer Wohnraum entwickelt sich zu einer der wichtigsten sozialen Fragen“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag in Stuttgart. Neue Zahlen des Statistischen Landesamtes zeigen eine gewaltige Lücke. Im vergangenen Jahr wurden rund 35 000 neue Wohnungen gebaut. Das Wirtschaftsministerium geht hingegen bis 2020 von einem jährlichen Neubaubedarf von 65 000 Wohnungen aus. „Die Situation spitzt sich zu“, sagte Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU).

Neben Änderungen in der Landesbauordnung, die das Bauen erleichtern sollen, will die Landesregierung jetzt gezielt Kommunen beim Bau günstiger Wohnungen fördern. Nach den Worten von Hoffmeister-Kraut haben gut die Hälfte der Menschen, die in Baden-Württemberg leben, das Recht, einen Wohnberechtigungsschein zu beantragen. Außerdem sollen Unternehmen dabei unterstützt werden, Sozialwohnungen für ihre Beschäftigten zu bauen. Darüber hinaus soll ein Fonds aufgelegt werden, der Kommunen beim Grundstückskauf unter die Arme greifen soll. Ein neues Kompetenzzentrum soll die Städte und Gemeinden bei der Planung und der Suche nach Flächen beraten. Das hat das Kabinett am Dienstag entschieden. Wie viele Wohnungen dadurch geschaffen werden, konnte Hoffmeister-Kraut aber nicht beziffern.

Die neuen Förderrichtlinien für Kommunen und Unternehmen werden aus den vorhandenen 250 Millionen Euro gespeist, die ohnehin im Landeshaushalt für den Wohnungsbau vorgesehen sind. In den Grundstücksfonds fließen rund 50 Millionen Euro, die im Jahr 2017 eigentlich in den sozialen Wohnungsbau gehen sollten, aber nicht abgerufen wurden. 2018 waren das rund 100 Millionen Euro - über deren Einsatz muss aber noch entschieden werden. Neue Mittel werden für das Paket nicht von der Landesregierung zur Verfügung gestellt.

Der zuständige Dezernent beim Städtetag, Gerhard Mauch, sprach deshalb von einem faulen Kompromiss. Es profitierten nur finanzschwache Kommunen. Gemeindetagspräsident Roger Kehle kritisierte, ein grundlegendes Problem werde damit überhaupt nicht gelöst. „Wir werden nur bauen können, wenn Flächen zur Verfügung stehen.“ Auch beim Verband der Bauwirtschaft sieht man den Mangel an Bauland als Hauptursache für die angespannte Situation im Land.

SPD-Fraktionschef Andreas Stoch kritisierte, die zuständige Ministerin agiere im Blindflug. Auch der DGB-Vorsitzende Martin Kunzmann, vermisst ein langfristiges Steuerungsinstrument, das angesichts des Wohnungsmangels nötig wäre. „In den kommenden Jahren wird sich der Bestand an Sozialmietwohnungen um etwa 2300 Wohnungen jährlich weiter verringern, weil die Preisbindungen auslaufen.“ Der jährliche Bedarf liege aber bei rund 7000 Sozialmietwohnungen.

Die Landesbauordnung ist aus Sicht der Landtags-FDP ein halbgarer Formelkompromiss, der den Wohnungsbau nicht wirklich weiter bringt und den Kommunen zusätzliche Bürokratie aufbürdet. Das werde bei den Fahrradabstellplätzen deutlich, sagten der FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke und die wohnungsbaupolitische Sprecherin Gabriele Reich-Gutjahr. „Zur Ermittlung des Bedarfs sollen die Baurechtsbehörden und Entscheidungsträger vor Ort auf einschlägige Papiere von Fachgesellschaften zurückgreifen, die im Regelfall nicht vorliegen dürften. Unklar bleibt, welche Expertise heranzuziehen sein wird“, betonte Rülke. Es sei zudem nicht ersichtlich, dass die Kostentreiber beim Bauen effektiv abgebaut würden, solange etwa die Pflicht zur Dachbegrünung im Gesetz verbleibe, ohne dass dies auch nur erwähnt oder begründet werde.

Die Flexibilisierung der Fahrradstellplatz-Pflicht in der Landesbauordnung ist laut dem BUND ein Rückschritt für nachhaltige Mobilität und Klimaschutz in Baden-Württemberg. Sie konterkariere die landespolitisch angestrebte Förderung des Fahrradverkehrs, sagte die Landesgeschäftsführerin des BUND Baden-Württemberg, Sylvia Pilarsky-Grosch. „Statt das Problem der sündhaft teuren und kostentreibenden Autostellplätze im Wohnungsbau anzugehen, stilisiert die Landesregierung ausgerechnet Fahrradparkplätze als Hemmnis für preiswerten Wohnraum heraus. So kann die notwendige Verkehrswende in den Kommunen nicht gelingen“, meinte Pilarsky-Grosch.

Die Änderungen der Landesbauordnung sollen nach der Zustimmung im Landtag schon im Herbst in Kraft treten. Die grün-schwarze Koalition hatte sich nach langem Ringen schon im vergangenen Sommer geeinigt. Zuletzt brandete aber noch einmal Streit um die Vorgaben für Fahrradstellplätze und Lademöglichkeiten für Elektroautos auf. Nun ist klar, die feste Vorgabe für Fahrradstellplätze wird - genau wie die Pflicht an bestimmten Häusern Kinderspielplätze zu bauen - gelockert. Die Vorgaben für die Elektro-Ladesäulen soll die sogenannte Garagenverordnung regeln.

Laut der Kabinettsvorlage führt die Änderung zu Einsparungen von rund 98,6 Millionen Euro. Auf die Bürger entfallen demnach davon rund 33,3 Millionen Euro, auf die Wirtschaft etwa 61,7 Millionen Euro und auf die öffentliche Verwaltung rund 3,6 Millionen Euro. Die „Heilbronner Stimme“ und der „Mannheimer Morgen“ (Dienstag) hatten zunächst aus der Vorlage zitiert.

Die Kommunalverbände im Land hatten Anfang des Jahres den Abbau rechtlicher Hürden für die Flächenentwicklung gefordert, um das Bauen zu erleichtern. Die Abstimmung von Bauleitplanung und Artenschutz etwa müsse auch Aufgabe des geplanten Kompetenzzentrums werden, sagte der Dezernent des Städtetags, Mauch. „Die Kommunen müssen schneller vom Flächennutzungsplan zum Bebauungsplan kommen“, betonte Gemeindetagspräsident Kehle. Daran ändere auch die Novelle der Landesbauordnung nichts. „Ich sehe keinen Bürokratieabbau.“

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Erstellt:
21. Mai 2019, 17:59 Uhr

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