Landgasthöfe haben es immer schwerer

Leben auf dem Land Traditionelle Landgasthöfe gibt es immer weniger. Personalmangel, schlechte Anbindung, hohe Kosten und ein verändertes Ess- und Freizeitverhalten tragen dazu bei, dass Traditionswirtschaften verschwinden. Mit guten Konzepten kann es aber trotzdem klappen.

Wenn das „Kelterbergstüble“ geöffnet hat, ist immer viel los. Im Besen der Familie Holzwarth stehen Geselligkeit und Austausch im Vordergrund.Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Wenn das „Kelterbergstüble“ geöffnet hat, ist immer viel los. Im Besen der Familie Holzwarth stehen Geselligkeit und Austausch im Vordergrund.Foto: A. Becher

Von Kristin Doberer

Aspach/Großerlach. Umschlagplatz für Nachrichten und Dorfklatsch, Unterhaltung nach einem langen Arbeitstag und nicht selten sogar der Ort, an dem wichtige politische Entscheidungen getroffen wurden – früher waren die Gaststätten der Mittelpunkt eines jeden Dorfs. Häufig waren sie für die Dorfgemeinschaft wichtiger als sogar die Kirche oder das Rathaus. „Früher gab es ja nicht so viele Möglichkeiten für Unterhaltung“, sagt Heiner Kirschmer, der sich als Heimatkundler auch mit der Geschichte von Gasthäusern in der Region beschäftigt hat. Für die Dorfgemeinschaft spiele die Gastwirtschaft heute aber keine allzu große Rolle mehr. „Für Neuigkeiten und Unterhaltung ist man früher jeden Abend in die Wirtschaft gegangen, heute steht vor allem das Essengehen im Vordergrund“, sagt er. Und das mache man eben nicht jeden Tag, gerade auch, weil es so viele verschiedene Alternativangebote gebe.

Mit guten Konzeptenfür die Zukunft aufstellen

Im ländlichen Raum verschwinden die traditionellen Landgasthöfe und Kneipen seit Jahren immer mehr von der Bildfläche, die Coronapandemie verschärft die Situation noch. Die Gründe für das Sterben der Landgasthöfe sind nach Ansicht des Vorsitzenden der Kreisstelle Rems-Murr im Dehoga Baden-Württemberg, Michael Matzke, vielfältig. „Gasthöfe sind nicht mehr der Mittelpunkt eines Dorfs“, erklärt er. „Viele Vereine haben beispielsweise eigene Vereinsheime, in denen sie Versammlungen abhalten und wo Familienfeiern stattfinden.“ Dazu finde sich gutes und bezahlbares Personal im ländlichen Raum sehr schwer, die Übergabe an geeignete Nachfolger sei oft nicht einfach und die Arbeitszeiten seien wenig attraktiv. So müsse ein Wirt nicht nur gut kochen, sondern sich auch mit Buchhaltung, Bürokratie, Marketing auskennen und noch dazu ein motivierender Chef sein. „Das schafft man lange nicht in 40 Stunden pro Woche, dementsprechend wollen viele junge Leute lieber in ein großes Hotel oder Unternehmen mit geregelten Arbeitszeiten“, sagt Matzke zum Problem Generationenwechsel. Außerdem habe sich das Freizeit- und Essverhalten der Leute einfach verändert. „Die Gäste werden immer anspruchsvoller, gleichzeitig hält sich das Image von Landgasthöfen mit großen Portionen zu kleinen Preisen. Dabei haben Wirte auf dem Land die gleichen Ausgaben wie in der Stadt“, sagt Matzke.

Das bestätigt auch Uwe Görlich vom Gasthof Silberstollen in Großerlach. „Ich habe die gleichen Einkaufs- und Personalkosten, aber ich kann hier ja nicht die gleichen Preise verlangen wie ein Restaurant in Stuttgart“, erzählt der Wirt. Noch dazu macht er sich nun Gedanken über die aktuellen Preissteigerungen beim Sprit und in allen anderen Bereichen. „Weil wir noch gute bürgerliche Küche machen, kamen Leute eigentlich auch von weiter weg gerne her. Aber wer kann und will sich das jetzt noch leisten?“ Auch er habe die veränderte Stellung des Dorfgasthofs deutlich wahrgenommen. „Das Wirtshaus ist nicht mehr der Dorftreffpunkt. Es ist schon lange nicht mehr so, dass täglich das halbe Dorf nach seinem Feierabend hier ist“, sagt der Gastwirt, der den Silberstollen 2017 übernommen hat. Die typischen täglichen Stammtische gebe es nicht mehr, eher sporadisch treffen sich noch feste Gruppen. Ansonsten seien viele Gäste Ausflügler, die am Wochenende den Schwäbisch-Fränkischen Wald besuchen. Trotzdem sei das Gasthaus aber noch immer sehr wichtig als kulturelles Parkett der Gemeinde, betont er.

Das sieht auch Matzke so: „Ein Gasthof im Dorf ist für eine Gemeinde sehr wichtig. Wenn der verschwindet, geht auch etwas Kultur und Lebensqualität verloren.“ Ohne eine Einkehrmöglichkeit seien selbst die schönsten Rad- und Wanderwege für Touristen nicht allzu attraktiv. Deshalb gebe es auch Gemeinden, die versuchen ihre Gaststätten aktiv zu unterstützen, zum Beispiel indem man Parkplätze schafft oder eine Bushaltestelle etwas näher legt. Es gebe auch Modelle, mit denen Landgasthöfe sich zukunftssicher aufstellen können. „Man braucht ein gutes Konzept wie eine besondere Küche, zum Beispiel nur regional oder bio“, erklärt Matzke. Auch die Konzentration auf Veranstaltungen oder Feiern könne ein erfolgreiches Modell darstellen.

Trotz aller Probleme gebe es aber auch einen Vorteil an der ländlichen Lage: „Man kennt die Leute“, meint Görlich. Das bestätigt auch Kai Heinrich vom Gasthof Lamm in Waldenweiler. „Manche Gäste kommen von klein auf und mittlerweile besuchen sie uns mit ihren Enkeln“, erzählt der Gastwirt, der das Lamm mit seiner Frau nun in der vierten Generation führt. Als weiteren Vorteil sieht er auch die ländliche Lage selbst. Zu den Gästen gehören nicht nur Stammgäste, sondern viele Ausflügler. „Menschen können sich hier von ihrem stressigen Alltag in der Stadt erholen, Sorgen vergessen, zur Ruhe kommen“, sagt Heinrich. Waldenweiler liege zum einen ziemlich in der Mitte von Welzheim, Winnenden, Schorndorf, Murrhardt und Backnang und es ist nicht weit zum Ebni-, Aichstruth- und Waldsee. Es gebe auch Gäste, die dafür gerne einen weiteren Weg auf sich nehmen, zum Beispiel aus Stuttgart oder Ludwigsburg.

Im Besen werden Tradition und Geselligkeit noch großgeschrieben

Aber bei aller Begeisterung für Waldenweiler sieht auch er einige Nachteile in der ländlichen Lage seines Gasthofs. „Für fast alle Erledigungen braucht man das Auto, da die öffentlichen Verkehrsmittel sehr übersichtlich sind.“ Auch das noch langsame Internet erschwere den Arbeitsalltag, da Internet zum Beispiel für das Kassensystem benötigt wird. „Aber das soll sich ja bald verbessern“, meint der Gastwirt.

Noch richtig traditionell geht es in vielen Besen der Region zu. Höchstens 16 Wochen im Jahr dürfen die Besenwirtschaften Gäste empfangen, die Zahl der Besucher ist beschränkt, zu trinken gibt es vor allem Wein aus dem eigenen Anbau und das Essen ist einfach, traditionell und bürgerlich. Und auch wenn die Schweinshaxe als Tagesessen immer besonders viele Gäste anlockt, seien Essen und Trinken für die meisten Gäste nicht der Hauptgrund, um einen Besen zu besuchen. „Das Gesellige steht auf jeden Fall im Vordergrund“, sagt Matthias Holzwarth, der mit seiner Familie seit 2005 die Besenwirtschaft „Kelterbergstüble“ in Aspach betreibt. Sobald das Plakat und der traditionelle Besen an der Straße verkünden, dass das „Kelterbergstüble“ geöffnet ist, reiht sich bei dem landwirtschaftlichen Betrieb ein Auto an das nächste, im Inneren des Besen sind die Tische voll besetzt. „Für viele ist das einfach ein Ort zum Zusammensitzen und Austauschen. Gerade in Zeiten, in denen so viel in der Welt los ist, genießen die Menschen das total“, erzählt Holzwarth. Dabei sei von Jung bis Alt alles dabei. Von älteren Leuten, die sich über den Dorftratsch austauschen, bis zu jüngeren, die nach einem Fußballtraining oder einer Feuerwehrübung vorbeikommen.

Geöffnet hat der Besen immer nur zehn Tage im Monat und das nur von November bis Mai, wenn auf den Feldern und im Weinberg nicht allzu viel Arbeit ansteht. Denn wenn der Besen der Holzwarths geöffnet ist, hilft die ganze Familie mit „von Oma und Opa bis zu den Kindern“. Ohne studentische Aushilfen sei die Arbeit zwar nicht zu leisten, aber gerade das familiäre Umfeld schätzen die Gäste. „Es gibt niemand, der mich hier mit ‚Sie‘ anspricht, manche Gäste kommen dann sogar mal zur Weinlese dazu“, erzählt Holzwarth.

In der Serie „Leben auf dem Land“ beleuchten wir verschiedene Aspekte des dörflichen Lebens in unserer Region genauer.

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Erstellt:
12. März 2022, 11:30 Uhr

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