Landwirtschaft (be-)greifbar machen

Bürgerpreis-Kandidaten 2018: Wacholderhof in Murrhardt vermittelt Leben und Produktion in vereinsgetragenem Biolandbetrieb

Es ist ein Spagat, den David Burkhardt und seine Mitstreiter vom Verein Wacholderhof bei Murrhardt-Steinberg täglich machen: Als Erlebnis- und Lernort für Kinder- und Schulgruppen sowie private Besucher wollen sie ihren Gästen so viel wie möglich über Landwirtschaft, Tiere, Pflanzen, sprich das Leben in, mit und von der Natur, vermitteln. Gleichzeitig gelingt dies am besten, wenn man selbst als Biolandbetrieb aktiv ist.

Wenn es heiß ist, hat David Burkhardt seinen Sonnenhut dabei, die Limburger Rinder verziehen sich dann meist in den Wald. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Wenn es heiß ist, hat David Burkhardt seinen Sonnenhut dabei, die Limburger Rinder verziehen sich dann meist in den Wald. Foto: J. Fiedler

Von Christine Schick

MURRHARDT. Eine Gruppe von Jugendlichen ist gerade mit ihren Vätern dabei, Holzstämme mit Werkzeug von ihrer Rinde zu befreien, um am Spielplatz eine Abgrenzung einziehen zu können, während die zwei Mütter Maria Burkhardt im Schaukräutergarten helfen. Seit etwa acht Jahren kommen die beiden Familien aus dem Raum Stuttgart regelmäßig, um einen Urlaub mit dem Arbeiten auf dem Hof zu verbinden. „Ich hab vor rund 20 Jahren hier mein ökologisches Jahr gemacht“, erklärt eine der beiden Frauen.

„Das ist für uns ein typischer Tag, die Gäste helfen mit, werden eingebunden, später essen wir zusammen“, sagt Betriebsleiter David Burkhardt, der gerade vom Verkauf auf dem Murrhardter Wochenmarkt kommt. Er schaut kurz nach seinen Limburger Rindern. „Wenn es so heiß ist, verziehen sie sich in den Wald“, erzählt er. Auch die Coburger Fuchsschafe weilen zurzeit etwas ab vom Hof an der Hördter Mühle. Das führt David Burkhardt zum aktuellen Thema: Der „Wacholderhof – einfach leben und lernen e.V.“, der als kleiner Selbstversorgerhof Anfang der 1980er-Jahre startete und seine pädagogische Arbeit immer weiter ausgebaut hat, möchte einen kleinen Nutztierstall am Hof einrichten, um noch direktere Begegnungsmöglichkeiten mit den Tieren – Schafen, Ziegen, Hühner, Kaninchen sowie zwei oder drei Pferde – zu schaffen. Dieser Kontakt ist neben dem Leben und Mithelfen auf dem Hof eines der zentralen Elemente. „Dass die Kuh nicht lila ist, wissen die Kinder heute. Aber die vielen Facetten wie, dass Tiere auch ihren eigenen Kopf haben, lernt man erst im direkten Umgang“, sagt David Burkhardt.

Der Verein und das Projekt Wacholderhof möchten zwischen der Landwirtschaft und den Menschen vermitteln. Mit dem Strukturwandel und einer Industrialisierung vieler landwirtschaftlicher Betriebe ist auch der Kontakt vor allem für die städtische Bevölkerung oftmals abgerissen und damit fehlt das Verständnis für die Belange von Landwirten und die Gesamtzusammenhänge, sagt der Sohn der Hofgründer Maria und Berthold Burkhardt. Das ist von Bedeutung, weil die Menschen auch als Verbraucher handeln. „Rund 70 Prozent der Kunden kauft Fleisch als Billigangebot, nur noch 30 Prozent gehen zum Metzger.“

Verein und Hof möchten auch das Verständnis für die Landwirtschaft fördern

Burkhardt möchte die künftige Generation fürs Thema sensibilisieren. „Ich sag dann immer, wir sind nicht nur ein Streichel-, sondern letztlich auch ein Vesperzoo“, sprich, wer Fleisch isst, sollte sich auch bewusst sein, dass geschlachtet werden muss. Die Schulklassen werden als Gäste ja auch mit Lebensmitteln des Hofes verpflegt. „Hier in unserer Kulturlandschaft, dem Schwäbisch-Fränkischen Wald als Grünlandstandort, sind wir auf die Fleischtierhaltung angewiesen“, ein Gemüseanbau allein würde nicht tragen. Für David Burkhardt gehört sie in letzter Konsequenz auch zur Milchviehwirtschaft. Wichtig sei es, dass die Tiere vor der Schlachtung gut gehalten und mit Respekt behandelt werden. „Artgerechte Haltung entscheidet sich fast ausschließlich über den Geldbeutel.“

All dies sehen Betriebsleiter und Verein als pädagogischen und gesellschaftlichen Auftrag, der am besten zu vermitteln ist, wenn man selbst als Biolandbetrieb mit Tierhaltung und einem vielseitigen Gemüseanbau aktiv ist – im Alltag natürlich eine Herausforderung. Dieser ganzheitliche Anspruch passt für Burkhardt gut zum Motto des diesjährigen Bürgerpreises „Zukunft braucht Zusammenhalt“. Einerseits findet der Betriebsleiter, dass Kollegen, die konventionell ausgerichtet sind, möglicherweise mit Blick auf Ökologie und Tierhaltung noch an der einen oder anderen Stellschraube drehen könnten, andererseits hält er nichts davon, Landwirte für Dinge verantwortlich zu machen, auf die sie kaum einen Einfluss haben.

Diesen Zusammenhalt, das Wissen und das Verständnis füreinander wollen Hof und Verein fördern, was sich auf weiteren Ebenen fortsetzt. Kindergruppen und Schulklassen leben und lernen auf dem Hof. Da nicht mehr als rund 20 Gäste übernachten können, zählen auch viele kleinere Gruppen dazu, bei denen Inklusion ein Thema ist – Menschen mit Behinderung oder Einschränkung sowie Förderschüler. „Als Besucher einer Blindenschule bei uns waren, hat ein Gast gesagt, es wäre schön hier, weil alles so übersichtlich sei“, erzählt Burkhardt mit einem Lächeln. Gemeint waren das Gelände und das Familiäre des Betriebs. Von Lehrern hört er nicht selten, dass die Schüler in dieser Umgebung, die genug Möglichkeiten bietet, selbst mitanzupacken und sich auszuprobieren, entspannter seien. Junge Gästen sagen ihm schon mal, „dass der Aufenthalt die schönste Zeit ihres Lebens“ gewesen sei.

Zusammenhalt in einem gesellschaftlichen Sinne entsteht auch durch weitere Teammitglieder: Jährlich leisten zwei Freiwillige ihr Ökologisches Jahr auf dem Wacholderhof ab, zudem sammeln Praktikanten dort ihre Erfahrungen. „Viele von ihnen ergreifen grüne Berufe“, sagt Burkhardt. Zahlreiche Kontakte bleiben erhalten, aus den ehemaligen Schaffern auf dem Hof wurden Vereinsmitglieder. Zu diesen zählen übrigens auch Kunden der Wochenmärkte in Murrhardt und Backnang – so mancher Stammkunde entwickelt sich zum Unterstützer und Freund. Viele der rund 80 Vereinsmitglieder können nicht vor Ort präsent sein, da sie (mittlerweile) andernorts arbeiten und häufig auch vielfach gesellschaftlich engagiert sind. Deshalb informieren das Kernteam und der Vereinsvorstand einmal im Jahr in der Broschüre „Daily Müsli“ über die Entwicklungen und Themen auf dem Hof. „Wir sind auch immer auf der Suche nach neuen Mitstreitern, es gibt hier noch viele Entfaltungsmöglichkeiten“, sagt Burkhardt. Dazu zählen auch Ideen, wie man Projekte und grundsätzliche Anliegen noch besser umsetzen kann. Was das Team mit dem Geld des Bürgerpreises machen würde? Es wäre sicher eine Hilfe für das aktuelle Projekt – der Aufbau des Nutztierstalls, für den ein bestehendes Gebäude renoviert und ausgebaut sowie vielfältiger Nachwuchs beschafft werden soll.

In einer Serie stellt unsere Zeitung die
acht Kandidaten vor, die beim Bürger-
preis Rems-Murr für den Leserpreis der Backnanger Kreiszeitung und der Murrhardter Zeitung nominiert sind.

Ab 4. Juni können die Leser abstimmen
und ihren Favoriten wählen.

Landwirtschaft (be-)greifbar machen

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Erstellt:
1. Juni 2018, 14:38 Uhr

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