Langeweile? – Nein. Wehmut? – Ja.

Fast ein Jahr ist es her, dass die Zirkusfamilie in Großerlach Station machte und notgedrungen blieb. Die Pandemie durchkreuzte alle Pläne und stellte das Team auf eine Belastungsprobe der besonderen Art.

Der Circus Montreal sitzt seit fast einem Jahr in Großerlach fest. Das Wetter ist nur eine von vielen Herausforderungen für die Zirkusfamilie. Besonders die Kinder und Neffen der Zirkuseltern Gabriele und Andreas Köllner sind ungeduldig. Sie möchten arbeiten. Fotos: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Der Circus Montreal sitzt seit fast einem Jahr in Großerlach fest. Das Wetter ist nur eine von vielen Herausforderungen für die Zirkusfamilie. Besonders die Kinder und Neffen der Zirkuseltern Gabriele und Andreas Köllner sind ungeduldig. Sie möchten arbeiten. Fotos: J. Fiedler

Von Carmen Warstat

GROSSERLACH/BACKNANG. Ihre letzte Vorstellung hatten die Köllners und Co. bereits am 1. Januar 2020 in Bartenbach mit dem Weihnachtszirkus bestritten, die darauffolgende Weihnachtssaison „ist praktisch ausgefallen“. Lediglich einen kleinen Auftritt im Murrhardter Seniorenheim Eulenhöfle habe es im September 2020 noch gegeben, selbstverständlich vorschriftskonform und pandemiegerecht. Eine Grundschulvorstellung nach den Herbstferien in Gschwend musste dann aber ausfallen.

Dabei ist die Familie so froh über jede kleine Darbietung, die sie geben darf. Nicht zuletzt geht es auch darum, „ein paar Euro zu verdienen“. Jetzt richten sich alle Hoffnungen auf das Frühjahr. „Vielleicht im April oder im Mai könnten wir wenigstens dem engeren Umkreis unsere Vorstellungen anbieten, wenn wir dürfen.“ Gabriele Köllner weiß, dass diese Überlegungen wenig realistisch sind, und Bürgermeister Christoph Jäger ist pessimistisch. Vor September werde wohl nichts gehen, prophezeite er der Zirkusinhaberin, die alles tun will, um sich weiterhin mit der Situation zu arrangieren. Ihre Dankbarkeit dem Schultes und dem Grundstückseigner Marco Wieland gegenüber kann sie nur immer wieder bekräftigen, denn „wir wüssten wirklich nicht, wohin“.

„Das kann natürlich kein Dauerzustand sein.“

Sie glaubt nicht, dass jede Gemeinde so großzügig wäre, einen Zirkus auf Dauer bei sich aufzunehmen. Nett und freundlich nennt sie den Flecken, der ihr und ihrer Familie ein Stück Sicherheit gibt, das Verhältnis zu Jäger und Wieland sei nach wie vor gut. „Aber natürlich kann das kein Dauerzustand sein.“ Gabriele Köllner grübelt darüber nach, wie es weitergehen soll, und findet keine rechte Antwort. Zurzeit beziehen sie Grundsicherung (Hartz IV), wie Köllner sagt: „Für uns Menschen. Für die Tiere reicht das nicht.“ Unter anderem die Lamas, Shetlandponys, Ziegen und ein Pferd wollen versorgt sein. Sie benötigen Heu und Futter sowie nötigenfalls ärztliche Versorgung. Bis vor Kurzem machte Aladin, ein älteres Pferd, der Zirkusfamilie gehörig Sorgen. Ein Beingelenk hatte sich entzündet und musste aufwendig und teuer behandelt werden. Zum Glück seien die Tiere alle wintertauglich.

Gabriele Köllner mit ihrem Schmuse-Lama.

© Jörg Fiedler

Gabriele Köllner mit ihrem Schmuse-Lama.

Der viele Schnee im Januar bescherte den Zirkusleuten auch einige Besucher. „Hinten am Schlittenberg war viel los“, so Köllner, aber einige hätten sich auch „hierher verirrt“ und Karotten mitgebracht. Man müsse die Abstände beachten, „und dann klappt das auch“, findet das weibliche Familienoberhaupt, dankbar für jede einzelne Spende, seien es Sachleistungen wie etwa Tierfutter oder Geldbeträge. Heizkosten müssen beglichen und Fahrzeuge repariert werden, ein Tüv steht an. Zum Glück gibt es so für die erwachsenen Kinder der Köllners immer ein wenig zu tun. „Sie suchen sich Arbeit.“ Zudem trainieren die 19-jährige Tochter Michelle und der 29-jährige Sohn André fleißig, denn sie müssen für die Manege fit bleiben. Aber auch wenn es immer etwas zu tun gibt, steht fest: „Die Kinder wollen weg, sie wollen wieder normale Abläufe.“ Michelle sei zurzeit so richtig niedergeschlagen. Langeweile gäbe es nicht, wohl aber Wehmut. Und die Mutter fragt besorgt: „Wie lange kann man das noch so durchstehen?“ Das Publikum fehle einem, besonders die lachenden Kinderaugen. Gerade deshalb sei es so schön, wenn jetzt trotz allem Eltern mit ihren Kleinen kommen und man mit ihnen ins Tierzelt gehen kann, freilich unter Wahrung aller Vorschriften.

Sie wollen nicht klagen und sind dankbar für die Unterstützung.

Andererseits ist den Köllners klar, dass viele es noch schwerer haben, weshalb sie „nicht viel rumjammern und klagen“ möchten. Trotzdem sind sie für Unterstützung äußerst dankbar, wie Gabriele Köllner nochmals versichert: Lebensmittel- und Sachspenden, Geldzuwendungen und Tierfutter sind hochwillkommen und Familienbesuch äußerst gern gesehen. Auch könne man zu gegebener Zeit relativ spontan Gastspiele organisieren, sei es nach dem Lockdown oder unter Auflagen. Bis dahin aber hofft man in Großerlach auf tierliebe Gäste. „Wir sind ja hier“, sagt Gabriele Köllner, die unter der 01577/1592505 zu erreichen ist.

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Erstellt:
13. Februar 2021, 11:30 Uhr

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