Israel: Netanjahu-Gegner dringen auf Vereidigung

dpa Tel Aviv. Das Anti-Netanjahu-Lager in Israel will den Machtwechsel schnellstmöglich vollenden. Bruchlinien gibt es ohnehin schon viele in dem Mehr-Parteien-Bündnis.

Der bisherige Oppositionsführer Jair Lapid teilte Präsident Rivlin kurz vor Ablauf einer Frist mit, er habe ein Bündnis von acht Parteien aus allen politischen Lagern geschmiedet. Foto: Ilia Yefimovich/dpa

Der bisherige Oppositionsführer Jair Lapid teilte Präsident Rivlin kurz vor Ablauf einer Frist mit, er habe ein Bündnis von acht Parteien aus allen politischen Lagern geschmiedet. Foto: Ilia Yefimovich/dpa

Gegner des langjährigen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu dringen in Israel auf eine rasche Vereidigung ihrer geplanten Regierung.

Hintergrund sind nach Medienberichten vom Donnerstag Versuche des Netanjahu-Lagers, das Bündnis aus acht Parteien und damit einen Machtwechsel noch zu verhindern. Angestrebt sind eine Abstimmung über die Regierung und deren Vereidigung bereits für Montag. Zunächst galt der 14. Juni als wahrscheinlicher Termin.

Die vom bisherigen Oppositionsführer Jair Lapid am Mittwochabend auf den Weg gebrachte Koalition besteht aus sehr unterschiedlichen Parteien, die das gesamte politische Spektrum des Landes abbilden. Im Kabinett sollen etwa sowohl eine ultrarechte, als auch linke sowie eine arabische Partei sitzen. Netanjahu rief Knessetabgeordnete dazu auf, dem Bündnis nicht zu folgen. Bei Twitter schrieb er: „Jeder Knesset-Abgeordnete, der mit den rechten Stimmen gewählt wurde, muss sich der gefährlichen linken Regierung widersetzen“. Die geplante Koalition hat nur eine Mehrheit von 61 der 120 Parlamentarier. Es gab zuletzt Berichte über mindestens einen möglichen Abtrünnigen.

Israel steckt in einer politischen Dauerkrise, die Gesellschaft ist tief gespalten. Auch die vierte Parlamentswahl seit 2019 hatte Ende März keine klaren Mehrheitsverhältnisse ergeben. Rivlin beauftragte am 5. Mai Lapid mit der Regierungsbildung, Netanjahu war zuvor daran gescheitert. Eine Neuwahl wollen viele Parteispitzen in Israel unbedingt verhindern.

Kommt Israel aus dem Dauerwahlmodus?

Mit Vereidigung der neuen Regierung wäre die Ära Netanjahu vorerst beendet. Er war von 1996 bis 1999 Ministerpräsident, seit 2009 ist er durchgängig Regierungschef. Länger als Netanjahu hat niemand seit Israels Staatsgründung 1948 regiert. Im Laufe seiner Amtszeit hat er sich mit vielen Politikern tief zerstritten und deren Vertrauen verloren. Viele Spitzenpolitiker auch aus Netanjahus rechtem Lager versagen ihm daher die Unterstützung. In der Kritik steht Netanjahu aber auch, weil ein Korruptionsprozess gegen ihn läuft.

Lapids Zukunftspartei war bei der Wahl im März zweitstärkste Kraft hinter dem rechtskonservativen Likud von Netanjahu geworden. Der frühere TV-Moderator und Finanzminister informierte Präsident Reuven Rivlin am Mittwochabend kurz vor Ablauf einer Frist offiziell darüber, ein Regierungsbündnis gebildet zu haben. Darunter ist die ultrarechte Jamina-Partei des Ex-Verteidigungsministers Naftali Bennett. Nach einer Rotationsvereinbarung soll er zunächst Regierungschef und zwei Jahre später von Lapid abgelöst werden.

Erstmals soll mit der konservativ-islamischen Raam-Partei auch eine arabische Partei Teil einer israelischen Regierung werden. Bennetts Partei gilt als siedlerfreundlich, dies könnte die Zusammenarbeit mit Raam erschweren. Bis zur letzten Minute hatte es heftige Meinungsverschiedenheiten zwischen den potenziellen Koalitionspartnern gegeben.

Lapid schrieb am Mittwochabend bei Twitter, die neue Regierung werde „ihre Gegner respektieren und alles dafür tun, alle Teile der israelischen Gesellschaft zu einen und zu verbinden“. Im Zuge des Konflikts Israels mit der im Gazastreifen herrschenden Hamas war es in dem Land zuletzt zu heftigen Zusammenstößen zwischen Juden und Arabern gekommen. Berichten zufolge sieht die Koalitionsvereinbarung unter anderem hohe Fördermittel für die arabische Gemeinschaft in Israel vor. Auch die Bekämpfung der Kriminalität in dem Sektor soll demnach forciert werden.

Die im Gazastreifen herrschende Hamas kündigte derweil eine Fortsetzung ihres Widerstands gegen den jüdischen Staat an. „Alle israelischen Parteien glauben nicht an die Rechte unseres Volkes, und ihre führenden Persönlichkeiten sind die Feinde unseres Volkes“, teilte ein Sprecher mit. „Unser Widerstand wird sich weiter gegen die Besatzung richten, ungeachtet der Vielfalt ihrer politischen Farben.“ Israel und militante Palästinenser im Gazastreifen hatten sich im Mai einen elftägigen bewaffneten Konflikt geliefert.

© dpa-infocom, dpa:210603-99-842165/9

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Erstellt:
3. Juni 2021, 04:02 Uhr

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