Lasst die Lehrer in Ruhe arbeiten!

Manche Eltern neigen zur Besserwisserei – das schadet am Ende nur dem eigenen Nachwuchs

Stuttgart Das Land Baden-Württemberg braucht in den nächsten zehn Jahren10 600 neue Lehrerstellen. Das sagt das Kultusministerium, und es gibt wohl niemanden, der dies bestreitet. Doch zugleich stellt sich die Frage, wie junge Frauen und Männer in dieser großen Zahl für einen Beruf begeistert werden können, dem es an Wertschätzung in weiten Teilen der Bevölkerung mangelt. Zwar finden sich die Pädagogen bei diversen Umfragen im Reigen der Berufe eher im vorderen Mittelfeld. Bei vielen Eltern macht sich aber immer mehr eine Form von Besserwisserei breit – getreu dem Motto: Ich war auch mal in der Schule und weiß daher selbst am besten, was gut für mein Kind ist. Nimmt man diese Argumentation ernst, müssten sich Daimler und Porsche große Sorgen machen. Wer Auto fahren kann, kann schließlich auch ein solches bauen, oder?

Klar ist: Eltern müssen sofort reagieren, wenn der Nachwuchs in der Schule gemobbt oder offensichtlich unfair behandelt wird. Und natürlich gibt es auch unter Lehrern Faulpelze und Drückeberger. In welchen Berufszweigen gibt es die nicht? Das Kindeswohl ist aber nicht gefährdet, wenn Sohn oder Tochter nachsitzen müssen, weil sie mehrmals die Hausaufgaben vergessen haben. Es ist fast grotesk, wenn Eltern einerseits erwarten, dass das Kind zu einer selbstständigen Person heranwächst, ihm aber nicht zutrauen, dass er oder sie sich beispielsweise um die Beschaffung eines Arbeitsblattes in der Schule kümmert.

Dumm, wenn das Kind zu Hause immer hört, wie blöd der Lehrer oder die Lehrerin eigentlich ist. So bringt man dann den eigenen Nachwuchs in eine äußerst schwierige Lage. Längst ist der Begriff der Rasenmähereltern etabliert. Das sind Mütter und Väter, die alles dafür tun, dass ihr Kind keine Rückschläge verkraften muss. Manches Mal beschleicht einen das Gefühl, dass bestimmte Eltern über Leichen gehen würden, solange der eigene Spross nur die richtige Förderung erfährt. Aber für das spätere eigenständige Leben sind solche Eltern keine Hilfe, sondern eine Bürde. Und mal ehrlich: Wer sein Kind dauernd mit dem Auto zur Schule bringt, macht grundlegend etwas falsch. Es ist schon entlarvend, dass am Montag eine Kampagne „Goodbye, Elterntaxi“ mit dem Ziel ins Leben gerufen werden musste, dass Kinder zu Fuß zur Schule gehen.

Wie muss es früher entspannt auf Elternabenden zugegangen sein, als es Müttern und Vätern peinlich war, über die Nöte des eigenen Sprösslings zu berichten. Heute ist das fast schon normal. Und wehe, der Lehrer schenkt dem nicht die nötige Aufmerksamkeit. Es sind die gleichen Eltern, die nicht müde werden, von einem unsäglichen Bildungsnotstand zu sprechen, aber nicht einsehen, dass ein Lehrer sich eben nicht nur um den eigenen Zögling kümmern kann, sondern auch noch weitere 150 Schüler am besten individuell betreuen soll.

Doch was ist nötig, damit Schule gelingen kann? Eine Partnerschaft Eltern-Lehrer führt dann in die Irre, wenn nicht beide Seiten die Grenzen erkennen und respektieren. Eine falsch verstandene Zusammenarbeit auf Augenhöhe würde sofort dazu führen, dass bestimmte Eltern Forderungen stellen, zu denen sie kein Recht haben. Es steht ihnen eben nicht zu, bei der Gestaltung des Unterrichts, in welcher Form auch immer, mitzureden. Der Lehrer hat ja auch nicht das Recht zu fordern, dass die Schülerinnen und Schüler morgens ein Glas Milch trinken, bevor sie zum Unterricht kommen. Es braucht Respekt. Oder um es mit einfachen Worten zu sagen: Liebe Eltern, lasst die Lehrer ihren Job machen! Das betrifft im Übrigen nicht nur übereifrige Väter und Mütter. Es gilt auch für die Politik.https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.10-600-neue-stellen-notwendig-mehr-lehrer-fuer-das-land.0fb505f3-c602-47ce-99c8-bd892ef11e8d.htmlhttps://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.chaos-vor-schulen-aktion-in-stuttgart-weist-auf-gefahr-durch-elterntaxis-hin.6a44d266-71fd-42f2-85f8-ba70fffb83fc.html

kai.mueller@stzn.de

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Erstellt:
4. April 2019, 03:14 Uhr

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