Vor 60 Jahren ertrunken

Le Corbusier: Der Baumeister des Beton-Brutalismus

Seine Bauten sollten funktional sein. Mit ihnen adaptierte der Franzose Le Corbusier die Architektur an eine technisierte Welt. Sehr menschennah war das jedoch nicht. Ein Rückblick.

Die Cité Radieuse ist ein von Le Corbusier entworfenes Wohnhochhaus, das von 1947 bis 1952 gebaut wurde.Häufig wird das Gebäude auch als Unité d’Habitation, als Wohneinheit oder Wohnmaschine, bezeichnet, weil es  als Ideallösung für ein neues Bauen angesichts des Wohnungsmangels nach dem Zweiten Weltkrieg geplant wurde.

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Die Cité Radieuse ist ein von Le Corbusier entworfenes Wohnhochhaus, das von 1947 bis 1952 gebaut wurde.Häufig wird das Gebäude auch als Unité d’Habitation, als Wohneinheit oder Wohnmaschine, bezeichnet, weil es als Ideallösung für ein neues Bauen angesichts des Wohnungsmangels nach dem Zweiten Weltkrieg geplant wurde.

Von KNA/Markus Brauer

„Was du machst, mach richtig!“ Diesen Rat seiner Mutter befolgte Charles-Édouard Jeanneret-Gris. Besser bekannt unter dem Namen, den er sich selbst gab: Le Corbusier.

 Mit einem Lebenswerk, das in seiner Kompromisslosigkeit seinesgleichen sucht. So schlug er etwa in den 1920er Jahren den Abriss des gesamten Pariser Stadtzentrums rechts der Seine vor. Die Bevölkerung sollte in gigantische Wohntürme umziehen und Teil einer verkehrsgerechten, wirtschaftlich effizienten Metropole werden.

Vordenker der Beton-Architektur

Mit solchen Entwürfen wurde Le Corbusier, der am 27. August 1965, vor 60 Jahren, starb, nicht nur zu einem genialen Vordenker der Beton-Architektur des 20. Jahrhunderts. Seine Radikalität steht Kritikern auch für ein wenig humanes Rasterdenken, das die Bedürfnisse des einzelnen Menschen am Ende außer Acht lässt.

Als Charles Édouard Jeanneret-Gris kam Le Corbusier am 6. Oktober 1887 in der Uhrenstadt La Chaux-de-Fonds im Schweizer Jura zur Welt. Sein Vater war Uhren-Ziseleur, seine Mutter Musikerin. Sie übte bis zu ihrem Tod im Alter von 100 Jahren einen besonderen Einfluss auf den Sohn aus.

Stapelhäuser für den modernen Menschen

Zunächst schien der Junge beruflich in die Fußstapfen des Vaters zu treten. Doch schließlich brachten ihn seine Studien zunächst zur Malerei und am Ende zur Architektur. In den 1920er Jahren, in denen er auch seinen Künstlernamen und die Hornbrille und Fliege als Markenzeichen annahm, entwickelte er seine immer konsequenteren Architektur-Adaptionen an eine technisierte Welt.

Neben diversen Privatvillen konzipierte Le Corbusier Stapelhäuser für den modernen Menschen: Serienbauten mit genormten Einzelteilen, die alle Funktionen einer Stadt unter einem Dach vereinigten.

Zu seinen bekanntesten Werken gehören:

  • ein mondänes Doppelhaus in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung (1927)
  • der Pavillon L`esprit nouveau (Pavillon der neuen Zeit) für die Pariser Weltausstellung (1937)
  • die Unité d’Habitation in Marseille (1945-1950) und vier weiteren Städten
  • die Modernisierung der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá (1950)
  • sowie Bauten im südindischen Chandigarh, wo er eine ganze Provinzhauptstadt (City Beautiful) in der Art Brasilias schuf.

Geschwungene und kubische Sakralbauten

Spektakulär sind auch Le Corbusiers wenige Kirchenbauten.

  • Am bekanntesten die Kapelle Notre-Dame-du-Haut im ostfranzösischen Ronchamp (1952-1955). Der geschwungene Betonbau mit dem Pilzdach – das tatsächlich einem am Strand gefundenen Krebspanzer nachempfunden ist – wurde schnell zu einer Ikone des Kirchenbaus der Nachkriegszeit.
  • Bei Corbusier-Puristen stieß der vorübergehende Verlust der Linientreue dagegen auf Enttäuschung. Anders das kubische Dominikanerkloster „La Tourette“ in Éveux bei Lyon (1956-1960), das den „reinen“ Le Corbusier wiedergibt und ebenfalls bis heute Pilgerstätte für Architekten ist.

Funktionalität statt Spiritualität

Le Corbusiers wichtigstes Motiv zum Bauen war freilich weniger Spiritualität als Funktionalität. Andere Architekten seiner Zeit, die wie er kühne neue Umgebungen für den „modernen Menschen“ konzipierten, waren eher sozialistischen Geisteshaltungen zuzuordnen, so etwa der Brasilianer Oscar Niemeyer (1907-2012). Für Le Corbusier haben jüngere Briefeditionen und historische Forschungen dagegen deutliche Sympathien für rechtes Gedankengut zutage gebracht.

In der Tat ist das Innere von Le Corbusiers Cité Radieuse in Marseille so faszinierend wie verstörend: ein Koloss, eine „Wohnmaschine“, uniform und entseelt. Man kann darin den Willen erkennen, vielen Menschen zugleich einen möglichst großen Wohnkomfort zu ermöglichen. Vertraute aus Vichy-Zeiten sahen darin allerdings auch eine „Umsetzung des faschistischen Programms“.

Wie eine Mönchszelle

Le Corbusier errichtete rund 80 Gebäude und entwarf 200 weitere. Patentieren ließ er sich sein „Modulor“, ein Baukastenprinzip für architektonische Proportionen auf der Grundlage eines 1,83 Meter großen Mannes.

Nach diesem Prinzip entwarf er unter anderem – in 45 Minuten nach eigenen Angaben – seine Hütte („cabanon“) in Roquebrune-Cap Martin an der Côte d’Azur, die ihm in den letzten Lebensjahren als seine Minimalbehausung diente: 3,66 mal 3,66 Meter, karg wie eine Mönchszelle eingerichtet.

Am 27. August 1965 fand man Le Corbusiers Leiche unterhalb seiner Hütte im Wasser. Wahrscheinlich erlitt der 78-Jährige beim Baden einen Herzinfarkt. Er wurde auf dem Friedhof von Roquebrune hoch über Cap Martin beigesetzt. Mit dem schlichten Betongrab, das er sich selbst entwarf, blieb er sich auch im Tod treu.

Info: Brutalismus in Beton

Brutalismus Der Brutalismus ist ein Baustil der Moderne, der ab 1950 Verbreitung fand. Die Bezeichnung hat verschiedene Ursprünge, wie darunter den französischen Begriff béton brut („roher Beton“, Sichtbeton), mit dem der Architekt Le Corbusier den sichtbar belassenen Beton an der Unité d’Habitation in Marseille beschrieb. Heute steht der Terminus für die dominierende Architektur zwischen etwa 1960 und dem Anfang der 1980er-Jahre. Er wird nunmehr überwiegend negativ konnotiert. Der Brutalismus ist geprägt von der Verwendung von Sichtbeton, der Betonung der Konstruktion, simplen geometrischen Formen und meist sehr grober Ausarbeitung und Gliederung der Gebäude.

 

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Erstellt:
17. August 2025, 21:24 Uhr

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