Lebendes Interesse am Austausch mit Partnerstädten

Vorsitzende der Partnerschaftskomitees mit Annonay und Chelmsford wissen von Begegnungswünschen auf beiden Seiten

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Bevorstehende Europawahl, Brexit-Gezerre in England, Europa-Skepsis im Osten, Verfall des europäischen Wertekanons. Was wird in Backnang darüber gedacht? Beziehungsweise genauer: Wie wird das Thema „Europa“ in den Partnerschaftskomitees aufgegriffen? Staatssekretär Christian Lange wollte es genauer wissen.

Und so lud er die Vorsitzenden des Partnerschaftskomitees Backnang/Annonay, Michel Thobois und Christa Elser, sowie David Whitehead vom Partnerschaftskomitee Backnang/Chelmsford in sein Backnanger Bürgerbüro zum Meinungsaustausch. Partnerschaft lebt von Begegnung. Und so freut man sich im Annonaykomitee über den regen Schüleraustausch mit der französischen Partnerstadt. Dieser wird freilich von den Schulen ohne Mitwirkung des Komitees organisiert. Erst vor Kurzem waren wieder 53 Schüler in Backnang. Es bereitete keine Mühe, entsprechende Gastfamilien zu finden. Die Partnerschaft wird, so Michel Thobois, von beiden Städteverwaltungen nach Kräften unterstützt. Im nächsten Jahr sind in Frankreich Kommunalwahlen. Ganz gleich, ob das Stadtparlament mehr konservativ oder mehr links orientiert ist, auf die Partnerschaft mit Backnang lässt man nichts kommen. Frankreich sei gerade mit vielen eigenen Themen beschäftigt: die Steuern, die Preise, die Renten, dazu die anhaltende Protestbewegung der „Gelbwesten“. Aber es bleibt dabei: Europa findet man gut, auch wenn man sich an der Brüsseler Normierungswut stößt. Und die Brexit-Wünsche der Briten? Gern wird dazu in Frankreich ein Diktum des früheren Ministerpräsidenten Charles de Gaulle zitiert, der gesagt haben soll, man hätte die Engländer nicht in die EU lassen sollen. Europa sei, so ergänzend Christa Elser, für viele junge Leute eine selbstverständliche Realität. Sie fänden es vor und müssten nicht darum ringen, dass es zustande kommt. Das sei der Unterschied zu ihrer eigenen Generation. Hier habe man die europäische Zusammengehörigkeit erst durch Begegnungen und Zusammenkünfte Schritt für Schritt schaffen müssen. Michel Thobois beklagt den Geschichtsunterricht in seinem Heimatland. Es werde zu wenig Geschichtswissen vermittelt, auch was den Werdegang der europäischen Integration angeht.

David Whitehead konnte von der Partnerschaftsarbeit mit Chelmsford berichten, dass auf beiden Seiten ein großes Interesse an Austausch und Begegnung vorhanden ist. Eine große Delegation aus der Partnerstadt hat sich zum Backnanger Straßenfest angesagt. Er als Vorsitzender erhalte Anfragen von den unterschiedlichsten Institutionen und Vereinen hier. Man ist an Begegnung interessiert. Nicht weniger in Chelmsford. Nachdem das Bier aus der englischen Partnerstadt beim Tulpenfrühling ein Renner war, wird sich der Chelmsforder Bierbrauer beim Straßenfest höchstpersönlich umschauen.

Die Gesellschaft in seinem Heimatland sei gespalten. Insbesondere Kommunalpolitiker würden die Zugehörigkeit zu Europa hoch veranschlagen. Dem widerspricht das gegenwärtige Handeln der Landesregierung unter Ministerpräsidentin Theresa May. Selbst sein Vater, ehemaliger Landrat in Chelmsford, habe sich von einem Brexit-Gegner zu einem Befürworter eines zweiten Referendums gewandelt. Die Partnerschaft mit Chelmsford sei mehr, als es ein bloßer Brückenname in Backnang vermuten lasse. Staatssekretär Christian Lange ließ seine Gäste wissen, dass die Bundesregierung alle Vorkehrungen für einen möglichen ungeregelten Brexit Englands getroffen habe. So sei der Schutz aller in Deutschland lebender Briten garantiert. Sie müssten nicht ausreisen. Auch Studenten dürften ihre Studien hier abschließen. Für Touristen aus England sei für eine Aufenthaltsdauer von bis zu 180 Tagen kein Visum erforderlich. Um die Zollformalitäten an der Grenze zügig abwickeln zu können, würden – im Fall des Falles – eigens 900 Stellen für Zöllner geschaffen. Wie denn England aus der verfahrenen Lage wieder herauskomme, wollte Christian Lange von seinen Gesprächspartnern wissen. David Whitehead sieht alle Anzeichen für eine zweite Brexit-Abstimmung. Das wäre politisch die sauberste Lösung. Gegenwärtig baue sich eine Mehrheit für den Verbleib in der EU auf. Und keineswegs verlegen war der Komiteevorsitzende darüber, wie denn in Backnang die Partnerschaft mit der englischen City unterstützt werden könnte. „Hinfahren“, sagte er, „sich zeigen, einladen, Freundschaften knüpfen, ja zum Freund werden.“ Und mehr Backnanger Köstlichkeiten in Chelmsford. Und umgekehrt.

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Erstellt:
23. April 2019, 06:00 Uhr

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