Lebensgefahr im Wald

Bei Baumfällarbeiten müssen Waldarbeiter besonders achtsam sein

Waldarbeiter leben gefährlich. Bäume lassen sich beim Fällen nur schwer einschätzen. Trockene Bäume sind besonders schwierig zu fällen. Für Spaziergänger und Jogger gilt: Im Wald ist jeder für sich selbst verantwortlich. Das gilt auch für die Waldwege.

Lebensgefahr im Wald

© Jörg Fiedler

Von Ute Gruber

BACKNANG. Der Beruf des Holzfällers ist nach einer US-amerikanischen Statistik der gefährlichste Beruf der Welt, mit 136 Todesfällen jährlich pro 100000 Arbeitern. Es folgen Hochseefischer, Piloten und Dachdecker. Auch in Deutschland kommen nach Angaben der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) jährlich im Schnitt 24 Personen bei Arbeiten in Privat- und Kommunalwald ums Leben. Im Hitzesommer 2019 war dieser Wert mit 25 Todesfällen bereits Ende August überschritten. Schuld sind die Unmengen abgestorbener Bäume nach der Dürre im Vorjahr. Die stehen zwar und fallen dem Laien daher nicht so ins Auge – zumal im derzeit laublosen Zustand –, aber es wird stellenweise von Dimensionen im Umfang des Sturmes Lothar vor 20 Jahren gesprochen.

„Es ist viel schwieriger, einen trockenen Baum zu fällen als einen frischen“, erklärt Jürgen Baumann, der am Kreisforstamt in Backnang für Privat- und Kommunalwald der Ansprechpartner ist. Ohne Saft im Holz fehle die Elastizität der Zweige, auch habe die Krone kein Gewicht. Statt umzufallen, verhakten sich die Äste im Nachbarbaum: „Der zieht net“, flucht da der schwäbische Holzmacher. Meist muss der Stamm dann mit der Seilwinde am Schlepper umgezogen werden, wobei selbst bei der eigentlich langfaserigen Fichte der Gipfel abbrechen kann – Ursache für mehrere tödlich getroffene Waldbesitzer.

Schlimmer noch als Nadelbäume, die wenigstens selbst dürr meist über Jahre brav an ihrem Platz stehen bleiben, verhalten sich absterbende Laubbäume: Ihr kurzfaseriges Holz zerbröselt bei der kleinsten Erschütterung, und das selbst, wenn der Baum noch eine Portion Blätter oben hat. Einige Waldbesitzer wurden bereits während der Anlage des Fallkerbes an absterbenden Buchen oder dann durch die Erschütterungen beim Einklopfen des Fällkeils von herabbrechenden Kronenteilen getroffen. Drei Viertel der registrierten Unfälle ereignen sich bei Fällarbeiten.

Die Berufsgenossenschaft (BG) empfiehlt daher unbedingt technisierte und ferngesteuerte Methoden. Und „bevor selbst zur Motorsäge gegriffen wird, sollte sich jeder fragen, ob die eigene Fachkunde und Ausrüstung reichen, um die Baumfällung sicher durchzuführen“, mahnt die SVLFG. Berichtet wird beispielsweise die Geschichte von einem Kleinwaldbesitzer, der allein mit seinem Traktor in den Wald fuhr, um Schadholz zu fällen. Als er zu Mittag nicht nach Hause kam, machten sich die Angehörigen auf die Suche. Sie fanden ihn tot neben einer abgestorbenen, angesägten Birke, die sich im Nachbarbaum verhängt hatte. Ringsum lagen Kronenteile. Einen Fällkerb hatte er nicht gesetzt. Einen Helm hatte er auch nicht auf.

Absterbende Bäume sind nicht nur eine Gefahr für die Holzfäller, die sie aufräumen sollen. Wenn sie stehen bleiben, sind arglose Waldbesucher ebenfalls gefährdet: So weiteten sich unlängst einem morgendlichen Jogger im Kirchberger Forst, der soeben noch die entgegenkommenden Spaziergänger freundlich gegrüßt hatte, vor Entsetzen die Augen, als er Sekunden später hinter sich ein Rauschen und harsches Aufschlagen von splitterndem Holz vernahm. Hastig kehrte er um und fand die Wanderfreunde in einer Wegbiegung vor: Gott sei Dank unversehrt, aber kreidebleich. Der ohne Fremdeinwirkung umgestürzte Baum hatte den Waldweg knapp verfehlt.

„Wieso ist das jetzt gesperrt? Ich lauf da immer!“

Stellt sich die Frage nach der Haftung. „Der Waldeigentümer ist für die Verkehrssicherheit entlang von öffentlichen Straßen verantwortlich“, erklärt Stefan Grätsch, der seit 1. Januar Revierleiter in der Backnanger Bucht und damit für viele Naherholungsgebiete zuständig ist. „Das gilt aber nicht im Wald selbst, da ist jeder für sich selbst verantwortlich, ebenso auf den Waldwegen.“ Welche im Übrigen häufig auf privatem Grund verlaufen und von den Eigentümern selbst angelegt wurden, um ihr Holz abfahren zu können. Besucher werden nur geduldet. „Natürlich versuchen wir, frequentierte Wege sicher zu halten.“

Was Grätsch und viele, die mit der schweren und gefährlichen Waldarbeit beschäftigt sind, ausgesprochen verdrießt, ist das wachsende Unverständnis der Bevölkerung für die notwendigen Absperrmaßnahmen zu deren Schutz. „Da erlebe ich alles“, erzählt der junge Förster, der seit fünf Jahren in Backnang tätig ist, „von vollstem Verständnis – ,Wie lange dauert’s denn?‘ – bis zur totalen Ignoranz – ,Wieso ist das jetzt gesperrt?! Ich lauf da immer!‘ – und manche umgehen dann tatsächlich die Absperrung oder hieven ihr Fahrrad über den gefällten Baum!“ Dabei werden die Absperrungen zumindest bei den Profis immer aufwendiger: Nicht mehr nur ein simples Flatterband oder ein Warndreieck mit der Aufschrift „Holzfällung“, sondern breite Banner mit dem Hinweis „Lebensgefahr“ (mehrsprachig!). Dazu eine vorbildliche Baustellenkommunikation, à la „Wir produzieren hier Rohstoff für Ihre Möbel.“ Im touristischen Schwarzwald würde neuerdings per Hinweistafel sogar eine Umleitungsempfehlung angeboten. Dennoch gäbe es Unbelehrbare.

„Stellen Sie sich vor, Sie fällen im dichten Wald einen kranken Baum und werfen ihn auf den – ordnungsgemäß abgesperrten – Weg. Dann schaffen Sie ihn auf, sägen also von unten her nacheinander die Äste ab, und wie Sie dann am Gipfel ankommen, liegt da einer drunter! Das ist ein Albtraum!“, malt Stefan Grätsch ein Horrorszenario aus. „Das ist ja auch eine enorme psychische und nervliche Belastung, wenn man mit so etwas rechnen muss: Man ist da dann ja nicht mehr konzentriert bei der Sache, passt nicht mehr richtig auf sich selbst auf. Das ist irre gefährlich!“ – Mancher hat daheim eine Motorsäge und fühlt sich schon als Fachmann: „Ich höre ja, wenn’s sägt oder klopft.“ Spricht’s und läuft weiter. „Nein!“, schüttelt Grätsch energisch den Kopf. „Da klopft nix mehr. Der von der BG empfohlene technische Fällkeil summt höchstens. Der wird heute per Handy-App ferngesteuert.“ Zum Schutz derjenigen, die sich von Berufs wegen in Gefahr bringen müssen.

Info
Sicherungsmaßnahmen bald auch im Plattenwald

Eine schwierige Fällung steht in den nächsten Wochen im Plattenwald in Backnang an: Um das Wildgehege herum müssen ein paar Buchen umgemacht werden. Stefan Grätsch hofft auf das Verständnis der Bevölkerung für die Sicherungsmaßnahmen.

Eine positive Nachricht hat Jürgen Baumann dagegen für die privaten Waldbesitzer: Seit zehn Tagen läuft die neue EDV zur Holzaufnahme. „Es holpert zwar noch ein bisschen, aber die ersten Holzlisten von den Revierleitern draußen sind bei der Verkaufsstelle eingetroffen.“

Nach vorläufigen Angaben wurden der landwirtschaftlichen BG bis Ende 2019 deutschlandweit 44 tödliche Unfälle im Forst gemeldet – ein trauriger Rekord. Dabei ist der Staatswald noch nicht eingerechnet. Im Vorjahr waren es „nur“ 21. Schuld daran sind die Unmengen geschädigter Bäume nach der Dürre im Vorjahr, die durch Totholz in der Krone zusätzliches Gefahrenpotenzial bergen. Die schwersten Unfälle ereignen sich bei motormanuellen Arbeiten, sprich Fällung mit Motorsäge. Die SVLFG hat reagiert und bietet spezielle Schulungen und Beratungen zur Arbeit in Schadholz an (im Internet unter www.svlfg.de/schadholzeinschlag). Sicherste Arbeitsmethode ist und bleibt die vollmechanisierte Holzernte (Vollernter).

Entgegen dem Trend entspricht in Baden-Württemberg auch 2019 die Zahl der Todesfälle mit 9 dem Durchschnitt. „Vielleicht hat unsere Aufklärungsarbeit ja doch gefruchtet“, stellt der regionale SVLFG-Teamleiter Jochen Baumgart fest. Außerdem sei dies wohl auch eine Folge des aktuellen Generationswechsels. Ein Großteil der Todesfälle im Forst beträfe nach wie vor die über 65-Jährigen: „Bei der jahrzehntelangen Erfahrung vergisst man gern: Auch der Schutzengel wird älter!“

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Erstellt:
23. Januar 2020, 06:00 Uhr

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