Leibinger-Zukunftspreis
Jun Ye und die genaueste Uhr der Welt
Lichtgestalten der Wissenschaft: Alle zwei Jahre ehrt die Berthold-Leibinger-Stiftung herausragende Leistungen in Erforschung und Entwicklung der Lasertechnologie.

© Matthias Schmidt
Der chinesisch-amerikanische Physiker Jun Ye wird mit dem Zukunftspreis der Berthold-Leibinger-Stiftung ausgezeichnet.
Von Matthias Schmidt
Jun Ye sperrt Strontium-Atome in einen Vakuumkäfig und hält sie mit einem Kreuzfeuer von Laserstrahlen dort in der Schwebe. Bei extremer Kälte werden sie voneinander isoliert, „fast wie Eier in einem Eierkarton“ sagt er. Damit ist es ihm und seinem Team gelungen, die pendelartige Schwingung der Atomkerne zu messen.
Das muss man als Laie nicht sofort nachvollziehen können. Möglicherweise ging es an diesem Abend auch anderen noch so wie Roberto Di Gioia, der mit einer „Rhapsodie in KI“ für den musikalischen Rahmen sorgte und nach der Eingangsrede des Physikers James Kafka trocken bemerkte: „Ein sehr interessanter Vortrag. Ich habe kein Wort verstanden.“ Die vielen Forscher unter den 600 Gästen, die auf Einladung der Berthold-Leibinger-Stiftung zu Trumpf nach Ditzingen kamen, haben sich vermutlich etwas leichter getan.
Grundlagenforschung mit praktischem Nutzen
Wenigstens lässt sich vergleichsweise einfach sagen, was der in Schanghai geborene chinesisch-amerikanische Wissenschaftler Jun Ye (57) mit seiner Apparatur an der Universität von Boulder/Colorado geschaffen hat: Es ist die genaueste Atomuhr der Welt. Sie misst die Zeit fast unvorstellbar akkurat. Seit dem Urknall, der Entstehung des Universums, ist sie rechnerisch um weniger als eine Sekunde falsch gegangen, und das liegt immerhin rund 13,8 Milliarden Jahre zurück. Der Nutzen ist durchaus praktischer Natur: Jun Yes Grundlagenforschung erlaubt beispielsweise größere Präzision bei der Satellitennavigation und die bessere Verschlüsselung von Daten im Internet.
Ein weltweites Klassentreffen der Laser-Community
„Mein Vater hat die Innovationspreise vor 25 Jahren auch ins Leben gerufen, um dahinter seinen 70. Geburtstag verschwinden zu lassen“, berichtet Peter Leibinger. „Man kann sagen, es ist ihm gelungen.“ Die seither alle zwei Jahre stattfindende Verleihung der Preise sowie des seit 2006 zusätzlich ausgeschriebenen Zukunftspreises haben sich zu einem weltweiten Klassentreffen der Laser-Community entwickelt. Wie nah die Leibinger-Stiftung am Puls der Spitzenforschung ist, hat sich vor zwei Jahren eindrücklich gezeigt. Nur zwei Wochen nach der Ehrung mit dem Zukunftspreis in Ditzingen wurde Anne L’Huillier mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet. Heute gehört die Französin, deren Forscherherz für Lichtimpulse im Takt der Attosekunden (ein Milliardstel einer Milliardstel Sekunde) schlägt, zur achtköpfigen Jury des Leibinger-Preises.
Internationale Zusammenarbeit ist Basis des Erfolgs
In seiner Dankesrede hob Jun Ye den Wert der internationalen Zusammenarbeit für die Wissenschaft hervor. Vom amerikanischen Präsidenten, der ausländische Studenten an den US-Unis schikaniert, sprach er nicht explizit. Auch so wusste jeder, wem seine Worte galten. „Wie passend ist es überhaupt, bei der gegenwärtigen Weltlage ein Fest der Wissenschaft zu feiern?“ fragte Peter Leibinger. Seine Antwort fiel klar aus: „Menschen sind soziale und kreative Wesen, die neugierig sind und sich austauschen wollen. Die Freude an neuen Erkenntnissen zu teilen, ist heute vielleicht noch wichtiger als vor 25 Jahren.“
Drei Innovationspreise in der Lasertechnik versprechen medizinische Fortschritte
Wie der Zukunftspreis wird auch der erste Platz bei den Leibinger-Innovationspreisen für visionäre Leistungen in der Lasertechnologie mit 50 000 Euro belohnt. Acht Forscherteams kamen ins Finale, erst beim Festabend erfuhren sie, wer das Rennen gemacht hat: Vahid Sandoghdar vom Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts in Erlangen ist es mit einem ebenfalls beeindruckend multinationalen Team gelungen, ein hochempfindliches Mikroskop zur Untersuchung von Nanopartikeln in einer tragbaren Apparatur unterzubringen. Damit lassen sich allerkleinste Teile in flüssigen Gemischen verfolgen, beispielsweise Viren. Das Mikroskop könnte große Fortschritte in der nicht-invasiven Diagnostik ermöglichen. „Es wäre ein Traum, Krankheiten über die Untersuchung von Nanopartikeln in Körperflüssigkeiten zu erkennen“, sagt Anna Kashanova, die dem Forscherteam angehört.
30 000 Euro für den zweiten Platz gingen an ein Entwicklungsteam der Carl Zeiss Meditec AG in Jena. Dessen Ultrakurzzeit-Laser für Augenoperationen erlaubt Eingriffe an der Hornhaut mit wesentlich kleineren Einschnitten als zuvor. Ein japanisches Forschungsteam um Maki Kushimoto von der Universität Nagoya erhielt den dritten Preis und damit 20 000 Euro. Der Wissenschaftlerin ist es gelungen, blaue LEDs im tiefen Ultraviolettbereich herzustellen. Mit solchen Laserdioden lassen sich Bakterien und Viren deaktivieren, können beispielsweise große Mengen Wasser gereinigt und Klinikflächen sterilisiert werden.
Die nächste Runde des Wettbewerbs ist bereits eröffnet. Seit Freitag und bis zum 1. September 2026 sind Einreichungen für den Innovationspreis 2027 möglich.
Die Leibinger-Preise
Stifter Unter Berthold Leibinger (1930 bis 2018) als Vorstandschef hat das Ditzinger Unternehmen Trumpf weltweite Bedeutung in Maschinenbau und Lasertechnologie erlangt. Seine Stiftung ist mittelbar an Trumpf beteiligt und finanziert neben den Wissenschaftspreisen auch Kunst, Literatur, kirchliche und soziale Projekte.
Vorsitzende Trumpf-Aufsichtsratschef Peter Leibinger (58), derzeit auch Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), ist Vorsitzender des Gesellschafterkreises der Stiftung. Seine Schwester, die Trumpf-Chefin Nicola Leibinger-Kammüller, sitzt dem Kuratorium vor.