Neue israelische Luftangriffe im Libanon
Libanon steckt in einem Tunnel der Gewalt
Bei einem israelischen Luftangriff sterben in Beirut am Samstag zwanzig Bewohner eines Wohnhauses. Kritiker sprechen von „Massenmord“. Die USA versuchen eine Feuerpause zu erreichen.
Von Thomas Seibert
Vier israelischen Raketen trafen das achtstöckige Wohngebäude im Herzen von Beirut morgens um vier Uhr und ohne Vorwarnung. In den Trümmern des Hauses in der libanesischen Hauptstadt starben mindestens zwanzig Zivilisten, wie das libanesische Gesundheitsministerium mitteilte. Israel hatte einen Anführer der iranisch unterstützten Hisbollah-Miliz in dem Gebäude töten wollen, doch nach Angaben der Gruppe hielt sich kein Mitglied in dem Haus auf. Kritiker werfen Israel vor, ein Massaker begangen zu haben.
Israels Armee äußerte sich nicht zu dem Angriff auf das Wohnhaus in Beirut. Luftangriffe wie der vom Samstag sind der Kern von Israels Kriegstaktik im Libanon. Bei anderen Angriffen auf Wohnhäuser in Beirut tötete die Armee in den letzten Monaten den Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah und viele seiner Kommandeure; auch damals starben viele Zivilisten. Zudem greift Israel vermutete Hisbollah-Stellungen in anderen Landesteilen an. Am Samstag kamen 13 Menschen bei Luftangriffen außerhalb Beiruts ums Leben, darunter waren mindestens vier Kinder.
Wenig Fortschritte bei Israels Bodenoffensive
James Zogby, Gründer des Arabisch-Amerikanischen Instituts in Washington, sprach von „Massenmord.“ Der Libanon erlebe einen „endlosen Tunnel der Gewalt“, erklärte Mona Fawaz, Professorin der Amerikanischen Universität Beirut.
Mit den Angriffen reagiert Israel auf einen Raketenbeschuss der Hisbollah, der im Oktober 2023 als Unterstützungsaktion für die Hamas in Gaza begann und Zehntausende Israeli aus dem Grenzgebiet zum Libanon zur Flucht zwang. Israelische Verluste sind bei den Luftangriffen so gut wie ausgeschlossen, weil der Libanon und die Hisbollah keine Flugabwehrsysteme besitzen. Bei ihrer Anfang Oktober begonnenen Bodenoffensive im Süden Libanons kommt die israelische Armee dagegen nur langsam voran. Bisher hätten die Soldaten nur ein Prozent des libanesischen Staatsgebietes nach Hisbollah-Waffen durchkämmt, schrieb Johanna Moore vom US-Institut für Kriegsstudien.
Hisbollah hat noch Munition in den Arsenalen
Trotz der Luftangriffe und trotz israelischen Bodentruppen feuert die Hisbollah weiter Raketen auf Israel ab. Die Miliz teilte laut der iranischen Nachrichtenagentur Irna mit, sie habe binnen von 24 Stunden 34 Ziele beschossen. Selbst nach den schweren Verlusten durch israelische Luftangriffe hat die Miliz noch Zehntausende Raketen und Drohnen in ihren Arsenalen. Israels Angriffe reichten wahrscheinlich nicht aus, um seine Kriegsziele im Libanon zu erreichen, meint Nahost-Expertin Moore. – Dabei sei Israels Taktik im Libanon „zerstörerischer“ als im letzten Krieg gegen die Hisbollah vor 18 Jahren, sagt Daniel Byman von der US-Denkfabrik CSIS. Israel sei heute wahrscheinlich weniger auf seinen internationalen Ruf bedacht als 2006: Nach dem Tod Zehntausender Zivilisten im Gaza-Krieg werde die Tötung weiterer Zivilisten im Libanon wohl keinen Unterschied mehr machen. Byman vermisst bei Israel einen „langfristigen Plan für den Libanon“.
Eine Lösung könnte in den US-geführten Verhandlungen über eine Feuerpause zwischen Israel und der Hisbollah liegen. Der Plan sieht nach Medienberichten eine zweimonatige Waffenruhe vor. In dieser Zeit soll Israels Armee den Libanon verlassen und die Hisbollah ihre Kämpfer bis über den Litani-Fluss 30 Kilometer nördlich der Grenze mit Israel zurückziehen. Die UN, die libanesische Armee und die USA sollten dafür sorgen, dass beide Seiten nicht wieder vorrücken, meldete die „New York Times“. Der neue Hisbollah-Chef Naim Kassim zeigte sich vor wenigen Tagen verhandlungsbereit. Die US-Unterhändler sprechen sich laut dem Bericht mit Beratern des designierten US-Präsidenten Donald Trump ab. Eine Einigung gibt es bisher nicht.