Heimat der Milchstraße im Weltall

Liegt unsere Galaxie inmitten einer großen kosmischen Leere?

Es ist eines der großen Rätsel der Kosmologie: Eine riesige ausgedünnte Zone im Weltall könnte erklären, warum sich der lokale Teil des Kosmos mit der Milchstraße schneller ausdehnt als er dürfte. Was Forscher jetzt herausgefunden haben.

Entsprechend ihrer Form als flache Scheibe, die aus Hunderten von Milliarden Sternen besteht, ist die Milchstraße von der Erde aus als bandförmige Aufhellung am Nachthimmel sichtbar, die sich über 360 Grad auf der Himmelskugel erstreckt.

© Imago/Cavan Images

Entsprechend ihrer Form als flache Scheibe, die aus Hunderten von Milliarden Sternen besteht, ist die Milchstraße von der Erde aus als bandförmige Aufhellung am Nachthimmel sichtbar, die sich über 360 Grad auf der Himmelskugel erstreckt.

Von Markus Brauer

Das Universum sieht, so besagt es das kosmologische Prinzip, im Großen und Ganzen überall gleich aus. Egal wo sich der astronomische Beobachter gerade befindet oder in welche Richtung er blickt.

Das kosmologische Prinzip

Selbstverständlich sind die Sterne nicht völlig gleichmäßig im Kosmos verteilt. Sie sammeln sich in Galaxien, diese wiederum in Galaxien- und Supergalaxienhaufen. Aber, so die Theorie, solche Strukturen gibt es überall und sie sehen überall ähnlich aus.

Dieses kosmologische Prinzip ist ein wichtiger Grundpfeiler der Erforschung des Universums. Denn erst die angenommene Gleichförmigkeit macht es möglich, das Weltall als Ganzes zu beschreiben und seine Entwicklung in Computermodellen zu simulieren. Doch es mehren sich Zweifel an der Gleichförmigkeit des Weltalls. Ein Hinweis befindet sich quasi vor unserer eigenen Haustür – in der Milchstraße.

 

Liegt die Milchstraße in einer großen Leere?

Schon seit Jahren diskutieren Astronomen darüber, ob die Milchstraße und die Lokale Gruppe am Rande eines Lokalen Void liegen – also einer enorm großen ausgedünnten Zone des Weltalls. Unsere Galaxie balanciert dabei auf einer Art dünnen Brücke aus Materie, die sich mitten durch den Lokalen Void zieht.

  • Zur Info: Die Galaxiengruppe, deren größte die Milchstraße und die Andromedagalaxie sind, nennt man die Lokale Gruppe. Zu ihr gehören etwa 35 Galaxien.

Die geringere Materiedichte dieses Lokalen Voids könnte eines der großen Rätsel der Kosmologie klären: Warum Messungen auf Basis aktueller Supernovae, veränderlicher Sterne und Galaxien auf höhere Werte für die Hubble-Konstante – und damit die kosmische Ausdehnung – kommen als Daten aus der kosmischen Frühzeit.

 

Gibt es einen lokalen Void?

„Eine Erklärung für diese Diskrepanz wäre die Lage unserer Galaxie im Zentrum eines Lokalen Voids. Denn dadurch würde die Materie im Inneren dieser Zone von der Schwerkraft der dichteren Umgebung angezogen werden“, erklärt Indranil Banik von der University of Portsmouth. „Durch diese Anziehung bewegen sich Objekte im lokalen Bereich schneller von uns weg, als wenn dieser Void nicht existieren würde. Dies erweckt den Eindruck einer insgesamt schnelleren kosmischen Expansion.“

 

Wie man sich die Struktur des Universums vorstellen muss

  • Voids: Voids werden in der Kosmologie Leer- bzw. Hohlräume im Weltall genannt, in dem (fast) nichts existiert. Sie umspannen wie ein Netz sogenannte Filamente.
  • Filamente: Die Filamente (von lateinisch: filum, Faden) sind fadenförmige Verbindungen aus sichtbarer und dunkler Materie zwischen sehr dichten Ansammlungen von vielen Galaxien.
  • Wabenstruktur: Die Struktur des Universums kann man sich als eine Art Wabenstruktur bzw. kosmisches Netz vorstellen. Dieses Netz besteht aus Filamenten – den größten bekannten Strukturen im Kosmos – und Voids. Diese Leeren enthalten im Verhältnis zu ihrem Volumen nur sehr wenige Galaxien. Auch Voids haben eine Wabenstruktur und gehören zu den größten inhomogenen – das heißt nicht gleichmäßig aufgebauten – komischen Strukturen.
  • Struktur des Kosmos: Die Verteilung von Materie im Universum ist von einem Netz großräumiger, wabenartiger Strukturen geprägt. Dichte Filamente und riesige Klumpen von Gas und Galaxien wechseln sich dabei mit größtenteils leereren Bereichen ab. Die Struktur des Kosmos ist durch die großräumige Anordnung und Verteilung der Materie gekennzeichnet. So sind Sterne in Galaxien zusammengefasst, Galaxien in Galaxienhaufen und diese wiederum in Supergalaxienhaufen, zwischen denen Lokale Voids befinden.
  • Lokale Leere: Dieses Gebilde enthält neben der Lokalen Gruppe – der Name einer Ansammlung von Galaxien, deren größte die Milchstraße und die Andromedagalaxie sind – und dem Virgo-Galaxienhaufen auch den Lokalen Void – eine riesige, eher leere Zone im All in unserer unmittelbaren Nachbarschaft.

Milchstraße liegt am Rand einer Großen Leere

Die Milchstraße ist die Galaxie, in der sich unser Sonnensystem mit der Erde befindet. Entsprechend ihrer Form als flache Scheibe, die aus Hunderten von Milliarden Sternen besteht, ist die Milchstraße vom Blauen Planeten aus als bandförmige Aufhellung am Nachthimmel sichtbar, die sich über 360 Grad erstreckt.

Der Lokale Void in der Nachbarschaft der Milchstraße erstreckt sich von der Erde aus gesehen über 40 Prozent des Himmels und beginnt direkt am Rand der Lokalen Gruppe. Das Ausmaß der Region beträgt schätzungsweise 150 bis 230 Millionen Lichtjahre. In der Lokalen Leere scheinen sich deutlich weniger Galaxien zu befinden, als kosmologisch zu erwarten wäre.

Ein ganzes Netz aus leerem Raum

Die Lokale Leere ist nicht isoliert, sondern Teil eines ganzen Netzes von kosmischen Voids. Über mehrere Zonen geringer Materiedichte ist sie mit zwei noch größeren Voids in ihrer Nachbarschaft verbunden, den Hercules- und Sculptor-Void.

Wie Astronomen um Brent Tully von der University of Hawaii herausgefunden haben, trennen kleinere Materie-Filamente den Lokalen Void von einem Tunnel, der diese beiden Voids miteinander verbindet. Die Milchstraße und die sie umfassende Lokale Gruppe selbst sind Teil einer Materiebrücke, die sich quer durch die Lokale Leere zieht.

Die Milchstraße liegt unmittelbar am Rand dieser Materiebrücke in einer Zone, die selbst relativ stark ausgedünnt ist. Das bedeutet: Die Menschheit lebt auf der Erde direkt am Rand einer großen kosmischen Leere.

Gibt es Belege für den lokalen Void?

Zwar ist schon länger bekannt, dass unsere Milchstraße tatsächlich am Rand einer relativ leeren Zone liegt. Diese hat jedoch nur einen Radius von rund 75 Millionen Lichtjahren. Sie ist daher zu klein, um die Diskrepanzen in der Hubble-Konstante erklären. Auch einige Galaxienzählungen deuten auf eine leicht verringerte Dichte hin, ihr Ausmaß ist aber unklar.

Hinzu kommt: Kartierungen der kosmischen Materieverteilung zeigen zwar ein kosmisches Netzwerk mit dichteren und dünneren Regionen. In großen Maßstäben ist die Materieverteilung aber gleichmäßiger als sie dem kosmologischen Standardmodell nach sein dürfte. Ein Milliarden Lichtjahre großer Void passt da nicht ins Bild – oder doch?

Kosmische Expansion beschleunigt sich

Seit dem Urknall dehnt sich das Universum rasant aus. Und diese kosmische Expansion beschleunigt sich, wie Astronomen in den 1990er Jahren erstmals erkannten. Als mögliche Triebkraft für die Expansion gilt die rätselhafte Dunkle Energie – eine bisher unbekannte Kraft, die der anziehenden Wirkung der Gravitation entgegenwirkt. Doch wie schnell sich der Kosmos aktuell ausdehnt, ist strittig – und damit auch der Wert der Hubble-Konstante – einer der Grundpfeiler des kosmologischen Standardmodells.

  • Zur Info: Die Hubble-Konstante, benannt nach dem US-Astronomen Edwin Hubble (1889-1953), ist eine der fundamentalen Größen der Kosmologie. Sie beschreibt die gegenwärtige Rate der Expansion des Universums. Der homogene Vorgang der Expansion wird als Hubble-Fluss (Hubble Flow) bezeichnet.

Irrt das kosmologische Standardmodell?

Dem kosmologischen Standardmodell zufolge hat die Dunkle Energie eine in Zeit und Raum gleichbleibende Dichte. Sie gilt daher als Konstante. Doch in jüngster Zeit deuten astronomische Messdaten darauf hin, dass die kosmologische Konstante nicht so konstant ist wie bisher gedacht.

Die kosmische Expansion verläuft offenbar schneller, als sie es dem Standardmodell nach dürfte. Bereits Anfang 2024 gab es zudem Hinweise darauf, dass auch die treibende Kraft dieser Ausdehnung, die Dunkle Energie, weniger konstant ist als nach dem auf Albert Einsteins Relativitätstheorie beruhenden Modell angenommen.

Subtile Verzerrungen im Galaxienmuster

Neue Informationen zu diesem astronomischen Rätsel liefern Indranil Banik und sein Team mit ihrer Studie, die sie jetzt auf der Jahrestagung der Royal Astronomical Society vorgestellt haben.

Basis ihrer Analysen sind die sogenannten Baryonischen Akustischen Oszillationen (BAO) – also konzentrische Dichtewellen aus der Zeit kurz nach dem Urknall. „Als das Universum genug abkühlte, um Atome zu bilden, froren diese Wellen ein“, erläutert Banik. Dies hinterließ ein bis heute messbares Muster in der großräumigen Galaxienverteilung.

Astronomen können die Baryonischen Akustischen Oszillationen daher nutzen, um die Entwicklung der kosmischen Expansion nachzuvollziehen – aber auch, um die Existenz anomal großer Voids zu überprüfen. „Ein lokaler Void erzeugt eine leichte Verzerrung im Verhältnis der BAO-Winkelgröße zur Rotverschiebung“, konstatiert Banik. Denn die nach außen strebenden Galaxien in der ausgedünnten Zone verstärken die für sie gemessene Rotverschiebung, so dass diese nicht mehr zu den Werten der Oszillationen passt.

„Hubble-Diskrepanz ist primär ein lokales Phänomen“

Als die Astronomen mithilfe von Messdaten nach solchen Verzerrungen suchten, wurden sie fündig. „Wenn wir alle verfügbaren Messdaten der letzten 20 Jahre auswerten, passt ein Void-Modell rund 100 Millionen Mal besser zu den Parametern der Planck-Kosmologie als eines ohne eine solche Zone“, betont Banik. „Demnach ist die Hubble-Diskrepanz primär ein lokales Phänomen.“

Nach Ansicht des Forschers stützen ihre Ergebnisse die Void-Hypothese. Demnach könnte die Milchstraße im Zentrum eines rund zwei Milliarden Lichtjahre großen Voids liegen. Um die Verzerrungen der Baryonischen Akustischen Oszillationen zu erklären, müsste die Materiedichte in dieser Zone rund 20 Prozent geringer sein als im kosmischen Durchschnitt. „Ein solcher Void wäre eine vielversprechende Lösung für das Hubble-Problem“, resümiert Banik.

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Erstellt:
12. Juli 2025, 19:04 Uhr
Aktualisiert:
12. Juli 2025, 19:39 Uhr

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