Klatsche für OLG Stuttgart
Link führte zu Razzia – Jetzt rüffelt das BVG die Justiz
„Wegen eines Links wurde meine Privatsphäre mit Füßen getreten“, sagt der Redakteur Kienert von Radio Dreyeckland. Das oberste Gericht gibt ihm nun recht.
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Die Durchsuchung bei Radio Dreyeckland und bei einem der Redakteure war rechtswidrig.
Von Eberhard Wein
Es ist noch keine sieben Uhr, als es bei Fabian Kienert Sturm läutet. „Ich dachte, da sind Einbrecher“, wird sich der Redakteur des linken Privatsenders Radio Dreyeckland (RDL) später erinnern. Doch vor der Tür steht die Polizei mit einem Durchsuchungsbeschluss. Die Beamten nehmen Kienerts Laptop, Datenträger und zwei Handys mit. Anschließend geht es zum Sendequartier von Radio Dreyeckland im Freiburger Gretherareal, wo Kienert arbeitet. Wenige Straßen weiter, vor dem Theater, warten 13 Polizeiautos, um weiteres Beweismaterial abzutransportieren.
Fast drei Jahre nach der Polizeiaktion hat das Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe jetzt klargestellt: Die damalige Hausdurchsuchung verstieß gegen die Rundfunkfreiheit und war verfassungswidrig. Das Redaktionsgeheimnis samt Quellenschutz sei ein hohes Gut und gelte nicht nur für die eigentlichen Redaktionsräume, sondern auch für die Privatwohnung eines Journalisten, heißt es in einem von BVG-Präsident Stephan Harbarth unterschriebenen Beschluss (1 BvR 259/24). Die Durchsuchung bei RDL war zuvor schon für rechtswidrig erklärt worden.
„Habe nur einen Link gesetzt“
„Wegen des Setzens eines Links wurden meine Privatsphäre und das Rundfunkgeheimnis mit Füßen getreten“, sagte Kienert laut einer von RDL verbreiteten Erklärung. Er hoffe, dass die Entscheidung dazu beitrage, dass Polizei und Staatsanwaltschaft weniger leichtfertig mit Grundrechten umgingen.
Kienert hatte im Sommer 2022 auf der RDL-Internetseite über die erfolgte Einstellung eines Ermittlungsverfahrens gegen mutmaßliche Hinterleute der Plattform linksunten.indymedia berichtet, die der bundesweiten linken Szene zur Verabredung legaler, aber auch illegaler Aktionen gedient hatte. Sie war 2017 vom Bundesinnenminister verboten worden. In seinem Artikel hatte Kienert eine Archivseite von linksunten.indymedia verlinkt. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe erkannte darin die „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ und erwirkte ein halbes Jahr später die Durchsuchung.
BVG sieht nur vage Hinweise
Ob die pure Linksetzung eine Unterstützungsaktion darstellen kann, entschied das Bundesverfassungsgericht nicht. Es sah vielmehr schon die Voraussetzungen für eine Straftat nicht gegeben. Eine verbotene und nicht mehr aktive Vereinigung könnte überhaupt nicht unterstützt, stellten die obersten Richter fest. Die Archivseite ohne neue Inhalte sei auch kein Beleg für irgendwelche Aktivitäten. Vage Hinweise genügten dafür nicht.
Das Verfassungsgericht beendet damit auch einen Streit zwischen den Instanzen. Während das Karlsruher Amtsgericht den Durchsuchungsantrag der Staatsanwaltschaft abgesegnet hatte, erklärte ihn das Karlsruher Landgericht für rechtswidrig. Das für Staatsschutzsachen landesweit zuständige Stuttgarter Oberlandesgericht (OLG) folgte wiederum der Argumentation der Staatsanwaltschaft.
Das Urteil bedeutet damit auch eine peinliche Klatsche für das Stuttgarter OLG. Man werde es selbstverständlich beachten, es handele sich aber auch einen speziellen Fall, sagte OLG-Sprecher Lars Kemmner. „Der Fall war in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht schwierig.“ Eine Sprecherin des Karlsruher Landgerichts erklärte hingegen, es sei schön, „dass die Sicht unserer Kammer bestätigt wurde“.
Freispruch hat mittlerweile Rechtskraft
Das Landgericht hatte zunächst auch den Prozess gegen Kienert im vergangenen Jahr nur widerwillig und auf Anweisung des OLG eröffnet. Er endete nach neun Verhandlungstagen mit einem Freispruch für Kienert und einem Rüffel für die Staatsanwaltschaft. Im Zweifel müsse man freisprechen, hatte der Vorsitzende Richter erklärt. Doch man sei nicht einmal zum Zweifeln gekommen – so dünn sei die Anklage gewesen. Der Freispruch hat mittlerweile Rechtskraft.
Die Verfassungsrichter seien zu einem anderen Abwägungsergebnis gekommen, räumte der damals federführende Staatsanwalt Manuel Graulich ein. „Das werden wir natürlich berücksichtigen.“ Ansonsten müsse er das Urteil für ein endgültiges Meinungsbild erst noch prüfen. Von einer Niederlage wolle er nicht sprechen. „Das ist die falsche Kategorie.“
Maike Schollenberger, Landesbezirksleiterin der Gewerkschaft ver.di, sprach von einer guten Nachricht für alle Journalistinnen und Journalisten. Das überzogene Vorgehen der Staatsanwaltschaft sei endgültig kassiert worden. „Die Pressefreiheit muss so ausgestaltet sein, dass kritische Berichterstattung möglich ist. Das stand mit diesem Verfahren ernsthaft auf der Kippe.“ Das Urteil stärke deshalb auch die Presse als tragende Säule der Demokratie.
