Lübcke-Prozess: Ernst will Entpflichtung seines Verteidigers

dpa Frankfurt/Main. Im Lübcke-Prozess ist zwischen den Verteidigern von Stephan Ernst ein Konflikt ausgebrochen. Noch heute könnte das Gericht über die Abberufung des Pflichtverteidigers Hannig entscheiden.

Der Hauptangeklagte im Mordfall Lübcke, Stephan Ernst (r), spricht vor der Sommerpause Anfang Juli mit seinem Verteidiger. Foto: Boris Roessler/dpa-Pool/dpa

Der Hauptangeklagte im Mordfall Lübcke, Stephan Ernst (r), spricht vor der Sommerpause Anfang Juli mit seinem Verteidiger. Foto: Boris Roessler/dpa-Pool/dpa

Der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, Stephan Ernst, hat am Montag die Entpflichtung seines Anwalts Frank Hannig beantragt.

Das Vertrauen zu dem Pflichtverteidiger sei „auf Dauer zerstört“, begründete Mustafa Kaplan, der zweite Anwalt des Angeklagten, im Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt seinen Antrag. Anlass für den Konflikt, der auch eine Auseinandersetzung der Verteidiger ist, waren mehrere Beweisanträge, die Hannig am Morgen zu Verhandlungsbeginn eingebracht hatte.

Darin wollte Hannig die Vernehmung weiterer Zeugen erreichen, die womöglich ebenfalls am Tatort waren. Auch einen Einbruch im Kasseler Regierungspräsidium, bei dem Akten verschwunden seien, wollte er untersuchen lassen und deutete als Begründung einen möglichen Zusammenhang mit den Windkraftfirmen der Lübcke-Söhne an.

Ernst soll im Juni 2019 Lübcke auf der Terrasse von dessen Wohnhaus erschossen haben. In einem später widerrufenen Geständnis hatte er sich als Alleintäter bezeichnet, in einer zweiten Tatversion nannte er den gewaltsamen Tod des CDU-Politikers einen Unfall. Der Schuss habe sich versehentlich gelöst, als der wegen Beihilfe angeklagte Markus H. die Waffe gehalten habe. Die beiden Männer hätten Lübcke nur einschüchtern wollen. Die Anklage geht von einer rechtsextremistisch motivierten Tat aus. Lübcke war seit dem Jahr 2015 wegen seines Einsatzes für Flüchtlinge wiederholt bedroht worden.

„Ich bin einigermaßen sprachlos“, reagierte der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel. Er erkundigte sich, ob Hannig diese Anträge mit seinem Mandanten abgesprochen habe. Als das verneint wurde, ging Sagebiel hart mit dem Anwalt ins Gericht. „Gequirlter Unsinn“ sei das, was er da gerade gehört habe, sagte er empört. „Wenn ich solche Anträge bekomme, muss ich mir Gedanken machen, ob der Angeklagte eine wirksame Verteidigung hat.“

Scharf reagierte auch Kaplan, mit dem Hannigs Beweisanträge ebenfalls nicht abgesprochen waren: „Mein Mandant hat kein Interesse daran, dass der Getötete und seine Familie derart mit Dreck beworfen werden.“ Damit habe Hannig seinem Mandanten „schon jetzt geschadet“

Nach einer kurzen Pause zog Hannig seine Anträge zwar zurück, doch damit war der Konflikt nicht ausgestanden. Ernst wolle die Entpflichtung seines bisherigen Pflichtverteidigers beantragen, weil er mit dessen Verteidigungsstrategie „überhaupt nicht einverstanden sei“, sagte Kaplan.

Hannig wiederum sah keinen Grund für eine Abberufung. „Verschiedene Strategien führen zu verschiedenen Herangehensweisen“, sagte er. Sagebiel wollte ganz sicher gehen, dass diesmal wirklich der Wille des Angeklagten in den Anträgen zum Ausdruck kam. „Ist das Ihr Antrag, Herr Ernst?“ bohrte er nach - und Ernst nickte nachdrücklich.

Das Gericht könnte noch am Nachmittag über den Antrag entscheiden, bis dahin sollen auch alle schriftlichen Stellungnahmen der Beteiligten eingehen.

Der Wechsel eines Pflichtverteidigers wird durch die Strafprozessordnung geregelt. Möglich ist das unter anderem dann, wenn das „Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist“.

© dpa-infocom, dpa:200727-99-933824/4

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Erstellt:
27. Juli 2020, 04:28 Uhr

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